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Kolumne: "Was die AfD macht, ist deutschenfeindlich"


Rechtspopulismus im Bundestag
Was die AfD macht, ist deutschenfeindlich

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 23.02.2018Lesedauer: 4 Min.
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Die AfD-Fraktionschefs Alexander Gauland und Alice Weidel im Bundestag.Vergrößern des Bildes
Die AfD-Fraktionschefs Alexander Gauland und Alice Weidel im Bundestag. (Quelle: Archivbild/Gregor Fischer/dpa)

Cem Özdemir hat die AfD im Bundestag auseinandergenommen – zu Recht. Er zeigt auf, wie wenig die Rechtsradikalen und Rechtspopulisten von Deutschland verstanden haben. Der Abstieg der politischen Kultur in Deutschland fordert uns jedoch alle heraus.

Nein, in der Haut von Wolfgang Schäuble möchte man nicht stecken. Er mag sich gefreut haben, als er das zweithöchste Amt im Staat antrat, doch die Arbeit wird ihm in Zukunft einiges abverlangen. Dem Präsidenten des Deutschen Bundestags kommt die zentrale Aufgabe zu, das Treiben der AfD in Schranken zu halten.

Jede einzelne Sitzungswoche des Parlaments werden deren Abgeordnete ausnutzen, um zu provozieren, ihren radikalen Wählern, Anhängern und Sympathisanten Stoff zu geben und mediale Aufmerksamkeit zu erzwingen. Vor allem auf Schäuble wird es daher ankommen, Hetze von demokratischer zu akzeptierender Polemik zu trennen. Rechtsradikale Töne aus einem Deutschen Bundestag haben schließlich ein ganz besonderes Timbre.

Über "Wehret den Anfängen" sind wir offenbar schon hinaus

Was an diesem Donnerstag von der AfD im Bundestag zu hören war, ist eine Schande. Und nicht nur das. Nach und nach werden historische Schwellen überschritten, dem türkischstämmigen Journalisten Deniz Yücel werden implizit die Pressefreiheit und die deutsche Staatsbürgerschaft abgesprochen, extreme Haltungen wie die Vollverschleierung von Musliminnen werden zur pauschalen Ausgrenzung ganzer Gruppen genutzt. Über den Status "Wehret den Anfängen" scheinen wir 75 Jahre nach den Todesurteilen gegen Sophie und Hans Scholl und fast 90 Jahre, nachdem von deutschem Boden aus das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte seinen Anfang nahm, schon hinaus zu sein. Die Worte, die man heutzutage aus der Herzkammer der deutschen Demokratie wieder ertragen muss, sind unerträglich.

Dieser Abstieg der politischen Kultur geht uns alle an. Wir alle tragen Verantwortung dafür, zuvorderst natürlich die Wähler der AfD, aber auch die anderen sind Teil dieses Gemeinwesens und die AfD ist ein Produkt dieses Gemeinwesens. Sich heute achselzuckend abzuwenden, ist fahrlässig. Sich in Sicherheit zu wiegen, weil die AfD ja vermeintlich nur Minderheiten attackiert, denen man selbst nicht angehört, ist naiv. Dass ich als Deutsche mit arabischen Wurzeln und als Muslimin zu den ersten gehören muss, die aufbegehren, ist naheliegend. Aber tauschen Sie die Worte Araber/Türken, Muslime/Islam in den Aussagen der AfD-Politiker beliebig aus, und auch Sie werden erkennen, welche verbalen Brandsätze dahinterstecken und wie leicht man zum Ziel werden kann – selbst wenn man deutsch-deutsch ist.

Alte Ideologie der gruppenbezogenen Ausgrenzung

In jedem Jahrzehnt der neueren deutschen Geschichte finden Sie eine Alternative zu Araber/Türken, Muslime/Islam: mal waren es Protestanten, mal Katholiken, mal Hugenotten, mal waren es Polen, mal Flüchtlinge aus Ostpreußen, Schlesien, Pommern, mal Italiener, immer waren es Juden. Es ist diese alte Ideologie der gruppenbezogenen Ausgrenzung, die auch in unserer modernen Gesellschaft die Oberfläche längst wieder durchstoßen hat, die zu den Unmenschlichkeiten unserer deutschen Geschichte geführt haben. Und in jedem dieser vergangenen Jahrzehnte gab es stets Agitatoren, die die Hetze gegen andere mit vermeintlich sachlichen Argumenten verteidigt haben. Zu einem guten Ende hat all das nie geführt.

Deshalb gilt meine Hochachtung dem Abgeordneten Cem Özdemir, der die AfD am Donnerstag im Bundestag auseinandergenommen hat. Mit einer Schärfe, die der Sache uneingeschränkt angemessen ist. Schauen Sie sich die Rede an: Sie mit meinen Worten hier wiederzugeben, wird ihr nicht gerecht. Auch andere haben sich der AfD entgegengestellt – mit Humor, Häme, Sachlichkeit, Wut, Zorn.

Die Hetzer machen inhaltlichen Austausch vielerorts zunichte

Ich weiß nicht, was der richtige Weg im Umgang mit der AfD ist. Wünschenswert wäre es vielleicht, wenn man sie rechts liegen und sie sich einfach in ihrem braunen Sumpf abstrampeln ließe, und sich den eigentlich wichtigen politischen Themen im Land zuwenden würde – und das sind nicht jene, die die AfD-Anhänger mithilfe von Trollfabriken in den (a)sozialen Medien künstlich pushen; im Grunde kann ich inzwischen eh nur noch jedem anraten, Twitter, Facebook, Youtube, Instagram etc. oder Onlinekommentarspalten im Politischen zu ignorieren, die Hetzer haben auf vielen Sites längst jeglichen inhaltlichen Austausch zunichte gemacht.

Nur wenn an solch prominenter Stelle wie dem Bundestag derart unsäglich gezetert wird, kann man nicht schweigen. Dann muss es Widerstand geben. Welcher Art dieser Widerstand sein sollte, auch da bin ich mir nicht sicher. Einige fordern eine sachliche Auseinandersetzung mit der AfD. Aber was bitte ist an deren Antrag zu Deniz Yücel sachlich? Auf alles, was von der AfD kommt, mit Empörung zu reagieren, wertet sie wiederum auf und ist Wasser auf die Mühlen ihrer Opferhaltung und Selbstbemitleidung. Vielleicht haben mir deshalb die hämischen und humorvollen Kommentare der Bundestagsabgeordneten gestern am besten gefallen. Einerseits ist die AfD eine konkrete Gefahr, weil sie mit ihren zunehmend hemmungsloseren öffentlichen Äußerungen Teile der deutschen Bevölkerung radikalisiert, andererseits kommt inhaltlich so viel Blödsinn von der AfD, dass man sie nicht ernst nehmen kann.

Ich selbst musste aufgrund von Anfeindungen meinen Beruf aufgeben

Es ist nicht einfach, sich gegen die völkische, rassistische und autoritäre Ideologie zu stellen, die der AfD und ihren freiwilligen oder unfreiwilligen Helfershelfern seit Jahren Auftrieb verleihen. Aufgrund massivster Anfeindungen, musste ich bereits vor gut zwei Jahren mitten in Deutschland meinen Beruf als Lehrerin aufgeben, weil ich in meinem Buch "Die Zerreißprobe: Wie die Angst vor dem Fremden unsere Demokratie bedroht" diese Gefahr aufzeigen wollte. Doch wenn die schweigende Mehrheit der Bevölkerung jetzt nicht handelt, um unser großartiges Land und unsere Freiheit, zu leben wie wir wollen, für uns und unsere Nachkommen zu bewahren, dann könnte es schneller als gedacht zu spät sein.

Ich lasse mir von Leuten, die genauso wie ich in Deutschland geboren und sozialisiert wurden, mein Deutschsein nicht absprechen. Deutsch ist nicht allein, wer deutsche Eltern hat. Gerade solchen Menschen, die unsere offene Gesellschaft bekämpfen und Kriterien für eine Volkszugehörigkeit anlegen, die sie selbst nicht mal ansatzweise definieren können, denen bescheinige ich Deutschenfeindlichkeit. Sie haben nichts von Deutschland und seiner Geschichte verstanden. Ich persönlich bin stolz darauf, Deutsche zu sein. Und dazu leiste ich, wie viele Millionen andere meiner Mitbürger, meinen Beitrag.

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