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Karl Lauterbach: Geplante Entführung – Brisanter Brief aus JVA aufgetaucht


Prozess um Lauterbach-Entführungspläne
Brisanter Brief: "Reichsbürger" sollen "zeigen, wer die Macht hat"

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 10.08.2023Lesedauer: 4 Min.
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Michael H.: Er steht im Verdacht, dass er einen Brief aus dem Gefängnis schmuggeln wollte.Vergrößern des Bildes
Michael H.: Er steht im Verdacht, dass er einen Brief aus dem Gefängnis schmuggeln wollte. (Quelle: Boris Roessler/dpa)

Brisanter Vorfall am Rande des Prozesses gegen die mutmaßliche Terrorgruppe, die einen Staatsstreich plante: Vorbei an allen Wärtern sollte ein Unterstützer eine Anweisung aus dem Gefängnis bekommen.

Es ist an jedem Prozesstag die gleiche Szene: An Wachtmeister gekettet werden die fünf Angeklagten, denen die Planung einer Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach vorgeworfen wird, in den Koblenzer Gerichtssaal zu ihren zehn Anwälten geführt. Erst kurz vor Sitzungsbeginn werden ihnen die Handschellen abgenommen, aber selbst in kurzen Pausen sofort wieder angelegt.

Nun kam heraus: Die strengen Maßnahmen haben einen guten Grund. Einer der Angeklagten soll versucht haben, aus dem Gefängnis einem Unterstützer einen Brief zukommen zu lassen. Deshalb wollte das Gericht die Vorschriften nicht lockern.

JVA und Bundesanwaltschaft schweigen über Details

Verfasser des illegalen Schreibens soll der Angeklagte Michael H. gewesen sein. Sein Brief war für einen Unterstützer außerhalb des Gefängnisses gedacht und enthielt die Aufforderung, "in Massen zur Verhandlung zu erscheinen und zu zeigen, wer die Macht hat". Immerhin: Verbunden war das offenbar mit der Aufforderung, friedlich zu bleiben.

Der Brief wurde entdeckt. Wie, darüber darf die Justizvollzugsanstalt Trier, in der H. einsitzt, angesichts der Brisanz nichts sagen – auf Geheiß der Bundesanwaltschaft. Und die Bundesanwaltschaft schweigt.

H. wird von der Anklage dem administrativen Arm der mutmaßlichen Terrorgruppe zugerechnet. Der Alleinunterhalter aus der Nähe von Oldenburg, der für eine Comedy-Nummer gern Polizeiuniform trug, soll unter anderem als Verbindungsmann der Gruppe zu einem Geldgeber fungiert haben. Die Anklage wirft der Gruppe vor, neben der Entführung von Lauterbach auch einen Staatsstreich geplant zu haben.

Dabei soll H. außerdem die Aufgabe gehabt haben, ein Double des Bundespräsidenten oder des Bundeskanzlers zu organisieren. Dieses Double sollte in einer Ansprache verkünden, dass die Regierung gestürzt ist. Die Pläne dazu waren aber offenbar noch nicht sehr weit fortgeschritten.

H. war gut vernetzt in die "Reichsbürger"- und "Querdenker"-Szene und mit einem eigenen Kanal auf Telegram und einer Streamingplattform aktiv. Dort hatte er etwa den nach Tansania ausgewanderten Arzt Bodo Schiffmann zu Gast, der als einer der Führungsfiguren der deutschen Coronaleugner-Szene gilt.

Verteidiger planen Stellungnahme zum Brief

Als Wahlverteidiger hat H. sich den Szeneanwalt Martin Kohlmann ausgesucht, den Vorsitzenden der rechtsextremen "Freien Sachsen". Kohlmann ist bei dem Prozess bisher nicht zu sehen gewesen. H.s Pflichtverteidiger wollen im Verlaufe des Prozesses gesondert auf den Brief eingehen, sie ziehen in Zweifel, dass H. tatsächlich der Verfasser war.

Zugetragen hat sich der brisante Vorfall bereits im April vor dem ersten Prozesstag. Dass er jetzt bekannt wurde, liegt an einem Antrag des Verteidigers eines der anderen Angeklagten. Dieser wollte erreichen, dass die aufwendigen Sicherheitsvorkehrungen zurückgefahren werden. Die zuständige Richterin Anne Kerber, Vorsitzende des Staatsschutzsenats beim Oberlandesgerichts Koblenz, lehnte dies unter anderem mit Verweis auf den Vorfall im April ab.

Zunächst ging es um die Frage, ob die Angeklagten Handschellen weiterhin auch in kurzen Pausen tragen müssen – mögliche Fluchtgefahr trotz der Präsenz von acht Wachtmeistern im Saal. Das sei aber immer noch das mildere Mittel als die Variante, die Angeklagten für die Pausen in Gewahrsamszellen bringen zu lassen, so die Richterin. Derzeit können Verteidiger Unterbrechungen zu Besprechungen mit den Angeklagten nutzen.

Denn das ist das Nächste, was die Anwälte stört: Wenn sie in der Justizvollzugsanstalt mit ihren Mandanten sprechen wollen, ist immer eine Trennscheibe dazwischen, das macht das gemeinsame Lesen von Akten schwierig. Wenn sie ihnen Akten in die JVA schicken wollen, ist ein sogenannter Leserichter zwischengeschaltet.

Dieser kann laut Paragraf 148 des Strafgesetzbuches eingesetzt werden, wenn der Beschuldigte der Bildung einer terroristischen Vereinigung verdächtig ist. Dem "Leserichter" bzw. "Überwachungsrichter" müssen alle Schriftstücke der Kommunikation zwischen Verteidigung und Angeklagten zunächst vorgelegt werden.

Bis er Unterlagen geprüft hat, können Wochen vergehen. Aus Sicht der Verteidiger wird damit die Möglichkeit einer angemessenen Verteidigung der Angeklagten eingeschränkt. Außerdem liest der Leserichter auch die eigentlich geschützte Kommunikation zwischen Anwälten und Verteidigern mit.

Otto Schily stand unter Schmuggelverdacht

Der Trierer Rechtsanwalt Otmar Schaffarzcyk, einer der Verteidiger von Michael H. , brachte deshalb kurzzeitig eine mögliche Anzeige gegen Staatsanwalt Wolfgang Barrot ins Gespräch. Die werde er erstatten, falls der Vertreter der Bundesanwaltschaft andeuten wolle, dass die Verteidiger Briefe schmuggelten, kündigte er an. Dies wies Barrot indes von sich.

Einen solchen Verdacht hatte es schon einmal gegeben: Der spätere Innenminister Otto Schily vertrat Gudrun Ensslin, Anführerin der "Roten Armee Fraktion" (RAF). Als von der in Einzelhaft sitzenden Ensslin ein Kassiber, eine geheime Mitteilung, bei der ebenfalls inhaftierten RAF-Terroristin Ulrike Meinhof gefunden wurde, geriet Schily unter Druck. Am Ende konnte ihm nicht nachgewiesen werden, dass er derjenige gewesen war, der die Nachricht von Zelle zu Zelle geschmuggelt hatte. Aber der Bundestag änderte 1974 mit einem "Anti-Terror-Paketgesetz" die Rechte der Strafverteidigung. 1978 kam das Kontaktsperregesetz hinzu, das die Isolation von Häftlingen ermöglicht. Die wegen der RAF-Terroristen beschlossenen Regeln haben Auswirkungen auf die Terrorverdächtigen heute.

Für H. bedeutete die Entdeckung des Briefes eine weitere Verschärfung seiner Haftbedingungen. Wie die anderen Angeklagten sitzt er in Einzelhaft. Nach dem Vorfall wurden offenbar für Wochen Leibesvisitationen vorgenommen, bei denen er auch die Hose herunterlassen und sich bücken musste, wenn er die Zelle verlassen wollte. Auch dazu: kein Kommentar von der JVA oder vom Generalbundesanwalt.

Verwendete Quellen
  • Teilnahme am Prozess am OLG Koblenz
  • Eigene Recherchen
  • sz.de: "Otto, jetzt werden Sie berühmt"
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