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Kolumne: Das bedeuten Ostern und Jesus für den Islam


Ostern und Jesus für den Islam
Muslime verstehen das Konzept "Sohn Gottes" nicht


Aktualisiert am 31.03.2018Lesedauer: 7 Min.
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Die Bibel und der Koran: Einige Kapitel sind sich sehr ähnlich.Vergrößern des Bildes
Die Bibel und der Koran: Einige Kapitel sind sich sehr ähnlich. (Quelle: Christian Charisius/dpa)

War Jesus Gottes Sohn oder "nur" ein Prophet? Diese Frage beschäftigte auch t-online.de-Kolumnistin Lamya Kaddor in ihrer Jugend. In ihrem Buch schreibt die Muslimin über ihren ersten Kontakt zum Christentum.

Den deutsch-iranischen Schriftsteller, Islamwissenschaftler und Muslim Navid Kermani erfasst beim Nachdenken "Über das Christentum" ein "ungläubiges Staunen". Für sein gleichnamiges Buch sucht er die Annäherung an diese Religion über die christliche Kunst. Etwa beschreibt er seine Emotionen bei der Betrachtung von Michelangelo Merisi da Caravaggios berühmtem Gemälde "Der ungläubige Thomas", der dem auferstandenen Jesus skeptisch tastend den Zeigefinger in die Seitenwunde schiebt.

Kermani bekundet daraufhin seine Bewunderung für die Kraft der Liebe, die er bei Christen erkennt und die aus mehr als reiner Nächstenliebe bestehe: "Die Liebe bei vielen Christen geht über das Maß hinaus, auf das ein Mensch auch ohne Gott kommen könnte: Ihre Liebe macht keinen Unterschied."

Christentum entdeckt

Meinen Zugang zum christlichen Glauben fand ich früher, und im wahrsten Sinne des Wortes geschah es eher en passant. Wie bei Kermani war es Jesus, mit dem die Auseinandersetzung begann. Doch sah ich ihn nicht auf einem Gemälde von Caravaggio. Ich hatte als Kind einen relativ kurzen Schulweg und musste nur zehn Minuten laufen, um am Städtischen Gymnasium anzukommen. Mein Schulweg war ein besonders katholischer. Zweimal am Tag lief ich auf dem Hin- und Rückweg an zwei Kirchen vorbei, der Pfarrkirche St. Marien und der Pfarrkirche St. Bartholomäus sowie an einem beinahe menschengroßen Kruzifix.

Diese Darstellung des gekreuzigten Jesu zog mich auf eine gewisse Art in den Bann. In der ganzen Zeit wurde ich nie müde, jedes Mal, wenn ich ihm entgegenlief, den ausgemergelten, lediglich von einem Lendenschurz bedeckten Körper, das gesenkte Haupt und die Dornenkrone darauf zu betrachten – selbst wenn es nur für einen flüchtigen Augenblick war, weil ich aus Angst, zu spät zum Unterricht zu kommen, in Eile war oder mit dem Fahrrad fuhr oder mit Freunden zusammen ging und mit ihnen quatschte. Er konnte sich meiner Aufmerksamkeit stets gewiss sein.

Gearbeitet aus weißem Holz, hängt er noch heute unter einem Baldachin an der Außenmauer eines Gebäudes in Ahlen. Neugierig schaute ich diesem Jesus ins Gesicht, um den Schmerz seiner Kreuzigung nachzuempfinden, aber er litt gar nicht. Sein Gesicht war nicht schmerzverzerrt. Vielmehr wirkte er friedlich in seinem Sterben. Doch war das möglich? Konnte man so friedlich sterben? Diese Frage stellte ich mir.

Kann man für den Frieden sterben?

Warum starb Jesus am Kreuz friedlich, wo er doch Nägel in Händen und Füßen hatte? Die Frage nach diesem "in Frieden sterben" wandelte sich für mich mit fortgeschrittenem Alter zu der Frage, ob man "für Frieden und Liebe sterben" könnte. Neun Jahre lang begegnete ich dem Kruzifix fast täglich, einmal morgens und einmal nachmittags, sodass wir uns hochgerechnet bestimmt mehr als 3000 Mal getroffen haben. Jesus faszinierte mich genauso, wie er mich befremdete.

Dieser Mensch, der da am Kreuze hing und damit das Christentum symbolisieren sollte, ist mir vertraut und gleichzeitig fern. Wie kann so etwas Gewaltvolles für eine Religion der Nächstenliebe stehen? Das ist wohl die häufigste Frage, die sich Muslime, Juden oder andere Nichtchristen beim Anblick des Gekreuzigten stellen. In Liebe und aus Liebe für die Menschen sterben, um ihre Sünden damit zu tilgen, ist zwar zutiefst christlich, dennoch fühle ich mich als Muslimin diesem Gedanken nah. Denn Gott hat den Menschen und die Erde und die Tiere aus Liebe erschaffen und nicht, weil er sie braucht oder von ihnen abhängt.

Dieser Akt der unbedingten Liebe weckt in mir einen positiven Bezug. Und dann wieder zeigt mir der Sühnetod Jesu zugleich die Grenzen der Gemeinsamkeiten auf: Die Schuld der Menschen auf sich zu nehmen hängt mit dem christlichen Schöpfungsbericht zusammen, der dem Menschen nach dem Sündenfall Adam und Evas eine Erbsünde zuschreibt. Der Kirchenvater Augustinus lehrt, erst die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus – dessen Kreuzigung und Auferstehung – ermögliche es, dass Gott dem Menschen die nötige Gnade erweise, um diese Erbsünde zu tilgen und erlöst zu werden – vorausgesetzt, ein Kind habe das Sakrament der Taufe erhalten. Islamische Gelehrte sehen das anders.

Im Islam begehen Eva und Adam die Erbsünde

Der Koran kennt zwar den Sündenfall, der Unterschied zum Christentum beginnt aber bereits damit, dass nicht die Frau, Eva, ihren Mann, Adam, verführt. Der Koran sagt in Sure 20, Vers 121: "Da aßen sie BEIDE davon"; gemeint ist der "Baum der Ewigkeit", der in der biblischen Paradieserzählung "Baum der Erkenntnis" heißt. Mann und Frau übertraten hier also gemeinsam das Gebot Gottes. Sie baten Gott um Verzeihung, und anders als im Christentum verzeiht ihnen der Schöpfer. Er trägt ihnen dennoch auf, das Paradies zu verlassen, um auf der Erde im Guten miteinander zu wetteifern.

Auch wenn ich den Tod Jesu als erlösendes Moment nachvollziehen kann, glaube ich nicht an die heilsgeschichtliche Deutung der christlichen Theologie, was mich somit keine Christin sein lässt.

Jesus als wichtiger Prophet

Vermutlich um die Unterschiede zum Christentum noch stärker herauszustellen, gehen Muslime ferner davon aus, dass Jesus nicht tatsächlich am Kreuz gestorben ist. Im Koran taucht er unter dem Namen Isa auf und wird als wichtige prophetische Figur verehrt. Sure 4 Vers 157 sagt: "Aber sie haben ihn weder getötet noch gekreuzigt, doch kam es ihnen so vor." Somit entfällt im Islam auch die Auferstehung am dritten Tag. Ausgehend von dieser Koranpassage warfen Theologen und Islamwissenschaftler die Frage auf, ob man nicht eine Verbindung ziehen könnte zu den Spekulationen bestimmter christianisierender Strömungen, wonach Jesus bei der Kreuzigung durch Simon von Cyrene ersetzt worden sei, wie es im zweiten Jahrhundert etwa von Gnostikern wie Basilides von Alexandria oder im Doketismus behauptet wurde. Simon ist derjenige, der nach den Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas für Jesus das Kreuz auf den Berg Golgatha trug.

"Er ist Gott, ein Einziger"

Keine Frage, solche wissenschaftlichen Diskurse interessieren die meisten Muslime wenig. Oft verweisen sie nur auf einen Teilaspekt, wenn sie den Unterschied zwischen Islam und Christentum benennen sollen: die Gottessohnschaft Jesu. Diese Trinitätslehre können die wenigsten nachvollziehen. Muslime lernen, dass Gott nur ein Einziger ist. Dieser tauhîd-Gedanke ist das Zentrum allen theologischen Denkens im Islam. Gläubige Muslime nehmen ihn quasi mit der Muttermilch auf.

Eine Sure, die Muslime ihren Kindern als eine der ersten beibringen, sie gehört zu den kürzesten und am einfachsten zu erlernenden, ist die Sure 112 – für mich zählte sie ebenfalls zu den ersten Suren, die ich auswendig aufsagen konnte. Darin heißt es: "Sag: Er ist Gott, ein Einziger. Gott ist der ewig Lebende. Er hat weder Kinder gezeugt, noch ist er selbst gezeugt worden. Nichts und niemand ist ihm gleich." Vater = Sohn = Heiliger Geist – diese Wesenseinheit Gottes kennen Muslime so nicht. Wenn mich jemand danach fragt, wie Christen bloß daran glauben können, dass Jesus der Sohn Gottes sei, frage ich jedoch "ketzerisch" zurück: "Warum kann er das denn nicht sein?" "Na, Gott ist ein Einziger und nicht drei. Das ist doch Schirk – Vielgötterei." – "Welche Worte sagst du, wenn du dein Gebet beginnst?" – "Allahu akbar – Gott ist der Größte oder größer als alles andere." – "Richtig! Und was bedeutet das?" – "Dass niemand ihm gleich ist, dass er allmächtig ist!" – "Exakt. Er ist allmächtig. Und wenn er allmächtig ist, wieso kann er dann keinen Sohn haben?" – "Na, weil im Koran explizit gesagt wird, er habe nicht gezeugt!" – "Stimmt, nicht im menschlichen Sinne mit der Hilfe einer Frau. Aber schließt das aus, dass er sich womöglich selbst inkarniert hat? Ein allmächtiger Gott hätte das tun können. Und wenn er es getan hätte und auf Erden gewandelt wäre, wäre es aus Sicht von Menschen dann nicht naheliegend, so eine Gestalt als ›Sohn‹ zu bezeichnen?"

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So oder so ähnlich habe ich es meinen Schülern erklärt, weil ich dieses dumpfe Trinitäts-Bashing nicht leiden kann. Wir Muslime glauben an die Allmacht Gottes, somit wäre es theoretisch möglich, dass Gott einen Sohn hatte. Wir glauben nur nicht, dass es tatsächlich so gewesen ist.

"Falsch" und "blasphemisch"

Dieser feine Unterschied scheint jedoch nicht nur für Muslime eine Herausforderung zu sein. Von einer deutschen Behörde, die in der politischen Bildung aktiv ist, nahm ich den Auftrag an, für eine Kinderseite im Internet eine interaktive Einführung in den Islam zu gestalten. In einem Text für dieses Projekt erzählte ich von Jesus, der im Islam Isa genannt und als Prophet verehrt wird. Isa ist für Muslime besonders wichtig, beispielsweise weil er es dem sunnitisch-islamischen Glauben nach sein wird, der am Ende aller Tage als Messias zurückkehrt, um die Gerechtigkeit auf Erden wiederherzustellen.

Mein Text wurde von der Behörde inhaltlich abgenommen, und es kam zu einer ungewöhnlichen Rückmeldung. Eine katholische Theologin habe den Text redigiert, und meine Ausführungen seien an dieser Stelle theologisch "falsch", sogar "blasphemisch". Jesus sei nicht nur ein Prophet, er sei Gottes Sohn. Man möge es mir zugestehen, aber es war wieder eine der seltenen Situationen in meinem Leben, in denen ich perplex war. Erstaunt erwiderte ich, dass das natürlich fürs Christentum stimmen mochte, für den Islam nicht. Daraufhin kontaktierte mich die katholische Theologin per Telefon und erläuterte mir, dann sollte ich als Muslimin vielleicht lieber nicht über Jesus und das Christentum schreiben. Jesus sei der Sohn Gottes, das könne ich nicht leugnen. Punkt. Manchmal komme ich mir vor wie in einem falschen Film.

Interreligiöser Dialog

In solchen Situationen schaue ich mich suchend um. Irgendwo muss doch eine versteckte Kamera stehen und in jedem Moment Guido Cantz freudestrahlend hinter der nächsten Ecke hervorspringen und rufen: "Verstehen Sie Spaß?" Es kostete mich einige Mühe, Ruhe zu bewahren und meiner Gesprächspartnerin zu vermitteln, dass man mich als islamische Religionspädagogin gebeten hatte, einen Text zum Verständnis des Islam zu schreiben – und zwar aus einer Binnenperspektive heraus. Ihre Antwort lautete, das sei wohl zutreffend, dennoch könne es nicht sein, dass ich Jesus nicht als Gottes Sohn darstellte.

Da könne man nichts machen, der Absatz müsse geändert oder gestrichen werden. Das nenne ich mal unverbesserliche Renitenz. An dieser Stelle war es geboten, die clowneske Szene am Telefon erst einmal zu beenden und sich zu sammeln. Das Ende vom Lied war recht unspektakulär: Die Redaktion musste einlenken, da ich den Text sonst ganz zurückgezogen hätte. Wie man an dieser Episode sehen kann, haben wir alle noch einen Weg vor uns, wenn es darum geht, einen vernünftigen Umgang mit unseren jeweils geschwisterlichen Religionen zu finden.

Lamya Kaddor ist Religionswissenschaftlerin. In ihrem Buch "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" beschreibt sie anhand der eigenen Biographie muslimisches Leben in Deutschland .

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