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Ndrangheta: Razzia gegen Mafia-Mitglieder in Deutschland und Italien


Deutsch-italienische Großrazzia
Polizei verhaftet 170 mutmaßliche Mafiosi

C. Anesi, M. Bettoni, G. Rubino, Correctiv.org

Aktualisiert am 09.01.2018Lesedauer: 4 Min.
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Polizisten im Einsatz gegen die Mafia: Unter den Verhafteten ist auch ein Wirt aus Baden-Württemberg mit Verbindungen in die Politik.Vergrößern des Bildes
Polizisten im Einsatz gegen die Mafia: Unter den Verhafteten ist auch ein Wirt aus Baden-Württemberg mit Verbindungen in die Politik. (Quelle: Correctiv.org/Symbolbild)

Deutsche und italienische Ermittler gehen in einer gemeinsamen Aktion gegen die kalabrische Mafia vor: Sie vollstreckten in der Nacht etwa 170 Haftbefehle, darunter etwa ein Dutzend mit Bezug zu Deutschland. Zu den Verdächtigen zählt auch ein Stuttgarter Wirt, der einst CDU-Politiker Günther Oettinger in Bedrängnis brachte.

In der Nacht sind Ermittler in Italien und Deutschland gegen etwa 170 mutmaßliche Mafia-Mitglieder vorgegangen. Das teilten italienische Behörden und das Bundeskriminalamt am Dienstag mit. Unter den Verhafteten befindet sich auch Mario L. – der Wirt aus Baden-Württemberg brachte einst den ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger in Bedrängnis. Jetzt wird L. vorgeworfen, ein Mitglied der italienischen Mafia zu sein.

Vermögenswerte in Höhe von 50 Mio. Euro beschlagnahmt

Ziel der Aktion war vor allem der 'Ndrangheta-Clan Farao, der auch in Deutschland präsent ist. Elf mutmaßliche Mitglieder nahmen die Ermittler in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und NRW fest. Die Polizei wirft den Verhafteten vor, mit ihren kriminellen Machenschaften Geschäfte sowohl in Italien als auch Deutschland unterwandert zu haben. Zu den Delikten zählen Erpressung und Geldwäsche. Besonders betroffen seien Firmen aus der Wein- und Nahrungsmittelbranche, der Abfallentsorgung sowie Beerdigungsunternehmen. Es wurden Vermögenswerte in Höhe von 50 Millionen Euro beschlagnahmt. Zudem werde eine Reihe von Beamten der Korruption verdächtigt, hieß es in einer Mitteilung der paramilitärischen Carabinieri weiter.

Aus Justizunterlagen, die das Recherchezentrum Correctiv einsehen konnte, lässt sich die Vergangenheit von L. ein Stück weit rekonstruieren. In seinem Umfeld sollen sich immer wieder Menschen mit Bezügen zur kalabrischen Mafia 'Ndrangheta bewegt haben. Sogar Bosse habe man bei ihm gesichtet. Bislang schaffte es Mario L., aus Ermittlungen unbescholten herauszukommen. In der Nacht durchsuchten Ermittler seine Wohnung sowie die Pizzeria, die er in der Nähe von Stuttgart gepachtet hat.

Mario L. und "sein Minister"

Mario L. fiel deutschen Kriminalbeamten bereits in den 90ern-Jahren auf. Damals ermittelten italienische Behörden wegen internationalem Drogenhandel gegen den Farao-Clan, der zur 'Ndrangheta gehört. Ermittler verdächtigten Mario L., für hochrangige Mitglieder des Farao-Clans aktiv gewesen zu sein. Die Ermittlungen wurden mangels Tatverdacht später eingestellt.

Im Zuge dieser Ermittlungen geriet damals auch der baden-württembergische CDU-Politiker Günther Oettinger ins Visier der Fahnder. Oettinger wurde später Ministerpräsident des Bundeslandes, wechselte dann nach Brüssel, wo er seitdem EU-Kommissar ist. Oettinger besuchte oft das Stuttgarter Restaurant von Mario L., der ihn "seinen Minister" nannte. Für die CDU-Landtagsfraktion organisierte Mario L. in seinem Restaurant "kalabresische Abende".

In aus dem Restaurant von L. geführten Telefonaten war immer wieder Oettingers Stimme zu hören, aber die Unterhaltungen gaben keinen Anlass für Ermittlungen gegen den Politiker. Teile der Aufzeichnungen wurden vernichtet. Der damalige Justizminister Baden-Württembergs, Thomas Schäuble, hatte Parteikollege Oettinger damals unter vier Augen informiert, dass sein Name bei Abhörmaßnahmen in Zusammenhang mit Ermittlungen gegen die Mafia aufgetaucht sei.

Ein späterer Untersuchungsausschuss im Stuttgarter Landtag kam zu dem Ergebnis, dass Schäubles Verhalten rechtens gewesen sei. Er habe so verhindert, dass Parteifreund Oettinger von der Mafia instrumentalisiert wurde. Günther Oettinger betont seitdem regelmäßig, keinen Kontakt mehr zu Mario L. zu haben.

Bereits zuvor wegen Mafia-Mitgliedschaft angeklagt

Auch italienische Ermittler gingen im Rahmen von Ermittlungen gegen den Farao-Clan gegen Mario L. vor: In den 90er-Jahren forderte ein Richter sechs Jahre Haft für Mario L. wegen Geldwäsche und Mitgliedschaft in einer mafiösen Vereinigung. Doch das Berufungsgericht Cosenza sprach ihn 1999 frei. Der dortige Richter hielt es zwar für erwiesen, dass Mario L. illegale Beziehungen zu der Führungsspitze des Clans unterhielt. Allerdings fehlte der Beweis, dass "der Angeklagte mithilfe eines Rituals in die kriminelle Vereinigung aufgenommen wurde".

Im Jahr 2010 taucht Mario L. dann wieder in italienischen Ermittlungsakten auf. Die Staatsanwaltschaft Rom ermittelte gegen den Politiker Nicola Di Girolamo, der unter Verdacht stand, mithilfe eines Wahlbetrugs in den Senat gelangt zu sein. Ein Clan der kalabrischen Mafia hatte in mehreren deutschen Städten Blanko-Wahlzettel der dort lebenden Italiener eingesammelt und zu Girolamos Vorteil ausgefüllt. Einer der involvierten Männer ließ in abgehörten Telefonaten keinen Zweifel, wo der Wahlerfolg gefeiert werden sollte: in Stuttgart. Denn dort besitze ein Mann, der ihnen von einer Vertrauensperson geschickt wurde, viele Restaurants. Italienische Ermittler gingen davon aus, dass es sich dabei um Mario L. handelte.

"Vier Jahre für seine Freunde im Knast"

Der Wirt aus Stuttgart taucht auch in den Akten eines jüngsten italienischen Ermittlungsverfahren aus dem Jahr 2015 gegen den 'Ndrangheta-Clan Grande Aracri auf. Ermittler hatten im Rahmen des Verfahrens das Auto eines Unternehmers verwanzt, der eng mit dem Clan-Boss vertraut war. In einem Gespräch berichtete der Unternehmer über Mario L. und bezeichnet ihn als "Freund, der in Deutschland immer schöne Lokale hatte" und der "vier Jahre für seine Freunde im Knast saß". Die kalabrischen Bosse Farao seien "seine Onkel". L. habe ihm den Volkswagen Passat geliehen, in dem die Männer fuhren. Tatsächlich konnten Ermittler überprüfen, dass der Wagen auf Mario L. zugelassen war.

Die 'Ndrangheta erzielt mit ihren geschätzt mehr als 50.000 Mitgliedern und Unterstützern den größten Umsatz aller Gruppierungen der organisierten Kriminalität. Laut Schätzungen setzt sie jährlich etwa 50 Milliarden Euro um. Ihre Erlöse aus kriminellen Geschäften wie Kokainhandel oder dem Schleusergeschäft mit Flüchtlingen wäscht die Mafia mithilfe von Firmen in der realen Wirtschaft. Die einzelnen Strafvorwürfe reichen in den aktuellen Ermittlungen von versuchtem Mord, Erpressung, Geldwäsche und Verstößen gegen das Waffengesetz über internationale Autoschiebung, illegalen Handel und illegale Verschiebung von Müll bis hin zu unlauterem Wettbewerb.

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Der Gruppierung sei es darüber hinaus gelungen, Einfluss auf bedeutende italienische Wirtschafts- und Handelszweige wie zum Beispiel die Herstellung und den Verkauf von Fisch, Wein und Backwaren zu nehmen und den Gewinn aus diesen Geschäften auch in Norditalien und Deutschland zu investieren.

In Deutschland sind Ermittlern etwa 300 'Ndrangheta-Mitglieder bekannt. Die tatsächliche Zahl dürfte allerdings viel höher sein. Insbesondere in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen ist die kalabrische Mafia stark. Die Mafia profitiert in Deutschland auch davon, dass die Mitgliedschaft in einer mafiösen Vereinigung keine Straftat ist und die Hürden für eine Abschöpfung illegal erlangter Vermögen bis vor Kurzem sehr hoch waren. Die Mafia nutzt in Deutschland Häfen wie Bremerhaven und Hamburg zum Schmuggeln von Kokain und wäscht über ihre Firmen in Gastronomie, Immobilien und Handel ihre Erlöse.

Der Autor ist Redakteur des Recherchezentrums Correctiv.org. Die Redaktion finanziert sich ausschließlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Ihr Anspruch: In monatelanger Recherche Missstände aufdecken und unvoreingenommen darüber berichten. Wenn Sie Correctiv.org unterstützen möchten, werden Sie Fördermitglied. Informationen finden Sie unter correctiv.org/unterstuetzen

Quellen:
– Correctiv.org
– dpa, Reuters, AFP
Video-Aufnahmen der Razzia bei RTL
Pressemitteilung des BKA

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