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Abgebranntes Flüchtlingsheim: "Die ganze Politik hier ist für’n Arsch"


Abgebranntes Flüchtlingsheim
"Die ganze Politik hier ist für’n Arsch"

Von Carl Lando Derouaux, Groß Strömkendorf

Aktualisiert am 21.10.2022Lesedauer: 5 Min.
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Brand in Geflüchtetenheim: Aufnahmen zeigen das zerstörte Gebäude. (Quelle: reuters)

Nahe Wismar brennt eine Unterkunft für geflüchtete Ukrainer nieder, die Ermittler vermuten einen Brandanschlag. Wiederholen sich Geschichten wie Rostock-Lichtenhagen?

Es ist ein sonniger Tag in Groß Strömkendorf. Wer den Hals reckt, kann unweit die Ostsee glitzern sehen. Das Dorf ist winzig, es gibt eine Bushaltestelle, keinen Laden. Ein böiger Wind weht Laub durch die Luft – und Asche.

In Groß Strömkendorf ist in der Nacht zum Donnerstag ein Ort, der eigentlich Sicherheit bieten soll, beinahe zur Todesfalle für 14 Menschen aus der Ukraine geworden: Die Geflüchtetenunterkunft "Schäfereck" nahe Wismar ist niedergebrannt. Brandstiftung mit politischem Motiv, vermuten die Behörden. Der Staatsschutz ermittelt. Nur wenige Tage zuvor war die Polizei bereits vor Ort – das Eingangsschild der Unterkunft wurde mit Hakenkreuzen beschmiert.

Der Aufschrei nach dem Brand ist entsprechend groß. Vormittags besucht Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) den Ort der Zerstörung, ringt mit der Fassung. Später gleitet eine weitere Staatskarosse vor die Ruine – Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).

"Wenn sich bewahrheiten sollte, dass es ein Brandanschlag war, dann will ich auch klar sagen, dass der Rechtsstaat auch mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln durchgreifen wird", sagte sie. Die Antwort des Staates werde dann "eine sehr harte" sein. Faeser wies aber auch darauf hin, dass zunächst die Hintergründe des Brandes aufgeklärt werden müssten.

Überall riecht es nach Rauch

Schon Hunderte Meter vor dem Ort ist die Kreisstraße gesperrt, eine Umleitung führt den Verkehr weiträumig um die Brandruine herum. Doch egal, wo man hinkommt, überall in dem kleinen Örtchen riecht es noch nach Rauch.

Die Geflüchteten waren in einem riesigen Landhaus untergebracht, einem ehemaligen Hotel. Der Name der Straße klingt fast niedlich: "Am Schäfereck", ein Fleckchen Erde, an dem sonst nicht viel passiert, an dem bis vor zwei Jahren noch Touristen die Seele haben baumeln lassen.

Jetzt jedoch liegt etwas Brutales auf dem Anwesen. Vom einst stolzen Reetdachhaus sind nur noch die Mauern übrig. Das Innere, das Gebälk, das Dach – alles weg, aufgegangen in den Flammen, verkohlt, rabenschwarz. An der Nebenseite des Hauses brennt es am Nachmittag noch immer. Leere Feuerlöscher liegen auf der Wiese um das Gebäude. Die Feuerwehr sichert Glutnester ab, Kriminaltechniker streifen sich Gummihandschuhe über.

Erinnerungen an Rostock-Lichtenhagen

Ein mittelalter Mann mit Lederjacke und ein kleinerer älterer Herr aus Wismar begutachten den qualmenden Gebäuderest. Sie gehen auf der Landstraße auf und ab, lugen durch die zerborstenen Scheiben in das schwarze Innere der Ruine.

Was, wenn jemand das wirklich vorsätzlich gemacht hat? "Das wäre eine Schande", sagt der ältere Mann. Sein Begleiter im mittleren Alter will sich da nicht ganz so festlegen. "Grundsätzlich ist es zu verurteilen, so ein Gebäude zu zerstören", sagt er. "Andererseits ist die ganze Politik hier für’n Arsch. Irgendwo ist das hier auch verfehlte Politik." Da könnten "ein paar Irre" schon mal auf dumme Ideen kommen.

Nach dem Brand stellen sich bei vielen Menschen unwillkürlich Assoziationen zu den 1990er-Jahren ein. Die Brandanschläge auf Asylunterkünfte in Solingen im Jahr 1993 und Mölln ein Jahr zuvor stehen für den tödlichen Hass von Neonazis auf Menschen, die aus ihrer Heimat flohen und in Deutschland Schutz suchten.

Noch viel stärker aber erinnert die Ruine in Groß Strömkendorf an diesem Donnerstag an Rostock-Lichtenhagen. Keine 60 Kilometer entfernt, ebenfalls in Mecklenburg-Vorpommern, brannte dort vor genau 30 Jahren das Sonnenblumenhaus. Ist es wieder so weit? Stecken Rechtsextreme in Deutschland wieder Flüchtlingsheime in Brand?

"Das war Fremdenhass"

Etwas weiter die Straße hinunter bleibt eine kleine Frau vor der verkohlten Ruine am Straßenrand stehen. Gerade hat sie ihre Enkelin aus der Schule geholt. Sie schüttelt den Kopf und spricht aus, was insgeheim viele hier vermuten: "Das war Fremdenhass." Pause, sie atmet tief ein. "Scheiße. Ich hoffe, sie finden die, die das gemacht haben. Es gibt so viele, die eifersüchtig sind. Wer macht denn sowas? Kinder schlafen um die Zeit. Da kräuseln sich mir die Nackenhaare!"

Sie winkt ab, will weiterziehen, bleibt noch einmal stehen. "Nee, nee, ich glaube das einfach nicht" – nimmt ihre Enkelin an die Hand und macht sich auf den Weg.

Noch ist offen, was genau das Feuer ausgelöst hat, die Motivlage etwaiger Täter ist unklar. Die Polizei rechnet erst Anfang der kommenden Woche mit ersten handfesten Ermittlungsergebnissen.

Gerade steigt ein Kriminalbeamter über den Zaun, geht zu einem Schild und nimmt Abmessungen vor. Das Schild weist das Gebäude als eine Geflüchtetenunterkunft des Deutschen Roten Kreuzes aus. Aus dem roten DRK-Kreuz hatte vergangene Woche ein unbekannter Täter ein Hakenkreuz gemalt. "Das ist so bekloppt", sagt ein Feuerwehrmann und schüttelt den Kopf.

"Ich fühle mich beschissen"

Bislang ist Groß Strömkendorf nicht besonders durch eine besonders ausgeprägte rechte Szene aufgefallen. Bei der Bundestagswahl vor einem Jahr wurde die SPD mit Abstand stärkste Kraft, holte 32 Prozent der Stimmen. Die rechtspopulistische AfD landete gemeinsam mit der CDU auf dem zweiten Platz, allerdings weit dahinter mit nur 17,1 Prozent.

Anruf bei Tino Schmidt (SPD), dem Bürgermeister von Groß Strömkendorf. "Ich fühle mich beschissen", sagt er. "Wenn es sich bewahrheiten sollte, dass diese Tat politisch motiviert war, ist eine Grenze überschritten."

Man müsse sich dann langsam auch Gedanken darüber machen, "was eigentlich falsch läuft in diesem Land". Doch Schmidt warnt auch, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Der Staatsschutz müsste erst einmal zu einem Ergebnis kommen. Zum Glück habe man es organisieren können, die Geflüchteten in anderen Wohnungen unterzubringen.

Mitarbeiter waren selbst Geflüchtete

Dafür zuständig als Träger ist das Rote Kreuz, bei dem Thilo Rau als Geschäftsführer für soziale Betreuungsdienste verantwortlich ist. Auch Rau ist an diesem Donnerstag vor Ort, macht sich ein Bild von der Lage.

"Das ist schon hart", sagt er. "Echt bitter." Ein einjähriges Kind hätte sich im Gebäude befunden, als die Flammen losschlugen. Etwas steif steht Rau nun auch vor den Trümmern eines Prestige-Projekts.

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Das DRK hat in Groß Strömkendorf ein neues Format in die Tat umgesetzt: 16 der 20 Mitarbeiter vor Ort waren selbst Geflüchtete, angestellt beim DRK. Das habe ihnen Arbeit und eine Perspektive gegeben. Dass der Verdacht einer politischen Straftat im Raum steht, macht ihn fassungslos. "Wer anderen das Dach abbrennt, sollte hart bestraft werden", sagt Rau. "Wenn wir hier vollbesetzt gewesen wären, mag ich mir das gar nicht ausmalen."

"Ein Stückchen Herz ist nicht mehr da"

Der, der gestern Nacht wohl Schlimmeres verhindert hat, heißt Andrej Bondartschuk. Er ist der Leiter der Unterkunft, engagiert sich seit 15 Jahren beim Roten Kreuz.

Er gibt Presseinterviews, spricht ruhig und präzise in Kameras. Trotzdem wirkt er abwesend. Bondartschuk war im Gebäude, als der Feueralarm auslöste, suchte am Haus nach dem Feuer, half, Geflüchtete ins Freie zu bringen. Wie durch ein Wunder kam niemand zu Schaden.

Einige der Geflohenen sind am Donnerstag selbst vor Ort. Mit der Presse sprechen wollen sie nicht. Und Bondartschuk will lieber nicht sagen, wo die Geflüchteten jetzt untergebracht werden, zu groß seine Angst, dass man ihnen abermals nach dem Leben trachten könnte.

"Ich bin betroffen und schockiert", sagt er. Er kann bis ins Detail schildern, wie die Abläufe in der Brandnacht waren, hält sich mit Spekulationen zurück, bleibt überaus sachlich. Und doch: "Ein Stückchen Herz ist nicht mehr da", sagt er.

Vor den Trümmern in Groß Strömkendorf steckt Bondartschuk beide Hände in den Mantel, ein scharfer Windzug fegt über die Felder. Er zieht die Schultern etwas hoch. Tatsächlich, sagt er, seien in dem Haus direkt neben der Unterkunft noch Wohnungen frei. Die Geflüchteten könnten sofort dort einziehen. Er betrachtet das verkohlte Gebälk, die Scherben, den Rauch. "Aber wenn sie dieses Bild sehen, ist das wie ein Flashback in die Ukraine."

Verwendete Quellen
  • Eigene Eindrücke von vor Ort
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