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Russlands Krieg gegen die Ukraine: Wladimir Putin – ein Vorbild für China?


Vorbild Putin
Was, wenn China nun zum Angriff übergeht?

Von Marc von Lüpke

Aktualisiert am 24.02.2023Lesedauer: 5 Min.
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Xi Jinping und Wladimir Putin: China beobachtet den Verlauf des russischen Krieges gegen die Ukraine genau.Vergrößern des Bildes
Xi Jinping und Wladimir Putin: China beobachtet den Verlauf des russischen Krieges gegen die Ukraine genau. (Quelle: Maxim Shipenkov/Reuters)

Wladimir Putin will Russland wieder "groß" sehen, dafür nimmt er Tod und Zerstörung in Kauf. Wie sähe die Welt aus, wenn sich alle Staaten so verhalten würden? Sie wäre ein schrecklicher Ort.

Es war nicht einmal 5 Uhr in der Früh, als die Welt eine andere war. Artilleristen feuerten ihre Geschosse ab, Kampfflieger warfen ihre Bomben, Abertausende Soldaten machten sich auf den Weg. Nein, die Rede ist nicht vom 24. Februar 2022, als Wladimir Putin seine Armee gegen die Ukraine in Marsch setzte. Ohne Kriegserklärung, und es war auch nicht sein erster Überfall.

Gemeint ist der 1. September 1939, als Deutschland Polen angriff. Mehr schlecht als recht hatte die SS noch versucht, mit einem fingierten, angeblichen polnischen Übergriff auf den deutschen Sender Gleiwitz in Schlesien einen Kriegsgrund herbeizulügen. Doch eigentlich war es Adolf Hitler egal: "Der Sieger wird später nicht danach gefragt, ob er die Wahrheit gesagt hat oder nicht."

Vormarsch der "Mini-Putins"?

Mit der Wahrheit nimmt es Wladimir Putin wie einst Adolf Hitler nicht sonderlich genau – er schafft sich seine eigene. Offiziell führt Russland gar keinen Krieg gegen die Ukraine, es handle sich vielmehr um eine "Spezialoperation", um angebliche "Nazis" an der Spitze der ukrainischen Regierung zu vertreiben. Nein, Putin will erobern, zerstörte Städte und unzählige Flüchtlinge nimmt er in Kauf.

Russlands Präsident ist ein Kriegsverbrecher, nicht erst, seit seine Schergen in Butscha und anderswo mordeten. Nein, bereits die Androhung militärischer Gewalt gegen die Ukraine und erst recht der Überfall auf sie waren Verstöße gegen das Völkerrecht.

In der Charta der Vereinten Nationen heißt es unmissverständlich, dass "alle Mitglieder" der Weltorganisation "jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt" zu unterlassen hätten.

Was aber, wenn Putins Beispiel in der Zukunft Schule macht? Wenn immer mehr Nachahmer das Völkerrecht Völkerrecht sein lassen – und sich mit Gewalt nehmen, was sie wollen? Die Weltgeschichte bietet reichlich Konfliktstoff, der gezündet werden kann.

Viktor Orbán, seines Zeichens starker Mann in Ungarn mit einem fragwürdigen Verständnis von Rechtsstaatlichkeit, empörte im November 2022 die Ukraine, die sich seit Monaten im Abwehrkampf gegen Putins Truppen befand. Womit? Mit einem Schal, den er bei einem Spiel der ungarischen Nationalmannschaft trug.

Warum muss es immer "groß" sein?

Orbáns Schal zeigte eine Karte Ungarns, allerdings in ganz anderen Grenzen, als sie in der Gegenwart bestehen. 1920 hatte Ungarn als Unterlegener im Ersten Weltkrieg den Vertrag von Trianon unterzeichnet, der zu einem Verlust von rund zwei Dritteln des Staatsgebietes führte.

Siebenbürgen kam etwa zu Rumänien, das Burgenland ging an Österreich, Slowakei wie Karpatoukraine wurden Teil der damaligen Tschechoslowakei, Kroatien und Slawonien Bestandteile des früheren Königreichs Jugoslawien.

Bis heute trauern Ewiggestrige "Großungarn" nach, zu dem auch Teile der heutigen Ukraine gehörten. Anscheinend kann auch Orbán nicht von der alten "Größe" ablassen, zum Verdruss nicht nur der Ukrainer. Kroatiens Präsident konnte über Orbáns Schal noch "lachen", auch die Österreicher nahmen es mit Humor.

Rumänien war wie die Ukraine, die den ungarischen Botschafter einbestellte, weniger belustigt. Orbán "umwirbt" die ungarische Minderheit in Transsilvanien beziehungsweise Siebenbürgen, eine Entwicklung, die in Bukarest zu Unruhe führt.

Wenn Ungarns Regierungschef, den der grüne Vordenker Ralf Fücks einmal als "Mini-Putin" tituliert hat, für Unruhe sorgen will in der Europäischen Union, weiß er wie. Ohne Rücksicht auf Verluste.

Groß, groß, groß – geradezu inflationär wird dieses Präfix gebraucht, oder besser gesagt: missbraucht. Großungarn, Großrumänien, Großserbien, Großalbanien, Großbulgarien, Großgriechenland oder auch ein Großfinnland, geografisch ist dem sogenannten Irredentismus kaum eine Grenze gesetzt.

Als "terre irredente" wurden im 19. Jahrhundert mit seinem erstarkenden Nationalismus in Italien diejenigen "Gebiete" bezeichnet, die noch "unerlöst", sprich unter österreich-ungarischer Herrschaft, waren – und noch nicht "wiedervereinigt" mit der "Nation".

Ostasien ein Pulverfaß?

Auch und gerade in Deutschland konnte man lange Zeit von dem Wort "groß" kaum genug bekommen. Ein Großdeutsches Reich wollte Adolf Hitler errichten, erst "holte" er 1938 Österreich "heim ins Reich", dann die sudetendeutschen Gebiete der Tschechoslowakei.

Die Westmächte ließen ihn gewähren. Lebten dort schließlich nicht vorwiegend Menschen, die Deutsch sprachen und "deutsch" sein wollten? So zumindest die Überlegung. Der Terror der Nazis gegen Juden und Andersdenkende in den neu erworbenen Gebieten Deutschlands fand weniger Beachtung.

Doch ein Mann wie Hitler hat niemals genug, er wollte immer mehr. 1939 überfiel Deutschland Polen, führte bald Krieg gegen einen Großteil der Welt. Zu groß selbst für das imaginierte Großdeutschland.

1945 bezwangen die Allierten das "Dritte Reich" endgültig. Hoffnung kam auf, dass nach Erstem und Zweitem Weltkrieg eine stabile Friedensordnung Einkehr halten würde. Die Vereinten Nationen sind Ausdruck dieser Bestrebung, "künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren".

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Doch selbst als Deutschland und Japan 1945 besiegt waren, gab es keinen globalen Frieden. In China, dem bevölkerungsreichsten Land der Erde, herrschte weiterhin Bürgerkrieg zwischen der Kuomintang unter dem Autokraten Chiang Kai-shek und dem Kommunisten Mao Zedong. Ein langer Krieg, ein grausamer Krieg, der 1949 mit dem Triumph Maos endete.

Die Kuomintang retteten sich auf das Eiland Taiwan, fest entschlossen, das Festland irgendwann wiederzuerobern. Was sich als Wunschtraum erweisen sollte. Heute ist Taiwan eine stabile Demokratie vor der Küste des chinesischen Riesenreichs – und für Peking der sprichwörtliche Dorn im Auge. Denn für China gibt es nur ein China, wehe demjenigen, der Taiwan anerkennt.

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Wie kann es weitergehen?

Die Insel erreichen beständig Drohungen aus Festlandchina, immer wieder kommt es zu Provokationen. Was aber, wenn China den Putin macht? Und sich mit Gewalt holen will, was nicht freiwillig zu ihm gehören will? Ein Blutbad im Westpazifik wäre eine wahrscheinliche Folge, möglicherweise gar ein Krieg zwischen dem kommunistischen China und den USA, die ihre schützende Hand über Taiwan halten.

Aber nicht nur das: Nach der europäischen Sicherheitsordnung läge auch die ostasiatische in Trümmern, vielleicht nicht nur sie. Die ostasiatischen Gewässer gleichen ohnehin einer Art Pulverfass, es gibt viele territoriale Konflikte. Die Senkaku-Inseln werden von China, Taiwan und Japan zugleich beansprucht, um Teile des nördlich der japanischen Insel Hokkaido gelegenen Kurilen-Archipels streiten sich Tokio und Moskau.

Vor allem China, dessen gewaltiger Aufstieg ebenso wie die kaum noch verhohlenen Großmachtsansprüche die Nachbarn verunsichern, hat territoriale Forderungen in der Region. Die Spratly-Inseln im Südchinesischen Meer werden von Peking beansprucht, Vietnam und Taiwan sehen das anders. Und auch die nördlicher gelegenen Paracel-Inseln betrachtet China als sein Eigentum. Klein sind die Inseln, aber von enormer strategischer Bedeutung in dieser wirtschaftlich so entscheidenden Weltregion.

Was also tun, wenn Putin Nachahmer finden sollte, die wie er das Völkerrecht mit Füßen treten? Eine Antwort auf die Frage wird sich wohl erst finden, wenn ein Ausgang des russischen Krieges gegen die Ukraine nahe ist. Muss sich Putin vor einem Gericht verantworten? Kommt er ungeschoren davon? Klar ist: Das Beispiel Putin sollte besser nicht Schule machen – die Welt könnte brennen.

Verwendete Quellen
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