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Sondierungen: Merkel und Deutschlands innere Selbstblockade


Koalitions-Vorsondierungen
Merkel und Deutschlands innere Selbstblockade

RP

03.01.2018Lesedauer: 5 Min.
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CDU-Chefin Merkel auf dem Weg zum Spitzentreffen: Am Nachmittag wollen Union und SPD über den Ablauf der Sondierungen sprechen.Vergrößern des Bildes
CDU-Chefin Merkel auf dem Weg zum Spitzentreffen: Am Nachmittag wollen Union und SPD über den Ablauf der Sondierungen sprechen. (Quelle: Soeren Stache/dpa-bilder)

CDU, CSU und SPD treffen sich zu Vorsondierungen für eine neue große Koalition. Die Vorgeplänkel zeigen: Die deutsche Politik schaut vor allem nach innen und blockiert sich damit selbst. Das hat auch mit der AfD zu tun.

"Die Welt wartet nicht auf uns", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Ansprache zum neuen Jahr. Das stimmt. Und stimmt auch wieder nicht. Denn die Welt wartet. Auf Deutschland. Auf Merkel. Und auf ihre neue Regierung. Das wurde schon am Tag nach Merkels Ansprache deutlich.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warb für „ein souveräneres, vereinteres und demokratischeres Europa“ und erklärte: "Meine lieben europäischen Mitbürger, 2018 ist ein besonderes Jahr, ich werde Sie in diesem Jahr brauchen." Macron präsentierte einen weitläufigen Blick auf Europa, Merkel gab unweigerlich die neue Richtung für die deutsche Politik vor: Binnenperspektive. Der Klops in der Mitte Europas ist derzeit vor allem mit sich selbst beschäftigt.

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Das fällt vor allem bei den Vorgesprächen zu einer neuen großen Koalition auf. Das Aufkommen der AfD zeigt Wirkung. Der europapolitische Konsens in Deutschland ist zerbrochen, die Parteien schauen vor allem auf sich und ihre Klientel. In kriselnden Zeiten für die Volksparteien ist nichts zu verlieren. Schon gar nicht an Europa. Ein Blick auf Parteien und Knackpunkte.

Die CSU oder Nur Bayern zählt: Bayerns Staatspartei hat es kräftig durchgeschüttelt nach der Bundestagswahl und den mageren 38,8 Prozent. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer gab das Amt des Regierungschefs zugunsten von Markus Söder auf. Schließlich sind im Herbst Landtagswahlen in Bayern. Dann gilt es. Wo andere um die Fünf-Prozent-Hürde bangen, gilt für die CSU eine andere Messlatte: 50 plus X – alles andere als eine absolute Mehrheit wäre für die Partei eine Qual. Und so werden vor der Winterklausur in Seeon schon einmal harte Vorbedingungen für ein Bündnis mit der SPD genannt:

  • Bürgerversicherung: Das Aus für private Krankenkassen und mehr Gleichheit in der Medizin, auch in der Finanzierung der Krankenversicherung, die durch Steuergelder unterstützt werden könnte, für die CSU ist das undenkbar. Vor "großen Problemen in der Umsetzung" warnte CSU-Chef Horst Seehofer im Nachrichtenmagazin "Spiegel".
  • Kooperationsverbot in der Bildungspolitik: Etwa beim Aufbau von Ganztagsschulen und mehr Lehrern? Noch ein Wunsch der SPD. Das Geld vom Bund für bayerische Schulen und Universitäten nimmt die CSU gern. Die im Grundgesetz verankerte Kulturhoheit der Länder ist für die Partei aber unantastbar, schließlich geht es um die bayerische Selbstverwaltung. Die CSU sei "in der Bildung zu vielem bereit", so Seehofer, aber nicht "zu einer Änderung des Grundgesetzes".
  • Flüchtlingspolitik: Schon in den Gesprächen über ein Jamaika-Bündnis blieb der Familiennachzug von Flüchtlingen ungelöst. Nun legte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nach. Er will die Sozialleistungen für Flüchtlinge kürzen. Sie sollen künftig 36 Monate (statt bisher 15) den knappen Grundbedarf erhalten.
    Bayerns Innenminister Joachim Herrmann will zudem generell das Alter von jungen Flüchtlingen feststellen lassen. Für die SPD ist das nicht akzeptabel. In der Flüchtlingspolitik gilt für die CSU wieder das alte Dogma von Übervater Franz Josef Strauß: Rechts von der CSU darf im Parlament keine Partei Platz finden.
  • Wehretat: Die CSU pocht auf steigende Verteidigungsausgaben von bis zu zwei Prozent des BIP. Das ist zwar ohnehin im Kreis der Nato-Staaten beschlossen, dient aber auch der Rüstungsindustrie, die sich in Bayern besonders heimisch fühlt.
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Fazit: Bayern first, Kompromiss second. Es wird schwierig mit der CSU vor der Landtagswahl, nicht nur für die SPD.

Die SPD oder die falsche Rechnung mit der Bätschi-Politik: "Bätschi. Das wird teuer", so versuchte SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles der eigenen Parteibasis eine große Koalition zu versüßen und nannte etwa die Bürgerversicherung, eine Art Krankenkasse für alle. Nach dem Aus für Jamaika versucht die Partei den Preis für eine neue große Koalition hochzutreiben – und unterliegt einer Fehlkalkulation. Die Partei wird für soziale Wohltaten längst nicht mehr mit Wählerstimmen belohnt. So hat die SPD in der letzten Groko zwar den Mindestlohn verankert, gedankt hat es ihr der Wähler aber nicht.

Die Arbeiter, das zeigen Wahlstudien, wandern ab zur AfD. Und so beginnt die Richtungssuche. Allerdings ohne Strategie. Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel empfiehlt der Partei via "Spiegel"-Interview ein zurück zur alten Kernklientel: Weniger Umweltschutz, mehr Industriepolitik. Doch das wird schwierig, den Opel-Arbeiter in Bochum gibt es schlicht nicht mehr.

"Die Sozialdemokratie wird eine von mehreren Parteien in der weit gestreuten Mitte der Republik sein … Eine besondere historische Mission kann sie nicht mehr reklamieren. Um nicht vollends zu trivialisieren, muss sie mehr denn je strahlungsfähige Ideen und Köpfe hervorbringen", empfiehlt der Parteienforscher Franz Walter, schiebt aber warnend hinterher: "Vielleicht zum Trost: Dergleichen gelingt in kleineren Formationen besser als in schwerfälligen Großformationen."

Klingt nicht gut für die verunsicherte Partei. Die Basis mag die Groko nicht. Die Partei-Linke bringt eine Koko ins Gespräch, die Kooperation mit einer Minderheitsregierung. Und Parteichef Martin Schulz hat weder eine Strategie noch eine Taktik. Die Machtzentren der Partei liegen längst woanders: Bei Fraktionschefin Nahles und den Ministerpräsidentinnen Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern) und Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz).

Fazit: Die SPD ist mit sich selbst beschäftigt. Mitregieren? Erneuern in der Opposition? Neuer Kurs auf linke Mehrheiten und Rot-Rot-Grün? Die Partei ringt mit sich selbst. Das Problem der SPD sitzt tief. Und die Basis ist selbst bei einem guten Bätschi-Preis für ein Koalitionsbündnis nur schwer von einer neuen Regierungsbeteiligung zu begeistern.

Die CDU oder das Schweigen der Männer: Kanzlerwahlverein – für andere war das immer ein Schimpfwort. Nicht so für die CDU. Wo die SPD eine schwerfällige Organisation und wankelmütige Basis mit sich schleppte, (Politikwissenschaftler sprechen vom Party Democracy Modell) entschied sich die Union stets für die schlankere Variante: Wahlverein (oder Rational Efficency Modell in der Sprache der Politologen). Eine Partei soll gewählt werden. Das reichte. Hauptsache die Wirtschaft lief.

It’s economy stupid – die CDU hatte das lange vor Bill Clinton entdeckt. Aber auch hier klemmt die Rechnung neuerdings. Trotz Etatüberschüssen und Wirtschaftswachstum büßte die Union bei der Bundestagswahl Stimmen ein. Und ist ratlos. Niemand mag mit ihr regieren. Tagelang durften der FDP-Vorsitzende Christian Lindner und sein Vize Wolfgang Kubicki über ein Jamaika-Bündnis ohne Angela Merkel sinnieren. Hallo, Koch und Kellner? In der CDU blieb es auffallend still. Ein bezeichnendes Schweigen der Männer.

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Zwischenfazit: Auch die Union blickt nach innen – und auf eine Zeit nach Angela Merkel. Aber (noch) bietet sich niemand an. Saarlands Regierungschefin Annegret Kramp-Karrenbauer oder der agile Peter Altmaier? Fortsetzung der Merkel'schen Politik mit anderen Mitteln! Der Jung-Konservative Jens Spahn als deutsche Variante des Österreichers Sebastian Kurz. Noch zu klein. Auch politisch.

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Gesamtbilanz: Volle Kassen, wirtschaftliches Wachstum – die Zeiten wären eigentlich günstig für ein Aufbruchbündnis, das Antworten liefert auf dringliche Fragen der Zukunft: Wie sieht Deutschlands Wirtschaft in der Welt nach dem Verbrennungsmotor aus? Wie lässt sich eine alternde Gesellschaft (und ihre Pflege) organisieren und finanzieren? Braucht es Europa noch? Stattdessen betreibt das politische Berlin Nabelschau. Nun soll es eine große Koalition richten. Ein Bündnis der Schwachen. Beharrend auf dem Status Quo. Ohne eigene Visionen. Nur mit Blick nach innen. Merkel irrt. Die Welt wartet auf Deutschland. Erst recht Emmanuel Macron und Europa. Deutschland aber betreibt Selbstblockade.

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