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Putin-Verbündeter Kadyrow: "Sie haben die eigenen Leute einfach umgebracht"


Putins tschetschenischer Verbündeter
"Sie haben die eigenen Leute einfach umgebracht"

  • Marianne Max
InterviewVon Marianne Max

Aktualisiert am 03.08.2023Lesedauer: 7 Min.
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Ramsan Kadyrow, Machthaber Tschetscheniens (Archivbild): "Jeder Gegner Putins ist auch seiner", sagt Heß. (Quelle: IMAGO/Yelena Afonina)

Trotz Rückschlägen im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gilt Ramsan Kadyrow noch immer als Putins größter Unterstützer. Seine Männer sind für den Kremlchef ein wichtiges Instrument.

Er gilt als engster Verbündeter des russischen Präsidenten Wladimir Putin und als einer der größten Befürworter des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine: Zu Beginn der russischen Invasion inszenierten sich der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow und seine Männer in Propagandavideos so, als würden sie direkt an der Front in der Ukraine kämpfen. Mittlerweile aber ist klar, dass diese Darstellung nicht der Wahrheit entspricht.

Welche Aufgaben die Kadyrowzy offenbar wirklich übernehmen und warum Kadyrow dem Kremlchef auch nach so vielen Monaten des Krieges noch loyal ist, erklärt Miriam Katharina Heß im Interview. Die Politikwissenschaftlerin von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) beobachtet die extremistischen Strukturen in Tschetschenien seit Längerem und forscht zu Ramsan Kadyrow und seinen Kämpfern.

t-online: Frau Heß, zu Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine inszenierten sich Kadyrow und seine Männer, als wären sie ganz vorn mit dabei. Doch mittlerweile ist es still geworden um seine Kämpfer. Sind die Tschetschenen noch am Krieg gegen die Ukraine beteiligt?

Miriam Katharina Heß: Grundsätzlich ja. Aber man sollte hier unterscheiden zwischen den Kadyrowzy, also den "Männern" von Kadyrow, und den Tschetschenen aus der Bevölkerung. Denn während die Bevölkerung größtenteils unverändert dazu gezwungen wird, als Kanonenfutter in den Krieg gegen die Ukraine zu ziehen, inszenieren sich die Kadyrowzy vor allem in den sozialen Medien, wie zum Beispiel Telegram. Das tun sie auch weiterhin, nur ist der Medienrummel westlicher Medien um sie nicht mehr so groß.

Das heißt, westliche Medien schauen nicht mehr genau hin, was Kadyrow und seine Männer machen?

Nein, aber ich glaube, andere Dinge sind wichtiger geworden. Zu Beginn des Krieges war alles noch spannend, was Kadyrow gesagt hat, vor allem auch, weil er für uns ein neuer und natürlich auch seltsam anmutender Player war. Es war auch unklar, ob und wie seine Kämpfer wirklich am Krieg gegen die Ukraine beteiligt sind. Es zeigte sich, dass zum Beispiel Kämpfer Kadyrows, die auf dem Weg in die Ukraine gezeigt wurden, wahrscheinlich gar nicht in der Form auf dem Weg nach Kiew waren. Auch bei Kadyrow fand man heraus, dass einige Besuche in der Ukraine gefakt waren oder eigentlich zu einem anderen Zeitpunkt stattgefunden hatten. Das heißt: Informationen von Kadyrow sind nicht verlässlich oder relativ eindeutig verwertbar, und westliche Medien beteiligen sich, zu Recht, nicht mehr an Spekulationen.

(Quelle: DGAP/Heß)

Miriam Katharina Heß ist Politikwissenschaftlerin bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Von Januar 2022 bis Mai 2023 war sie Research Fellow im Projekt "Islamistische Radikalisierung und Extremismus in Europas tschetschenischer Community" des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung.

Was tun also Kadyrow und seine Männer überhaupt in der Ukraine?

Sie sind am Krieg beteiligt, aber nicht so, wie Kadyrow es in den sozialen Medien darstellt. Wir wissen zum Beispiel, auch von ukrainischer Seite, dass sie dazu da sind, die russische Armee zu überwachen.

Inwiefern?

Wenn russische Soldaten von der Front geflohen sind, dann sind die Kadyrowzy zum Beispiel dazu da, sie wieder einzufangen und zu bestrafen. Und wenn russische Soldaten verwundet sind, dann lautete ein Auftrag, ihren Genesungsprozess zu überwachen. Ukrainische Informationen geben aber an, dass sie die eigenen Leute zum Teil einfach umgebracht haben, weil sie verwundet und damit sozusagen ein Klotz am Bein waren.

Russland hat laut dem stellvertretenden russischen Verteidigungsminister Nikolaj Pankow insgesamt 39 weitere Privatarmeen, die diese Arbeit ausführen könnten. Wo stehen Kadyrows Truppen also in der Hierarchie?

Sie sind nicht unwichtig. Das russische Verteidigungsministerium hatte angekündigt, die Privatarmeen auf russischer Seite unter Vertrag nehmen zu wollen. Das Achmat-Bataillon aus Kadyrows Privatmiliz wurde als erste Privatarmee unter Vertrag genommen; Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin hat das Angebot abgelehnt und stattdessen einen Aufstand angezettelt. Kadyrows Männer sind dann Ende Juni sozusagen mit Fanfaren losgezogen, um den Kreml vor den Männern Wagners zu schützen.

Aber hätten sie das wirklich gekonnt?

Das lässt sich schwer sagen. Wir wissen nicht, wie viele Wagner-Söldner tatsächlich vor Ort waren und ob sie den Kreml tatsächlich angreifen wollten. Als Söldnertruppe wären sie besser ausgerüstet. Aber mit der Annahme des Vertrags sind die Kämpfer Kadyrows die erste Privatarmee, die offiziell in die russische Armee eingegliedert und damit Teil des russischen Verteidigungsministeriums geworden ist. Das heißt: Der Auftrag, dass Kadyrows Männer Richtung Moskau marschieren, wird höchstwahrscheinlich auch aus dem Kreml gekommen sein.

Daraus wurde aber wieder eine Show für die sozialen Medien gemacht …

Das stimmt, und wären 90 Prozent der Wagner-Söldner dort gewesen, mit all ihrem Militär, dann hätten die Kadyrowzy ziemlich arm ausgesehen. Aber das sind Spekulationen, denn der Aufstand war so schnell vorüber, wie er angefangen hat, und bis heute sind Ausmaß, Beteiligung und Hintergrund nicht vollständig geklärt. Klar ist, dass Kadyrow diesen Moment wieder genutzt hat, um seine Armee samt Ausrüstung demonstrativ über die sozialen Medien zu bewerben.

Video | Erst stecken sie im Stau, dann inszenieren sie sich als Helden
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Quelle: t-online

Das heißt, Putin setzt vor allem auf sie, weil er sie zu seinen loyalen Handlangern zählen kann?

Ja, sie sind auf jeden Fall die loyaleren und auch skrupelloseren Kämpfer auf russischer Seite, wenn man bedenkt, dass sie sich sogar gegen die eigenen Leute wenden. Das hat mehrere Gründe. Einer ist, dass viele Soldaten, die in der russischen Armee kämpfen, nicht freiwillig im Krieg sind, sondern große Teile dazu gezwungen wurden – anders als bei den Männern Kadyrows. Für Putin sind die Kadyrowzy ein gutes Kontrollinstrument, um die eigenen Leute im Griff zu behalten.

Anders als Soldaten der russischen Armee oder Söldner der Wagner-Gruppe, dringt aus den Reihen Kadyrows also auch keine Kritik am Kreml hervor?

Doch, Kayrow ist genau wie Prigoschin ein großer Kritiker der russischen Kriegsführung. Auch er übt Kritik an der Militärführung und am russischen Verteidigungsministerium, sei es wegen der Ausrüstung oder wegen der russischen Kriegsstrategie. Aber er weiß sich die Unterstützung Putins zu sichern, indem er alle kritisiert bis auf Putin selbst. Sein Narrativ ist also, dass der Führungsstab des Verteidigungsministeriums den Ansprüchen Putins nicht gerecht werden kann und dass es ihre Schuld ist, wenn die Armee schlecht ausgerüstet ist, beziehungsweise Rückschläge im russischen Krieg gegen die Ukraine zu verzeichnen sind.

Die beiden verfolgen also eigentlich ein ähnliches Ziel. Warum hat sich Kadyrow nicht mit Prigoschin zusammengetan?

Prigoschin kann Kadyrow nichts bieten, was dieser nicht sowieso von Putin bekommt. Es ist für ihn einfach lohnender, Putin loyal zu bleiben, als an einem Putschversuch teilzunehmen. Denn so ein Putsch, das haben wir gesehen, kann ja auch immer scheitern. Der Unterschied zwischen Kadyrow und Prigoschin ist zudem, dass sich Prigoschin vor allem als Unternehmer versteht. Kadyrow hingegen sieht sich als politische Person.

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Was also ist Kadyrows Ziel?

Er will an Bedeutung gewinnen, auch auf internationaler Ebene. Sein Ziel ist es, durch den russischen Krieg gegen die Ukraine sein Profil zu schärfen und als muslimischer Politiker auch eine Brücke zu Regimen wie beispielsweise dem in Saudi-Arabien zu bauen.

Und ist er dem in den vergangenen Monaten nähergekommen?

Zumindest hat Putin ihn dafür, dass er als größter Befürworter des russischen Krieges gegen die Ukraine gilt, mehrfach belohnt. Seit Kriegsbeginn wurde er militärisch bereits zweimal befördert, was seine politische Agenda durchaus stärken kann. Bleibt er Putin – und nur Putin, nicht dem Kreml, denn diese Karte hat er durch seine starke Kritik verspielt – weiter treu, ist zu erwarten, dass er immer wieder dafür belohnt wird, solange Putin dazu in der Lage ist.

Eine Strategie, die auch riskant sein kann, sollte es in Zukunft zu einem Machtwechsel in Russland kommen.

Wenn Putin fällt, hat Kadyrow nichts mehr zu lachen. Dass Putin an der Macht bleibt, sichert sein politisches Überleben. Denn auch in Tschetschenien steht man aufgrund der Geschichte nicht hinter ihm. Kadyrow ist ein Präsident von Moskaus Gnaden. Das macht ihn verwundbar.

Ramsan Kadyrow ist das Regierungsoberhaupt der russischen Teilrepublik Tschetschenien. Sein Vater Achmat wurde von Putin zum Oberhaupt Tschetscheniens ernannt – als Belohnung dafür, dass er seiner Armee im Zweiten Tschetschenienkrieg 1999 den Rücken kehrte und stattdessen auf russischer Seite kämpfte. In dem zehnjährigen Krieg, der viele Opfer unter der Zivilbevölkerung forderte, eroberte er die bis dahin als unabhängig geltende Region. Mehr dazu lesen Sie hier.

Kritikerinnen wie die Journalistin Elena Milaschina, die kürzlich in Tschetschenien zusammengeschlagen wurde, dürften ihm da ein besonderer Dorn im Auge sein. Aus dem Kreml waren daraufhin auch empörte Stimmen zu hören. Geht Kadyrow also brutaler gegen seine Kritiker vor als Putin?

Nein, wahrscheinlich nicht, aber er macht es mit einer Offenheit, die wir von Putin so nicht kennen. Bei Putin kommen die Kritiker eher ganz mysteriös durch Giftanschläge ums Leben, und man muss die Tat erst einmal rekonstruieren. Bei Alexej Nawalny musste man zum Beispiel zuerst herausfinden, wodurch er genau wie vergiftet wurde.

Und Kadyrow?

Kadyrow lässt Kritiker direkt umbringen, auf offener Straße. Dabei unterschätzt er manchmal das politische und mediale Echo, wie beim Tiergartenmord oder dem Mordversuch, der jetzt in München verhandelt wird. Da ist es schon fast leicht, die Kette von Aufträgen für den Auftragsmord bis zu Kadyrow hin zurückzuverfolgen.

Also handelt er auf eigene Faust und nicht in Absprache mit Putin?

Nicht direkt. Er erfüllt schon einen Auftrag Putins. Denn ein Grund, weswegen er in Tschetschenien eingesetzt wurde, ist, dass die Region dort 'befriedet' werden sollte. Das heißt, mit dem Vorgehen gegen Kritiker schützt er Putins, aber auch seine eigene Macht. Jeder seiner Gegner ist auch Putins Gegner und jeder Gegner Putins ist auch seiner.

Aber?

Kadyrow hat keinen permanenten direkten Draht zu Putin. Denn für Putin wäre es auch viel zu gefährlich, überall sinnbildlich seine Unterschrift drunterzusetzen. Das heißt, Kadyrow wird diese Taten nicht minutiös mit ihm absprechen, er muss bei ihm wahrscheinlich oft eher Gedanken lesen. Gerade jetzt, während des Kriegs gegen die Ukraine, wird Putin den Umgang mit Kadyrows Kritikern im Ausland nicht als oberste Priorität behandeln.

Frau Heß, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Miriam Katharina Heß
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