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Geheimer Bundeswehr-Bericht entlarvt: So steht es um die Armee der Ukraine


Geheimer Bericht
Bundeswehr fällt hartes Urteil über ukrainische Gegenoffensive

Von t-online, cc

Aktualisiert am 25.07.2023Lesedauer: 3 Min.
Ukrainische Soldaten bei einer Übung in der Region Donezk.Vergrößern des BildesUkrainische Soldaten bei einer Übung in der Region Donezk. (Quelle: REUTERS/Sofiia Gatilova)
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Ein Geheimbericht der Bundeswehr bescheinigt der ukrainischen Armee erhebliche Defizite im Kampfeinsatz. Experten hatten davor bereits gewarnt.

Die ukrainische Armee befindet sich seit nunmehr 17 Monaten im Ausnahmezustand. Seitdem der russische Autokrat Wladimir Putin das Land mit der ganzen Vernichtungsmacht der zweitstärksten Streitkraft der Erde angegriffen hat, sehen sich die Ukrainer einem radikalen Lernprozess ausgesetzt. Sie müssen lernen, sich gegen eine militärische Übermacht zu verteidigen. Es ist ein Kampf wie der von David gegen Goliath.

Seit sieben Wochen muss die Ukraine nun auch noch lernen, wie man erobert. Und zwar die Gebiete, die der russische Aggressor zuvor völkerrechtswidrig besetzt hatte. Bei den Rückeroberungsversuchen im Rahmen der Gegenoffensive kommen die ukrainischen Soldaten allerdings nicht so schnell voran, wie manch einer im Westen und wohl auch in Kiew sich das vorgestellt hatte. Denn es ist einfacher, ein Land zu verteidigen als bereits verlorene Gebiete zurückzuerobern.

Das muss auch die ukrainische Armee feststellen. t-online berichtete bereits über die Erkenntnisse einer internationalen Expertengruppe, nach denen die ukrainische Armee zum Teil große Defizite im militärstrategischen Bereich aufweist. Ein geheimer Bericht der Bundeswehr kommt nun zu einem ähnlichen Ergebnis. Demnach liegt der schleppende Verlauf der ukrainischen Gegenoffensive womöglich nicht nur in den massiven russischen Verteidigungsbemühungen begründet. Sondern auch im wenig effektiven Vorgehen der Ukrainer.

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Bundeswehrbericht sieht deutliche Defizite

"Die eigenen Truppenteile werden teilweise so kleinteilig aufgeteilt, dass zwar jeder Truppenteil etwas macht, aber eine gemeinsame Gefechtsführung nicht erkennbar ist", heißt es in dem Papier, das der "Bild"-Zeitung vorliegt und das den Vermerk VS (Verschlusssache) trägt, also einem gewissen Geheimhaltungsgrad unterliegt. Im Kern zielt der Bericht auf Defizite der Ukrainer im Bereich des operativen Konzepts von "Feuer und Bewegung". Dies sieht grob vereinfacht gesagt die Koordination von Infanterietruppen, Artillerie und Panzern im Gefecht der verbundenen Waffen vor.

Schützenpanzer "Marder" bei Übung.
Schützenpanzer "Marder" bei Übung. (Quelle: IMAGO/Thomas Imo)

Gefecht der verbundenen Waffen

Dabei handelt es sich um ein taktisch-operatives Einsatzkonzept, das in den Armeen der Nato angewandt wird. Grob vereinfacht bedeutet es, dass die unterschiedlichen Teile der Streitkräfte mit ihren jeweiligen Truppen und Fahrzeuggattungen (etwa Panzertruppen und Infanterie) im Gefecht koordiniert zusammenwirken. Kern der Doktrin ist das Zusammenspiel von Beschuss und Bewegung, also insbesondere die Abstimmung von Bodentruppen und Luftwaffe, die den Landstreitkräften Feuerschutz garantieren soll.

Der Bundeswehrbericht bemängelt die Konzeption als auch die Durchführung dieser Gefechtstaktik bei den ukrainischen Streitkräften. Was dazu führe, dass die Ukrainer Gefahr laufen, in "Friendly Fire" zu geraten, sich also in die Schusslinien der eigenen Truppen zu begeben. Auch fehlten "die Manöverelemente", um das eigene Momentum aufzubauen oder Feuerüberlegenheit herzustellen". Im Klartext: Dem Vorrücken der ukrainischen Truppen auf die schwer befestigten Verteidigungslinien mangelt es an der nötigen Abstimmung. Es ist laut Einschätzung der Bundeswehr-Experten ineffektiv und verursacht hohe Verluste an Mensch und Material.

Als Faustformel gilt unter Militärs eine quantitative örtliche Überlegenheit von mindestens 3:1 Kräften im Angriffskampf. Je größer diese quantitative Überlegenheit ist, desto aussichtsreicher sind die Chancen, den Gegner zu überwinden. Entscheidend sind neben der richtigen Gefechtsführung aber auch Luftunterstützung und Artilleriefeuer.

Die Ursachen für die Defizite in der Gefechtsführung macht der Bericht, aus dem die "Bild" zitiert, auch aus. So sei der Ausbildungsstand unter dem Führungspersonal in der ukrainischen Armee häufig nicht ausreichend. Zwar hatten zahlreiche mit der Ukraine verbündete westliche Staaten vor allem in der ersten Jahreshälfte 2023 bis zu 20.000 ukrainische Soldaten ausgebildet, jedoch finden die sich in den Einsätzen der Gegenoffensive häufig nicht auf höheren Posten wieder. Somit kämen weder die westliche Ausbildung, noch die westlichen Waffen voll zum Tragen, über die die Ukraine verfügt.

Nicht alles liegt in der Macht Kiews

Je mehr Kampferfahrung ein Soldat in der ukrainischen Armee habe, desto höher sei meist auch sein Rang. Allerdings hätten die Offiziere die westlichen Einsatzkonzepte häufig nicht vollumfänglich verinnerlicht. "In vielen Fällen wurde festgestellt, dass Soldaten ohne jüngere Kampf- oder Militärerfahrung durch die erhaltene militärische Ausbildungsunterstützung größere Ausbildungserfolge erzielen, als vermeintlich erfahrene und ausgebildete Soldaten", heißt es in dem Geheimpapier der Bundeswehr.

Neben diesen Defiziten auf der Führungs- und Kommandoebene leidet die Ukraine aber auch unter einem weiteren entscheidenden Mangel: dem Fehlen von ausreichend Artilleriemunition und der quasi nicht vorhandenen Unterstützung durch die eigene Luftwaffe. Beides ist aber notwendig, um gegen einen zahlenmäßig überlegenen und gut gestaffelten Gegner, wie es die russische Armee ist, bestehen zu können.

Dieses Defizit zu beheben, liegt nicht in der Kompetenz der ukrainischen Armee. Denn dass der Westen ihr keine Kampfjets liefert und vor allem die europäischen Länder zu spät begonnen haben, die Munitionsbestände aufzufüllen, ist nach Meinung von Militärexperten nicht das Versäumnis Kiews.

Ein weiteres, großes Problem, das das ukrainische Vorrücken bislang in größerem Maßstab verhinderte, ist der extensive Einsatz von unterschiedlichsten Minentypen durch die russische Armee.

Putins Truppen haben die den russischen Verteidigungslinien vorgelagerten Areale flächendeckend vermint. Das macht es für die Ukraine nahezu unmöglich, die westlichen Gefechtskonzepte mit den Mitteln, die ihr bislang zur Verfügung stehen, effektiv umzusetzen. Immerhin: Die Lieferung amerikanischer Streumunition könnte die schwierige Situation auf den Schlachtfeldern in den kommenden Wochen zugunsten der Ukraine etwas verbessern.

Verwendete Quellen
  • theatlantic.com: "America’s Unconvincing Reasons for Denying F-16s to Ukraine" (englisch, kostenpflichtig)
  • truppendienst.com: "Angriffsvorbereitung, Ablauflinien und Steilfeuer"
  • foreignpolicy.com: "5 Reasons Ukraine Should Get F-16 Jets" (englisch, kostenpflichtig)
  • youtube.com: "WSJ. Why F-16s Could Be a Game Changer for Ukraine" (englisch)
  • nytimes.com: "Why Ukraine Needs Those F-16s" (englisch)
  • nzz.ch: "Panzer spielen eine Schlüsselrolle im Kampf der verbundenen Waffen. Worum geht es dabei eigentlich?" (kostenpflichtig)
  • faz.net: "Militärs der Welt"
  • faz.net: "Waffen für die Gegenoffensive" (kostenpflichtig)
  • brill.com: "Clausewitz verstehen: Kapitel 9 Angriff und Verteidigung"
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