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Landtagswahl in Niedersachsen: Stephan Weil und ein ungeheurer Verdacht


Vier Thesen zur Landtagswahl
Ein ungeheurer Verdacht


Aktualisiert am 10.10.2022Lesedauer: 5 Min.
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Gutes Ergebnis der Grünen: In Niedersachsen setzet die Partei nach ihrem Wahlerfolg auf Rot-Grün. (Quelle: reuters)

Stephan Weil triumphiert, die AfD auch. Die CDU schafft es wieder nicht. Und was ist bloß mit der FDP los? Eine erste Analyse in vier Thesen.

Stephan Weil kann weiterregieren. Seine SPD bleibt in Niedersachsen die stärkste Partei. Für die CDU um Bernd Althusmann reicht es auch dieses Mal nicht für die Staatskanzlei, aus der sie 2013 von der SPD vertrieben wurde. Die Grünen gewinnen bei einer weiteren Landtagswahl deutlich hinzu, die AfD ebenfalls. Für die FDP geht es dagegen erneut abwärts.

Wie kommt's? Vier Thesen zur Landtagswahl in Niedersachsen:

1. Stephan Weil und ein ungeheurer Verdacht

Mehr als 30 Prozent der Stimmen und recht deutlich vorne. Es läuft trotz der Verluste für Stephan Weil. Und für die SPD. Nur warum eigentlich?

Ein großer Teil der Antwort heißt schlicht: Stephan Weil. Der Ministerpräsident ist beliebt in Niedersachsen. Was sich schon daran ablesen lässt, dass die Wahlkampagne voll auf ihn zugeschnitten war. Weils Wiederwahl bestätigt zudem einen Langzeittrend: Es ist verdammt schwer, einen Regierungschef bei einer Landtagswahl zu stürzen. Der Amtsbonus ist mächtig. Sofern man es nicht ganz dumm anstellt (oder die Konkurrenz unglaublich gut).

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Doch es gibt einen zweiten Teil der Antwort, der weniger eindeutig erscheint. Es ist gewissermaßen das Niedersachsen-Rätsel. Der Wahlkampf im Land wurde so stark von bundespolitischen Themen dominiert wie lange nicht mehr. Und zwar von sehr unangenehmen Themen: dem russischen Krieg gegen die Ukraine und der Energiekrise. Dafür ist in Berlin vor allem ein Mann zuständig: Kanzler Olaf Scholz. Doch dessen Bundes-SPD liegt inzwischen in Umfragen nur noch bei 17 oder 18 Prozent.

Warum also schlug der Bundestrend nicht deutlicher auf die Niedersachsen-Wahl durch? Diese Frage führt zu einem ungeheuren Verdacht: Vielleicht sind Olaf Scholz und die SPD gar nicht so unbeliebt, wie die Meinungsforscher gerade glauben machen wollen. Vielleicht ist der Rückgang eher Ausdruck einer normalen Ampelmüdigkeit, die es bei vielen Regierungen mit kleineren Problemen vor ihr gab. Bei Rot-Grün etwa.

Vielleicht also finden viele Leute doch gar nicht so katastrophal, was der Kanzler da in Berlin macht. Dafür jedenfalls spricht eine andere Umfrage: Im ZDF-"Politbarometer" nämlich liegt Scholz bei der Beliebtheit auf Rang zwei. Gleichauf mit Annalena Baerbock – und vor Robert Habeck.

2. Die CDU scheitert an einem alten Merkel-Prinzip

Es ist nicht so, dass CDU-Spitzenkandidat und Wirtschaftsminister Bernd Althusmann nicht alles dafür getan hätte, um Stephan Weil im Amt des Ministerpräsidenten zu beerben. Der 55-jährige gebürtige Oldenburger hat sich nach der letzten Wahl ein wichtiges Ministerium gesichert und dieses zu einer Art Gegen-Staatskanzlei aufgebaut. Er hat sich ähnlich landesväterlich wie der Landesvater gegeben, im Wahlkampf ein klassisches konservatives Thema, die Atomkraft, wieder aufgegriffen. Und er hat sich zum Schluss anschlussfähig für Schwarzgrün, Jamaika oder sogar die Fortsetzung der Großen Koalition gezeigt. Genützt hat es ihm dennoch nichts.

Das liegt vor allem an einem Prinzip, das Angela Merkel als Kanzlerin bis zur Vollendung beherrschte: das Schwarze-Witwen-Prinzip. Dabei wird der Juniorpartner stets am Ende von der stärkeren Regierungspartei aufgefressen. So hat es Merkel im Bund mit der SPD und mit der FDP gemacht und Stephan Weil in Niedersachsen erst mit den Grünen und jetzt mit der CDU. Damit es funktioniert, muss zweierlei gegeben sein: Der Amtsinhaber muss einigermaßen beliebt sein. Und er muss gemäßigt auftreten, sodass er auch Anhängern anderer politischer Lager wählbar erscheint.

Erschwerend kam für Althusmann noch die zweifelhafte Unterstützung aus Berlin hinzu. Mit seiner steilen These von "ukrainischen Sozialtouristen", die hier Sozialhilfe abkassierten, um dann wieder in die Heimat zu reisen, hat Parteichef Friedrich Merz alle Gemäßigten in der Partei verschreckt, die auf eine Abgrenzung zur AfD achten. Zumal er nach einer halbherzigen Entschuldigung beim Flüchtlingsthema noch einmal nachlegte.

Der CDU in Niedersachsen bleibt jetzt nur noch zu hoffen, dass Stephan Weil 2027 nicht erneut antreten will. Oder dass er bis dahin so amtsmüde ist, dass die Konservativen mit einem neuen, frischen Herausforderer eine Chance haben könnten. Das freilich wird dann nicht mehr Bernd Althusmann sein.

3. Die FDP ist wieder eine Zitter-Partei

Bei der Bundestagswahl vor gut einem Jahr triumphierte die FDP – und holte mit 11,5 Prozent eines der besten Ergebnisse ihrer Geschichte. Doch seither läuft es nicht wirklich rund für die Liberalen. Alle vier Landtagswahlen in diesem Jahr waren eine herbe Enttäuschung: Im Saarland reichte es nicht für den Einzug ins Parlament. Und in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein halbierten sich die Ergebnisse. Da wäre es für die Liberalen bereits ein Erfolg, wenn sie dem nächsten niedersächsischen Landtag am Ende tatsächlich erneut angehörten.

2022 markiert eben auch das Jahr, in dem die Zitter-FDP wieder zurück ist. Schafft sie es, oder schafft sie es nicht? Eigentlich hatte Parteichef Christian Lindner davon geträumt, dass sich diese Fragen an Wahlabenden nicht mehr stellen.

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Aber der ruckelige Regierungsstil der Ampel schadet den Liberalen offenbar am stärksten. Die Wählerinnen und Wähler scheinen es zumindest bei Landtagswahlen nicht zu belohnen, dass die Partei in Berlin ein Bündnis mit SPD und Grünen geschlossen hat. Zumal sich in den vergangenen Monaten immer wieder zeigte, wie beträchtlich die ideologischen Gegensätze zwischen SPD und Grünen einerseits und der FDP andererseits sind.

Das Ergebnis in Niedersachsen wird die Unruhe bei den Liberalen eher vergrößern als verkleinern. Einerseits. Andererseits weiß Parteichef Lindner, dass es angesichts der beherrschenden Großkrisen auch niemand goutieren würde, wenn er das Berliner Regierungsbündnis aufkündigte.

4. Die AfD verankert sich im Westen

Überraschend kam der Erfolg der AfD in Niedersachsen nicht: In den letzten Umfragen vor der Wahl wurde ihr bereits ein zweistelliges Ergebnis vorhergesagt. Erstaunlich ist es dennoch: Bei der Landtagswahl 2017 (und damit kurz nach dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise) hatte die AfD nur 6,2 Prozent erhalten. An einer überzeugenden Oppositionspolitik liegt der steile Aufstieg nicht. Denn in den vergangenen vier Jahren hat sich die niedersächsische Alternative mehr durch Personalquerelen und Chaos hervorgetan als durch Inhalte.

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Die Landtagsfraktion zerlegte sich, die Spitzenkandidatin von 2017, Dana Guth, trat vor zwei Jahren aus der Partei aus. So kam es, dass ein weitgehend unbekannter Spitzenkandidat, der Arzt Stefan Marzischewski-Drewes, ins Rennen ging. Das gute Resultat hat daher weniger mit ihm als mit der aktuellen politischen Situation zu tun.

Krisenzeiten stärken immer jene populistischen Kräfte, die einfache Lösungen versprechen. Die Wahl in Niedersachsen zeigt, dass auch im Westen weiterhin mit der AfD zu rechnen ist – und eben nicht nur im Osten, wo sie in einigen Umfragen sogar an erster Stelle liegt.

Aber mit der von der Parteispitze seit Langem erhofften Etablierung im Westen der Republik könnte es rasch wieder vorbei sein, wenn auch die Krise Vergangenheit ist. Dafür muss man einfach nur ans andere Ende des politischen Spektrums schauen: Auch die Linke dehnte sich vom Osten in fast alle westlichen Bundesländer aus, profitierte lange vom Image der Protestpartei. Inzwischen ist sie dabei, im Westen nahezu flächendeckend in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden.

In Bremen und Hessen sitzt sie zwar noch in den Landesparlamenten. Aber dort finden im kommenden Jahr Wahlen statt.

Verwendete Quellen
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