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Ukraine greift Krim-Brücken an: Was steckt hinter dieser Strategie?


Ukrainische Angriffe auf Brücken
"Krim ist eine riesige Aufmarschbasis der Russen"


Aktualisiert am 08.08.2023Lesedauer: 4 Min.
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Die Henitschesk-Brücke auf der Krim: Ein großes Loch klafft in der Fahrbahn.Vergrößern des Bildes
Die Henitschesk-Brücke auf der Krim: Ein großes Loch klafft in der Fahrbahn. (Quelle: Screenshot/TASS)

Die Ukraine hat erneut zwei Brücken der Krim beschädigt. Schafft es Kiew so, die Lebensadern zur russisch besetzten Halbinsel zu kappen?

Es ist ein riesengroßes Loch, das seit Sonntag in der Fahrbahn der Tschonhar-Brücke klafft. Die Verbindung zwischen dem ukrainischen Festland und der Krim ist schwer beschädigt. Und es ist nicht das erste: Immer wieder attackiert die Ukraine die Infrastruktur im russisch besetzten Teil ihres Landes. Zuletzt hieß es aus Kiew, man habe "zwei wichtige Versorgungsrouten der russischen Besatzer" zerstört.

Doch wie groß ist der Schaden wirklich? Was ist die militärische Strategie dahinter? Und wie schnell können die Russen die Brücken reparieren? t-online beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was ist passiert?

Das ukrainische Militär hat am Sonntag zwei Brücken zur Halbinsel Krim angegriffen. Laut dem Besatzungschef des südukrainischen Gebiets Cherson, Wladimir Saldo, wurde die Tschonhar-Brücke zwischen der Krim und dem ukrainischen Festland von einer Rakete getroffen und beschädigt. Der Verkehr musste gesperrt werden.

Auch etwas weiter nordöstlich bei Henitschesk sei eine Brücke mit mehreren Raketen beschossen worden, schrieb Saldo auf Telegram. Insgesamt sollen die Ukrainer zwölf Geschosse in Richtung Krim abgeschossen haben, berichtet das Institut für Kriegsstudien (ISW) unter Berufung auf russische Quellen. Die russische Luftabwehr habe neun Marschflugkörper abfangen können.

Die ukrainischen Streitkräfte reklamierten die Angriffe wenige Stunden später für sich – was durchaus unüblich ist. In den Wochen zuvor hatte Kiew Attacken auf Brücken oder andere Ziele auf der Krim erst später oder gar nicht eingeräumt. Unabhängig zu überprüfen waren die Angaben zunächst nicht.

Womit hat die Ukraine die beiden Brücken angegriffen?

Mutmaßlich setzte das ukrainische Militär "Storm Shadow"-Marschflugkörper ein, berichtet das ISW. Die Marschlugkörper haben eine Reichweite von 250 Kilometern und wurden von Großbritannien, Frankreich und Italien entwickelt. Die französische Bezeichnung lautet "Scalp/EP". Sie werden von Flugzeugen aus auf Bodenziele abgefeuert. Die Flugkörper haben ein Lenkungs- und Navigationssystem. Damit lassen sich Ziele präzise attackieren.

Bestätigt ist diese Vermutung noch nicht. Fakt ist aber: Die Ukrainer verfügen seit diesem Sommer über "Storm Shadow"-Marschflugkörper aus britischen und französischen Lieferungen. Gut möglich, dass das Waffensystem, gegen das die russische Flugabwehr offenbar wenig ausrichten kann, auch hier zum Einsatz kam.

Wie groß ist der Schaden an den Krim-Brücken?

Zwar mussten die russischen Besatzer den Autoverkehr über die Brücken sperren, sie scheinen aber nur leicht beschädigt zu sein, schreibt das ISW in einer ersten Analyse. Offenbar traf der Angriff auch eine Gasleitung, von deren Ausfall 20.000 Menschen betroffen seien, schreibt das ZDF unter Berufung auf den von Russland eingesetzten Besatzungschef Saldo.

Sollten die Ukrainer aber tatsächlich "Storm Shadow"-Marschflugkörper eingesetzt haben, hätte der Schaden viel größer ausfallen können, meint Ralph Thiele, Oberst a.D. und Vorsitzender der Politisch-Militärischen Gesellschaft. "Das spricht dafür, dass die Waffen noch nicht professionell eingesetzt werden", sagte Thiele t-online. "Sonst hätten die Ukrainer auf die Brückenpfeiler und nicht nur auf die Fahrbahn gezielt, weil die Instandsetzung viel aufwendiger wäre."

Der Leiter der Krim-Besatzung, Sergej Aksjonow, teilte mit, dass die Reparatur an der Tschonhar-Brücke bereits im Gange sei, schreibt das ISW. "Die Russen sind geübt darin, Brücken schnell zu reparieren", sagte Militärexperte Thiele. Den russischen Besatzungsbehörden der Krim zufolge war nach den Angriffen der Autoverkehr zur Halbinsel im Norden noch an zwei Verbindungswegen zum Festland möglich.

"Man erkennt daran, dass die Schläge den Russen große Probleme bereiten", sagte hingegen Nico Lange von der "Zeitenwende-Initiative" der Münchner Sicherheitskonferenz und ehemaliger Leiter des Leitungsstabes im Verteidigungsministerium. "Militärisch macht es Sinn, die Logistik zu erschweren."

Worauf Lange im Gespräch mit t-online hinweist: Jeder Ausfall der militärischen Infrastruktur behindert die russischen Versorgungswege. Besonders kritisch ist der Nachschub der russischen Verteidigungsstellungen in der besetzten südukrainischen Region Saporischschja sowie im Grenzgebiet zur Region Donezk. Russische Truppen halten seit Invasionsbeginn große Teile der Region besetzt.

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Welche militärische Strategie steckt hinter dem Angriff?

Die Tschonhar-Brücke ist eine wichtige Nachschubroute für die russische Armee, die seit mehr als 17 Monaten einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt. Die Brücke wurde in diesem Sommer bereits mehrfach von den Ukrainern im Zuge ihrer Gegenoffensive angegriffen. Kiew will alle von Russland besetzten Teile seines Staatsgebiets befreien – und dazu zählt auch die bereits 2014 völkerrechtswidrig von Moskau einverleibte Krim.

Wie sinnvoll die Angriffe sind, ist unter Militärexperten umstritten. "Die Ukrainer hatten immer Erfolg, wenn sie die russische Logistik konsequent behindert und den Nachschub angegriffen haben", so Militärexperte Lange. So konnte die Ukraine beispielsweise den Norden von Kiew befreien. Je langsamer die Russen Soldaten und Kriegsgerät transportieren können, desto eher kommt es zu Knappheiten.

"Die Krim ist eine riesige Aufmarschbasis für die russischen Streitkräfte. Wenn die jetzt ausfällt wegen der logistischen Probleme, schwächt das die russischen Streitkräfte erheblich." Die Logistik sei der Schwachpunkt der Russen. Wegen fehlenden Munitionsnachschubs sei in einigen Regionen der Artilleriebeschuss zurückgegangen, sagt Lange. Das bringe den Ukrainern einen militärischen Vorteil.

Oberst a.D. Ralph Thiele sieht in den Angriffen auf die Brücken hingegen eine weitere Eskalation des Krieges. Die Ukrainer würden versuchen, Angriffe vermehrt weg von der Front auszuüben. "Ich halte das für ambivalent", sagte Thiele. "Die Nadelstiche tun zwar weh, aber es bleiben Nadelstiche." Für ihn sei der aktuelle Angriff eine "Mischung aus Emotionen und Kalkül", die zu einer weiteren Ausweitung des Krieges führen wird.

Thiele glaubt nicht, dass die Ukraine die Versorgungswege der Russen nachhaltig schwächen kann. Viel Logistik laufe ohnehin über den Schiffsverkehr. Allerdings ist die Krim auch eine wichtige Urlaubsregion. "Wenn der Urlaub für viele Russen ausfällt, ist das für die Moral der Zivilbevölkerung nicht gut."

Verwendete Quellen
  • Telefongespräch mit Ralph Thiele
  • Telefongespräch mit Nico Lange
  • understandingwar.org: "Russian offensive campaign assessment, August 6, 2023" (Englisch)
  • zdf.de: "Ukraine attackiert Krim-Brücken"
  • Material der dpa
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