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Putin hat die Geduld mit Prigoschin verloren – Es wird eng für den Wagner-Chef


Putins Chefkoch am Ende?
Der Machtkampf ist entschieden

  • Daniel Mützel
Von Patrick Diekmann, Daniel Mützel

Aktualisiert am 18.06.2023Lesedauer: 5 Min.
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"Dann endet es mit dem Tod": Ein Experte ordnet ein, wie weit der Streit zwischen Prigoschin und Shoigu gehen kann und was dahinter steckt. (Quelle: t-online)

Wagner-Chef Prigoschin attackiert die russische Militärführung seit Monaten scharf, warnt gar vor einer Revolution in Russland. Warum lässt ihn Putin gewähren? Dahinter könnte eine perfide Strategie stecken.

In Russland tobt im Schatten des Ukraine-Krieges ein erbitterter Machtkampf. Seit Monaten schießt der Chef der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, gegen die Führung der russischen Armee – vor allem gegen Verteidigungsminister Sergei Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow. Fast täglich schimpft Prigoschin über das Versagen der russischen Armee, teilt aus gegen Eliten in Moskau oder warnt vor einer Rebellion in Russland.

Der Söldnerchef legt Woche um Woche einen drauf, scheint seine Grenzen zu testen. Mittlerweile lobt er sogar die ukrainische Armee.

"Was haben wir denn erreicht?", fragte er am Donnerstag rhetorisch in einem Video, nur um selbst die Antwort zu geben: "Wir haben die Ukraine zur bekanntesten Nation der Erde gemacht." Auch die Demilitarisierung der Ukraine sei gescheitert: "Sie hatte zu Beginn der Spezialoperation 500 Panzer, jetzt haben sie 5.000. Sie hatten 20.000 Soldaten, jetzt haben sie 400.000 Soldaten."

Was treibt den Wagner-Chef? Auffällig ist, dass Prigoschin nie direkt Wladimir Putin angreift. Seine Tiraden richteten sich immer gegen die Armeeführung. Und doch sind sie riskant für den Kreml: Denn Prigoschins Beschimpfungen rücken das Versagen der russischen Armee in der Ukraine in den Fokus der russischen Öffentlichkeit, was die Unterstützung für den Krieg gefährden könnte.

Umso mehr wundern sich internationale Beobachter, dass Putin seinen ehemaligen Chefkoch bislang gewähren lässt. Die russische Diktatur hat in den letzten Jahren die Opposition zerschlagen, die Zivilgesellschaft vernichtet und jede kritische Stimme unterdrückt. Warum darf gerade Prigoschin frei reden, offenbar ohne Konsequenzen fürchten zu müssen?

Putins "Blitzableiter"

Das könnte strategische Gründe haben. "Prigoschin operiert innerhalb der Grenzen, die ihm der Kreml setzt", erfuhr t-online aus westlichen Sicherheitskreisen. Putins ehemaliger Koch habe demnach weiterhin persönliche Verbindungen zum Kremlherrscher. "Wenn Prigoschin will, hat er Zugang zu Präsident Putin."

Der Söldnerchef erfülle für den Kreml eine wichtige Funktion: Prigoschin gebe einem immer lauter werdenden Segment der russischen Bevölkerung – den Nationalisten und Kriegsbefürwortern – eine politische Stimme; zugleich kanalisiere er deren Wut wegen der russischen Misserfolge im Ukraine-Krieg gegen die russische Militärführung – und weg von Putin.

"Prigoschin ist Putins Blitzableiter. Der Zorn der Nationalisten über die hohen Verluste auf dem Schlachtfeld trifft die Armeeführung, nicht den Kreml. Dafür sorgt Prigoschin", heißt es aus westlichen Sicherheitskreisen.

Auch der Militär- und Russlandexperte Gustav Gressel sieht hinter Prigoschins Wutsalven eine Strategie Moskaus. "Prigoschin gibt in Russland den Akteuren aus dem national-patriotischen Lager einen Raum, um die Armeeführung und Teile der Regierung zu kritisieren", so Gressel zu t-online. Prigoschin wandle auf dem schmalen Grat, das System anzugreifen, aber Putin nicht direkt anzugehen. Der russische Präsident lasse diesen Streit zu, "solange er drüberstehen kann".

Putin stellt sich hinter Militärführung

Dass sich Putins Untergebene gegenseitig bekämpfen, ohne dass der Chef eingreift, geschieht nicht zum ersten Mal in Putins Russland. Russlandexperten wie Catherine Belton haben im Detail beschrieben, wie Putins Herrschaftssystem auf Machtkämpfen innerhalb der russischen Elite beruht.

Und auch diesmal sah Putin lange zu, wie die russische Militärführung und Prigoschin um die Gunst des Präsidenten buhlten, und wartete ab, wer als Sieger aus dem Konflikt hervorgeht. Mit dieser perfiden Taktik festigt Putin seine Macht und sie ermöglicht ihm, sich am Ende öffentlich hinter den Sieger des Konfliktes zu stellen.

Der Gewinner scheint nun klar: Es ist die russische Militärführung.

Schoigu schlägt zurück

Das Verteidigungsministerium hatte die Wagner-Söldner dazu verpflichtet, bis zum 1. Juli Verträge direkt mit dem Verteidigungsministerium zu unterzeichnen. Das würde sie direkt dem Kreml unterstellen. Für Prigoschin wäre das eine herbe Niederlage, die ihn deutlich Macht kosten würde. Immerhin soll er Tausende Kämpfer befehligen, sie sind das Fundament seines Einflusses in Russland.

Prigoschin weigerte sich bislang, doch Putin greift nun durch: Bei einem Treffen mit Kriegsreportern und Influencern am Dienstag in Moskau bekräftigte er, dass die Söldner die Verträge unterzeichnen müssten. Der Status der privaten Freiwilligenverbände müsse so schnell wie möglich in "Einklang mit dem Gesetz und dem gesunden Menschenverstand" gebracht werden, sagte Putin.

Damit bezog Putin klar Stellung, er hat Prigoschin seine Macht spüren lassen: Denn der Kremlchef kontrolliert, inwiefern private Armeen wie Wagner mit Waffen und Munition versorgt werden. Damit könnte Putin den Anfang vom Ende des mächtigen Wagner-Chefs Prigoschin eingeleitet haben.

Einer der wenigen Erfolge der Russen

Dabei hatte sich Prigoschin über viele Monate als überaus nützlich für die russische Kriegsführung in der Ukraine erwiesen, mehr noch: Der Wagner-Chef konnte zeigen, wie abhängig der Kreml von privaten Söldnertruppen mittlerweile ist.

Prigoschins Kämpfer wurden als Frontfeuerwehr eingesetzt, überall dort, wo es eng für die regulären russischen Truppen wurde. Wagner-Kämpfer eroberten in einer verlustreichen Schlacht die ostukrainische Stadt Bachmut, einer der wenigen Erfolge der russischen Truppen in den vergangenen zehn Monaten. Doch nach einem öffentlichen Schlagabtausch mit der Armeeführung zog Prigoschin seine Kämpfer Ende Mai aus Bachmut ab.

Nun muss sich zeigen, ob die regulären Kremlsoldaten Prigoschins Truppen ersetzen können. Sollten die russischen Verteidigungslinien der ukrainischen Gegenoffensive standhalten, wäre es für Putin ein geeigneter Zeitpunkt, um den Einfluss von Wagner zu begrenzen.

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"Dann könnte der Staat Wagner die Unterstützung entziehen"

Prigoschin hofft seither wahrscheinlich darauf, dass die regulären Truppen versagen – und Wagner wieder gebraucht wird. Denn sonst könnte es für ihn eng werden. "Wenn Wagner nicht innerhalb weniger Wochen einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium unterzeichnet, könnte der Staat Wagner die Unterstützung entziehen oder sogar rechtliche Schritte gegen sie einleiten", sagte Dara Massicot von der "Rand Corporation" kürzlich dem "Guardian".

Beobachter in westlichen Hauptstädten vermuten daher, dass der Wagner-Chef den Bogen überspannt haben könnte. Sein Einfluss schwindet, und die öffentlichen Schimpftiraden in den sozialen Netzwerken können als Zeichen dafür gewertet werden. Auch politische Ambitionen soll Prigoschin bereits gehabt haben, wie aus westlichen Sicherheitskreisen zu hören ist. Im vergangenen Jahr habe der Söldnerchef entsprechende Pläne geäußert, doch sei "vom Kreml in seine Schranken verwiesen" worden.

Eine Nummer zu groß für Prigoschin

Putin scheint es ernst zu meinen mit der Verkleinerung des Machtfaktors Prigoschin. Das effektivste Instrument dafür scheint dabei die erzwungene Eingliederung der Wagner-Söldner in die russische Armee zu sein. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, hat Putin bereits die Kämpfer des Tschetschenenführers Ramsan Kadyrow die Verträge unterschreiben lassen.

Kadyrow gilt als loyal zu Putin, obgleich er sich auch schon mal mit Prigoschin in der Öffentlichkeit gezeigt hat. Damit läuft der Countdown für Prigoschin, in den kommenden zwei Wochen nachzuziehen. Sonst droht ein Machtkampf zwischen ihm und Putin persönlich – und das könnte für den Söldnerchef eine Nummer zu groß werden.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Gustav Gressel
  • Gespräche mit EU-Diplomaten
  • zeit.de: Es wird eng für Putins Warlord
  • fr.de: Kreml verliert die Geduld mit Prigoschin
  • tagesspiegel.de: Warum Prigoschins Wut auf den Kreml nun eine neue Dimension erreicht
  • zdf.de: Götterdämmerung für die Wagner-Gruppe?
  • spiegel.de: Wird aus Prigoschin ein Politiker?
  • Eigene Recherche
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