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"Putins Koch": Er verkörpert Russlands dunkelste Seite


"Putins Koch"
Er verkörpert Russlands dunkelste Seite

Von dpa
Aktualisiert am 02.01.2023Lesedauer: 5 Min.
Erst Caterer, dann Geschäftsmann, jetzt Warlord: Jewgeni Prigoschin, Chef der russischen Söldnergruppe "Wagner".Vergrößern des BildesErst Caterer, dann Geschäftsmann, jetzt Warlord: Jewgeni Prigoschin, Chef der russischen Söldnergruppe "Wagner". (Quelle: Mikhail Svetlov)
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Die russische Söldnertruppe "Wagner" spielt eine wichtige Rolle im Ukraine-Krieg. Ihr Chef könnte sogar Wladimir Putin gefährlich werden.

Vor dem Start ins neue Kriegsjahr in der Ukraine tritt der Jewgeni Prigoschin als Chef der gefürchteten russischen Söldnergruppe "Wagner" immer selbstbewusster auf. Mal zeigt sich der 61-Jährige im Kriegsgebiet, mal kritisiert er die russische Militärführung.

Und Kremlchef Wladimir Putin lässt ihn schalten und walten, als hätte seine paramilitärische Organisation, eine Art Schattenarmee mit vielen verurteilten Verbrechern, längst allein das Zepter in der Hand. Dabei behauptete Putin in der Vergangenheit sogar, der russische Staat habe keine Verbindungen mit der "Wagner"-Gruppe. Dabei kennen Putin und Prigoschin sich schon lange.

Als der Ex-KGB-Offizier Putin noch in der St. Petersburger Stadtverwaltung arbeitete, soll er in Prigoschins Restaurant verkehrt haben. Das hat dem Geschäftsmann, der auch schon wegen Raubes in Haft saß und in den chaotischen Jahren nach dem Zerfall der Sowjetunion reich wurde, den Beinamen "Putins Koch" eingebracht.

FBI setzt Kopfgeld aus

Bekannt ist der Chef des Firmenimperiums Concord aber nicht zuletzt wegen seiner auf Desinformation spezialisierten Internet-Trollfabrik. Über diese soll er sich in die US-Präsidentschaftswahlen eingemischt haben, weshalb das FBI eine Belohnung für seine Ergreifung ausgesetzt hat.

Lange mied Prigoschin die Öffentlichkeit – vor allem, als seine Söldnertruppe bereits 2014 in der ostukrainischen Region Donbass aktiv wurde, nachdem der russlandfreundliche ehemalige Präsident Viktor Janukowitsch nach pro-europäischen Protesten das Land verlassen hatte. Doch je länger die seit Februar dauernde russische Invasion der Ukraine anhält, desto offensiver tritt der russische Warlord auf, der von Kiew als Kriegsverbrecher verfolgt wird.

In Russlands Straflagern ging der oft per Hubschrauber reisende Prigoschin ein und aus, um Verurteilte in den Krieg zu locken – mit dem Versprechen, sie bekämen nach Ende ihres Dienstes die Reststrafe erlassen. Prigoschin konnte eigenmächtig und ohne Rechtsgrundlage agieren. Der Kreml schaute zu. Nach US-Schätzungen sind aktuell rund 50.000 "Wagner"-Söldner in der Ukraine im Einsatz, darunter 40.000 Strafgefangene.

Eine parallele Machtstruktur

Auch Russlands Justiz fürchtet seit langem den Einfluss des unantastbaren Putin-Vertrauten. Längst agiert Prigoschins Privatarmee wie eine parallele Machtstruktur in Russland. "Ich kann sagen, dass die private Militärfirma "Wagner" heute eine der entscheidendsten Rollen in der Zone der militärischen Spezialoperation spielt", teilte der Geschäftsmann im Nachrichtendienst Telegram mit.

Dort betont er auch, dass er zu seiner Kritik etwa am russischen Generalstabschef Waleri Gerassimow stehe. Er habe "Wagner" gegründet und steuere die Söldner, damit Russland die Mission in der Ukraine erfolgreich beenden könne.

Fast täglich kommentiert Putins Mann fürs Grobe das Kriegsgeschehen in den sozialen Medien. Er widerspricht etwa dem Kommunikationsdirektor des Weißen Hauses in Washington, John Kirby, dass Russland aus Nordkorea Kriegswaffen erhalte. Vielmehr kaufe "Wagner" heute ungeachtet von Washingtons Sanktionen selbst jede Menge US-Waffen, so Prigoschin. Ob dies der Wahrheit entspricht, ist jedoch unklar - häufig bleibt offen, wann sich Prigoschin in seinen Posts über den Westen lustig macht und wann es ihm ernst ist.

Sonderstatus mit Abstrichen für die Söldner

Sicher scheint jedoch: An den Bedingungen in Prigoschins Privattruppe kann es nicht liegen, dass Zehntausende Männer für ihn im Einsatz sind. Nach dem Kriegsvölkerrecht gelten Söldner nicht als Kombattanten und haben daher zum Beispiel keinen Anspruch auf den Schutzstatus eines Kriegsgefangenen - anders als ausländische Freiwillige, die etwa in der ukrainischen Armee als reguläre Soldaten dienen. Russische Menschenrechtsaktivisten sprechen von Zwangsrekrutierungen in Gefängnissen und berichten von "Wagner"-internen Hinrichtungen von Deserteuren.

Das von Journalisten-Organisationen gegründete internationale OCCRP-Recherchenetzwerk zur Organisierten Kriminalität und zu Korruption wählte den grobschlächtigen Mann mit Glatze jüngst zur "Person des Jahres". Nach Machthabern wie Alexander Lukaschenko in Belarus, der im vergangenen Jahr den Schmähtitel erhielt, oder Nicolás Maduro in Venezuela, haben die Juroren nun erstmals jemanden gewählt, der nie eine staatliche oder offizielle Funktion innehatte.

"Er ist kein nationaler Anführer, sondern ein korruptes Individuum, das in der Lage ist, Terror und massive Menschenrechtsverletzungen in verschiedenen Teilen der Welt anzustiften", erklärte die Jurorin Louise Shelley, eine US-Expertin für Finanzströme an der George Mason University. Prigoschin verkörpere die dunkelste Seite Russlands, heißt es in dem OCCRP-Bericht.

Eine lange Blutspur

Mit dem Krieg in der Ukraine kämpfe er eine seiner härtesten Schlachten nach den Einsätzen etwa in Syrien. "Er ist ein Soldat der Korruption", so der Investigativ-Journalist und OCCRP-Mitbegründer Drew Sullivan. "Er kämpft und tötet, um Korruption zu installieren. 'Wagner' ist nichts als eine von der russischen Regierung genehmigte Gruppe des organisierten Verbrechens." Auch außerhalb Syriens, wo Russland sich auf Seiten des Assad-Regimes massiv in den Bürgerkrieg eingemischt hat, ziehe sich auch eine lange Blutspur durch die Zentralafrikanischen Republik, den Sudan sowie durch Somalia und Mali.

Wagner-Leute werden der Tötung, Vergewaltigung und Folter von Menschen verdächtigt – auch in den Vororten von Kiew, wie es in dem OCCRP-Bericht von Ende Dezember heißt. In Afrika bringen die Experten Prigoschin mit Gold- und Diamantenminen in Verbindung. Und sie gehen davon aus, dass Prigoschin auf den Schlachtfeldern in der Ukraine angesichts der Erschöpfung von Putins Armee weiterhin eine entscheidende Rolle spielen wird.

Wachsender Einfluss

Auch das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) beschäftigt sich immer wieder mit Prigoschin und seinem denkbaren Streben nach einem politischen Amt. Die Denkfabrik wertete ein Interview Prigoschins mit dem russischen Staatsfernsehsender RT unlängst als Versuch, in der Gesellschaft mit markigen Worten und populistischen Ansichten an Ansehen und Einfluss zu gewinnen. So schlug der "Wagner"-Chef etwa vor, Russlands Milliardären alles zu nehmen, um sie dazu zu bewegen, sich für den Krieg zu engagieren.

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Mit Blick auf die Hunderttausenden odt pro-westlich und liberal gesinnten Russen, die vor Putins Mobilmachung ins Ausland geflohen sind, forderte Prigoschin, dass diese in einem Strafbataillon zusammen in den Krieg geschickt werden müssten. "Zweifeln Sie nicht daran, dass sie alle als Helden gestorben wären."

Prigoschin als möglicher Putin-Nachfolger?

Experten sehen Prigoschins wachsenden Einfluss nicht zuletzt als ein Anzeichen für einen Kontrollverlust Putins, der als Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte letztlich auch für die vielen Niederlagen im Krieg in der Ukraine verantwortlich gemacht wird. Aber käme Prigoschin tatsächlich als möglicher Putin-Nachfolger und neuer starker Mann in Moskau infrage?

Der Politologe Abbas Galljamow meint zwar, dass der "Koch des Präsidenten" hoch im Kurs stehe, während die Moskauer Polit-Elite – einschließlich Putin – an Zustimmung eingebüßt hätten. "Es sieht jetzt so aus, als halte sich das Regime vor allem dank Prigoschin", sagt Galljamow.

Auch wegen seiner aktiven Medienarbeit könne der Eindruck entstehen, Prigoschin könne an Putins Stelle treten – in gut einem Jahr ist Präsidentschaftswahl in Russland. Galljamow sieht aber denoch keine Chance für Prigoschin. Die Angst vor einem allmächtigen Warlord an der Spitze des Regimes schweiße die Eliten Russlands zusammen. Galljamow ist überzeugt, dass der Kreml und die Oligarchen einen Präsident Prigoschin zu verhindern wissen.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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