t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikUkraine

Ukraine-Offensive in der Kritik: "So kann man eine Operation nicht führen"


Gegenoffensive der Ukraine
Militärexperte: "Das erinnert an den Ersten Weltkrieg"

  • Philip Friedrichs
Von Philip Friedrichs, Lara Schlick

Aktualisiert am 26.07.2023Lesedauer: 1 Min.
Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Player wird geladen
Wirkungslose Gegenoffensive? Ein Militärexperte kritisiert das Vorgehen der ukrainischen Armee und gibt eine düstere Prognose ab. (Quelle: t-online)

Die Ukraine feiert Schläge gegen russische Einrichtungen, spricht von einer "Feuerfaust". Doch die Erfolge verpuffen beinahe wirkungslos, meint ein Experte.

Die Gegenoffensive der Ukraine verläuft schleppend. Seit Monaten gibt es nur kleine Raumgewinne bei der Rückeroberung der eigenen Gebiete von den russischen Besatzern. Die Frontlinien verschieben sich kaum.

Stattdessen werden die kleineren Erfolge gefeiert. Mit der "Feuerfaust" seien russische Munitionsdepots zerstört worden, zudem stehe die Einkesselung Bachmuts bevor. Doch am Vorgehen der ukrainischen Armee gibt es zunehmend Kritik.

"So kann man eine operative Offensive nicht führen", meint Militärexperte Wolfgang Richter. Er ist skeptisch, dass die Ukraine so einen entscheidenden Durchstoß schafft.

Videotranskript lesenEin- oder Ausklappen

"Am Ende wird ein Krieg durch Verhandlungen enden müssen, wenn es nicht ein Siegfrieden wird. Und das sehe ich für keine Seite. Und das sollte man rechtzeitig ins Auge fassen."

Die Ukraine meldet im Rahmen ihrer Gegenoffensive erfolgreiche Schläge gegen russische Einrichtungen hinter den Frontlinien, spricht von einer “Feuerfaust”. Die Pläne des Gegners seien entscheidend gestört worden. Militärexperte Wolfgang Richter betont im Interview mit t-online allerdings, dass die Meldungen zur “Feuerfaust” kein Grund für Euphorie seien.

"Ich glaube, dass das eher so ein blumiger Ausdruck ist für die Wirkung der Artillerie insgesamt, die ja mittlerweile doch sehr weitreichend und sehr präzise ist, dank der westlichen Waffenlieferungen. Aber ich sagte, ich habe ein bisschen Zweifel, denn die Feuerfaust hat auch eine Kehrseite. Und die Kehrseite ist, dass man die Munition, die ja nicht so üppig ist, ein bisschen verstreut, breit verstreut an der Front, in der Freude daran, Ziele in der Tiefe präzise zu zerstören. Was man aber nicht tut, was ich jetzt nicht sehe, ist, dass Artilleriefeuer an den Stellen, an denen man dann wirklich operativ durchbrechen will, so konzentriert wird und dass daraufhin sofort, wenn dieser Zerstörungseffekt erreicht ist, sofort auch das Ganze umgesetzt wird in einen Durchstoß, also in eine Bewegung in der Tiefe, sodass man eine operative Offensive führen kann."

Am Vorgehen der ukrainischen Streitkräfte gibt es offenbar auch aus den Reihen der Bundeswehr Kritik. Das geht aus Teilen eines Geheimberichts hervor. Darin wird das Fehlen einer gemeinsamen Strategie bemängelt. Wolfgang Richter teilt diese Auffassung.

"Die Ukraine greift auf breiter Front stoßtruppartig an – das erinnert mich eher so an den Ersten Weltkrieg – mit Zügen und Kompanien. Aber das ist nicht das, was man braucht, um eine wirkliche Gegenoffensive auf der operativen Ebene zu fahren, die am Ende auch zu Durchbrüchen und zu tiefen Raumgewinnen führt. Sondern das ist doch ein bisschen ein Verzetteln der Kräfte, die man hat. Das kann man in einem Abnutzungskrieg vor allen Dingen dann machen, wenn man insgesamt überlegen ist. Aber das sind die Ukrainer nicht. Und damit ist der Erfolg einer solchen Präzisionsmaschinerie, wie man sie jetzt hat, dann eben auch verpufft. Und so kann man eine operative Offensive nicht führen."

Denn so werden offenbar auch die westlichen Waffensysteme nicht mit der Durchschlagskraft genutzt, die sie bei einem gezielten Durchstoß entfalten könnten. Die Kritik richtet sich dabei vor allem an die Spitze der ukrainischen Armee.

"Da ist die operative Führungsebene der Ukraine noch ein bisschen old fashioned, um es zu sagen. Das heißt, sie beruhen immer noch auf dem, was Sie, weil es ja auch ältere Semester sind, was Sie also aus der sowjetischen Führungslehre her kennen, während auf der unteren Kampfführungsebene ja schon westliche Elemente hineingetragen worden sind bei der Ausbildung an westlichen Waffensystemen. Aber das reicht natürlich nicht, um jetzt, sagen wir mal, eine grundsätzliche Ausbildung, die man in den westlichen Generalstäben über Jahre hinweg betreibt, zum Gefecht verbundener Waffen oder gar zu operativen Offensiven zu ersetzen. Das kann es nicht. Dafür war die Zeit auch zu kurz. Und das würde ja bedeuten, dass man den gesamten Führungsapparat hier sozusagen runderneuern und renovieren müsste. Das kann man sich aber im Krieg nicht leisten."

Und so rechnet Militärexperte Wolfgang Richter trotz kleinerer Erfolge derzeit auch nicht mit einem Durchbruch der Ukrainer, der das Blatt entscheidend wenden könnte.

"Ich bin eher skeptisch, ganz offen gesagt.
Sie werden weiter kleinteilig vorgehen, eher stoßtruppartig, zug- und kompanieweise mit wenigen Schützenpanzern und das auf breiter Front und sich dann, was die Artillerie betrifft, insbesondere darauf konzentrieren, Ziele in der Ferne auszuschalten. Das kann natürlich spektakuläre Erfolge hervorbringen, aber wenn man diese Erfolge nicht nutzt zur Bewegung, dann hat es für Offensiven eben keinen großen Wert. Und deswegen vermute ich, dass dieser Krieg sich weiter als Abnutzungskrieg darstellen wird, dass man sich weiter an der Front sicherlich Gefechte liefert, aber vor allen Dingen auch den Fernkampf mit der Artillerie führen wird, um sich gegenseitig dann zu dezimieren. Aber noch einmal: Eine solche Abnutzungstaktik kann nie zugunsten des Schwächeren ausgehen."

Und so ergibt sich für Wolfgang Richter derzeit nur eine Lösung für ein Ende des Kriegs in der Ukraine.

"Deswegen glaube ich auch, dass ein langwieriger Krieg, ein langfristiger Krieg nicht unbedingt zugunsten der Ukraine ist. Sondern die Frage stellt sich – ob man das mag oder nicht –, ob man irgendwann sich eben doch bereit finden muss, statt weitere Verluste ohne operative Erfolge – das kommt natürlich dazu – zu erzielen und dann in Kauf zu nehmen; ob man dann sich doch irgendwann dazu bereit finden muss, einen Kompromissfrieden zu schließen. Das klingt im Moment noch fast schon als Tabubruch, weil es ja auch um Prinzipien geht. Aber die Welt geht nicht nur oder verläuft nicht nur nach Prinzipien, sondern am Ende wird ein Krieg durch Verhandlungen enden müssen, wenn es nicht ein Siegfrieden wird. Und das sehe ich für keine Seite. Und das sollte man rechtzeitig ins Auge fassen. Aber spätestens wird einen das Gefechtsfeld dazu zwingen. Wenn diese Gegenoffensive nach weiteren Versuchen also dann nicht zum Erfolg kommt, dann ergibt sich ein solches Szenario natürlich selbstverständlich."

Was der Militärexperte an der ukrainischen Strategie kritisiert, warum ihn das Vorgehen an den Ersten Weltkrieg erinnert und was er der Militärführung rät, erfahren Sie im Video direkt hier oder oben.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Militärexperte Wolfgang Richter vom 25.07.2023
  • Aufnahmen aus der Ukraine via Nachrichtenagentur Reuters und Twitter
  • Lageberichte des Institute for the Study of War
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website