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Polizeigewalt: Warum kaum ein Beamter im Dienst verurteilt wird


Polizeigewalt
Warum kaum ein Polizist wegen Gewalt im Dienst verurteilt wird


Aktualisiert am 25.05.2018Lesedauer: 6 Min.
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Ein Polizist hält einen Schlagstock: Nur sehr selten werden Polizisten wegen unnötiger Gewalt zur Verantwortung gezogen.Vergrößern des Bildes
Ein Polizist hält einen Schlagstock: Nur sehr selten werden Polizisten wegen unnötiger Gewalt zur Verantwortung gezogen. (Quelle: Silas Stein/dpa)

Nur drei Prozent aller Strafverfahren gegen die Polizei kommen am Ende vor Gericht. Ein Forscher der Uni Bochum will nun aufklären, welche Gründe das hat.

Anfang Mai, Berlin: Die Polizei stürmt in den frühen Morgenstunden eine Unterkunft für minderjährige Flüchtlinge, die ohne ihre Eltern in Deutschland leben. Die Beamten vermuten in einem der Zimmer Beweismaterial – der Junge ist wegen Raubes beschuldigt und war in der Vergangenheit durch Gewaltdelikte aufgefallen. Doch mit in der WG leben auch zwei Teenager, die nicht verdächtigt sind, eine Straftat begangen zu haben.

Das Resultat aus einer Stunde Polizeieinsatz: Drei verletzte Jugendliche, einer der beiden muss für Tage ins Krankenhaus. Die Beamten sollen ihn in einen Glasschrank geworfen haben. Die Splitter müssen aus seinem Arm operiert werden. Das Landeskriminalamt will die Vorwürfe klären.

Falschparken führt zur Tumulten

Sommer 2017, Duisburg-Bruckhausen: Ein Wagen steht im Parkverbot. Mehmet K. lädt seinen Kofferraum aus. Polizeibeamte sprechen ihn an, wollen seinen Papiere sehen. Die Situation eskaliert. Ein Video zeigt, wie plötzlich dutzende Passanten der Polizei gegenüberstehen. Die reagiert mit Pfefferspray. Und mit Gewalt. K. verbringt die Nacht im Krankenhaus. Er zeigt einen Polizisten, der ihn geschlagen und getreten haben soll an. Ein Gericht verurteilt den Beamten. Der Polizist legt Berufung ein.

G20-Gipfel 2017, Hamburg: Das Treffen des politischen Who-is-Who wird begleitet von schweren Ausschreitungen zwischen der Polizei und Demonstranten. Unter ihnen Steinewerfer und vermummte Autonome, die Geschäfte plündern und Autos anzünden. Doch ebenfalls auf der Straße: friedliche Demonstranten.

Ein heikler Ort für Polizeibeamte, ein gefährlicher für Protestler. Ein Dutzend Beamte der Polizeihundertschaft stürmt los. Ein Schlag, ein Demonstrant stürzt zu Boden, krümmt sich. Der damalige Hamburger Bürgermeister und heutige Finanzminister Olaf Scholz sagt später: "Polizeigewalt hat es nicht gegeben." 115 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten gibt es trotzdem. Anklagen bleiben lange aus.

Drei Fälle, ein Problem

Wie geht die Polizei mit ihrem Recht auf Gewaltausübung um? Und was passiert, wenn Menschen zu Unrecht von der Polizei angegriffen werden? Das soll nun eine Studie klären. Denn nur die wenigsten Strafverfahren gegen Polizeibeamte führen zu einer Verurteilung. Tobias Singelnstein möchte herausfinden, warum das so ist. Er ist Rechtswissenschaftler und Professor für Kriminologie an der Ruhr-Universität in Bochum.

In der Untersuchung will der Forscher die Opferperspektive ergründen. Wie reagieren Menschen, die Polizeigewalt erlebt haben? Erstatten sie Anzeige?

Herr Singelnstein, Studien über Polizisten, die Opfer von Gewalt werden, gibt es bereits. Sie drehen die Perspektive jetzt um und wollen prüfen, in welchen Situationen die Polizei selbst unrechtmäßige Gewalt ausübt. Warum?

Tobias Singelnstein: Anlass waren Statistiken wie mit Strafverfahren wegen Körperverletzung im Amt umgegangen wird. In denen sehen wir, dass lediglich drei Prozent der Anzeigen zur Anklage gebracht werden. Der absolute Großteil der Verfahren wird durch die Staatsanwaltschaften eingestellt. Das ist ein auffälliger Befund, der von anderen Strafverfahren massiv abweicht. Warum das so ist und wie groß das Dunkelfeld ist, also die Zahl der Betroffenen, die aus bestimmten Gründen von einer Anzeige gegen die Polizei absehen, wollen wir nun erforschen.

Woher stammen diese Statistiken?

Seit den 1980er Jahren gibt es eine Diskussion, dass Verfahren gegen Polizisten von den Strafverfolgungsbehörden anders behandelt werden als bei anderen Verdächtigen. Lange konnte man dies statistisch nur sehr aufwändig untersuchen. Seit 2009 gibt es in der sogenannten Staatsanwaltschaftsstatistik einen gesonderten Bereich über Verfahren gegen Polizeibeamte wegen unrechtmäßiger Gewaltausübung. Dieser ist extra eingeführt worden, um zu schauen, wie die Justiz mit solchen Verfahren umgeht.

Was könnten Gründe für die geringe Zahl an Verurteilungen von Polizisten sein?

Sicherlich gibt es eine gewisse Anzahl unberechtigter Anzeigen gegen Polizisten. Besonders, weil Bürger die Befugnisse der Beamten nicht genau kennen und nicht wirklich einschätzen können, ob das polizeiliche Handeln im Einzelfall rechtmäßig oder doch rechtswidrig war. Aber das ist ein Teil der Fälle. Daneben muss man berücksichtigen, dass wir es in diesen Strafverfahren häufig mit einer schwierigen Beweissituation zu tun haben. In der Regel steht in solchen Verfahren Aussage gegen Aussage, nämlich auf der einen Seite die mehrerer Polizeibeamter und auf der anderen Seite häufig nur die eines Betroffenen.

Was bedeutet das vor Gericht?

In dieser Situation müssen die Staatsanwaltschaft und später auch das Gericht prüfen, welcher Seite sie mehr Glauben schenken. Dabei ergeben sich verschiedene Probleme: Erstens sagen Polizisten in der Praxis ganz selten gegen die eigenen Kollegen aus. Und zweitens steht die Polizei in der Glaubwürdigkeitshierarchie der Justiz sehr weit oben. Das ist menschlich gut nachvollziehbar, schließlich arbeiten Polizei und Staatsanwaltschaft als Institution täglich zusammen, führt in diesen Fällen aber zu einer problematischen Gewichtung.

Welche Arten von Polizeigewalt untersuchen Sie in Ihrer Studie?

Die Polizei darf in bestimmten Situationen Gewalt einsetzen, das Gesetz nennt das unmittelbaren Zwang. Diese Form des rechtmäßigen Gewalteinsatzes interessiert uns in der Studie nicht. Wenn aber die rechtlichen Voraussetzungen der Polizeibefugnisse nicht gegeben sind, wenn die Grenzen der Normen überschritten werden, dann handelt es sich um eine strafbare Körperverletzung im Amt. Das ist das, was uns interessiert.

Wo finden sich diese Normüberschreitungen?

Das ist ein sehr breites Feld und kann in allen Einsatzlagen der Polizei vorkommen. Es betrifft nicht nur Demonstrationen oder Einsätze bei Fußballspielen, sondern kann auch in ganz alltäglichen Einsätzen vorkommen. Angefangen bei kleinen Grenzüberschreitungen, die im Eifer des Gefechts oder in einer Stresssituation entstehen. Ein Schlag zu viel oder ein Tritt zu viel, der dann unverhältnismäßig ist. Aber es gibt auch sogenannte Widerstandbeamte, also Beamte, bei denen solche Verhaltensweisen gehäuft auftreten. Und es gibt Fälle, in denen sich rechtswidrige Praxen in ganzen Polizeieinheiten etabliert haben.

Wie wollen Sie unrechtmäßige Gewalt von Polizisten genau untersuchen?

Uns interessieren in der Studie vor allem das Dunkelfeld und das Anzeigeverhalten der Opfer von Polizeigewalt. Wir wollen die Gründe erforschen, warum Menschen Anzeige gegen Polizisten erstatten oder es nicht tun. Deshalb machen wir im ersten Teil eine quantitative Opferbefragung. Wir versuchen so viele Leute wie möglich zu erreichen und befragen sie, wie sich das Ganze aus ihrer Sicht dargestellt hat. Der zweite Teil sind qualitative Interviews mit Personen, die spezielles Wissen in diesem Bereich haben, etwa Polizeibeamte und Opferberatungsorganisationen.

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Wie finden Sie Opfer von Polizeigewalt?

Wir wollen im Herbst mit der Befragung starten. Dies werden wir dann über soziale Medien, Opferberatungsstellen und über die Presse bekannt machen, sodass sich möglichst viele Leute beteiligen. Entweder online oder über eine telefonische Befragung.

Wie ermitteln Sie, ob es sich tatsächlich um Opfer von Polizeigewalt handelt?

Da stehen wir natürlich vor dem gleichen Problem wie jede Opfer- oder Täterbefragung. Man kann nie mit absoluter Sicherheit sagen, dass die Beteiligten wahrheitsgemäß antworten oder die Sachlage richtig einschätzen. Diese Problematik werden wir natürlich methodisch berücksichtigen.

Nachdem öffentlich wurde, dass sie eine solche Studie planen, gab es sofort Kritik von Seiten der Polizei. Sie würden die Beamten an den Pranger stellen, sagte ein Polizist. Ärgert Sie das?

Die Polizei hat ganz besondere Befugnisse. Insbesondere ist es ihr gestattet, Gewalt einzusetzen. Das ist in einem Rechtsstaat dann auf der anderen Seite mit der Verpflichtung verbunden, sich auch einer besonderen Kontrolle zu unterziehen.

Weil nur so sichergestellt werden kann, dass die Polizei ihre Befugnisse nicht ausnutzt?

Es ist nun einmal Tatsache, dass es Körperverletzungen im Amt durch Polizeibeamte gibt. Alles andere wäre ehrlich gesagt auch extrem verwunderlich, weil die Polizei jeden Tag tausendfach unmittelbaren Zwang einsetzt. In den meisten Fällen ist das vom Gesetz gedeckt. Aber es gibt eben auch Grenzüberschreitungen und Fehler. Es würde der Polizei gut zu Gesicht stehen, wenn sie sich mit diesem Problem auseinandersetzen und eine Fehlerkultur entwickeln würde. Die Haltung: Wir haben gar kein Problem und verstehen auch nicht, warum das untersucht werden sollte, hilft glaube ich niemandem.

Sie gehen davon aus, dass das Dunkelfeld bei Anzeigen gegen die Polizei groß ist. Was sind Gründe, warum Menschen Polizeibeamte nicht anzeigen?

Aus der kriminologischen Forschung wissen wir, dass zwei Dinge bei der Entscheidung über die Anzeigeerstattung besonders bedeutsam sind. Wichtig ist, welches Vertrauen die Person in die Behörden und die Polizei hat. Es ist nachvollziehbar, dass bei jemandem, der Opfer von rechtswidriger Polizeigewalt geworden ist, dieses Vertrauen nicht sonderlich gut ausgeprägt sein wird. Zum anderen spielen die Erfolgsaussichten einer Anzeige eine große Rolle. Und da ist es kein Geheimnis, dass Anzeigen gegen die Polizei nur sehr selten überhaupt zu Gericht und noch seltener zu einer Verurteilung führen. Außerdem raten Rechtsanwälte in der Praxis häufig von einer Anzeige ab, weil die Verfahren langwierig und häufig auch mit Gegenanzeigen verbunden sind.

Wie viele Opfer von Polizeigewalt wollen Sie in ihrer Studie befragen?

Eine repräsentative Befragung wäre methodisch nicht umzusetzen, weil dafür die Fallzahlen zu gering sind. Ich bin aber optimistisch, dass wir mehrere Hundert Opfer finden werden. Alleine schon die Rückmeldungen, die wir auf unsere ersten Pressemitteilungen bekommen haben, zeigen, dass viele Leute ihre Erfahrungen berichten wollen.

Wann rechnen Sie mit ersten Ergebnissen?

Die Studie wird für zwei Jahre von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Spätestens am Ende der zwei Jahre werden wir die Ergebnisse vorlegen.

Was soll mit den Ergebnissen geschehen?

Die Ergebnisse werden in Form von Aufsätzen und mindestens einem Buch veröffentlich. Es soll auch eine Abschlusskonferenz geben und natürlich wollen wir uns mit allen Gruppen, die mit dem Thema in Verbindung stehen, auseinandersetzen und die Ergebnisse diskutieren.

Vielen Dank für das Gespräch.

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