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Ukraine-Krieg: Was ein Durchbruch für Putin bedeuten würde


Durchbruch im Ukraine-Krieg
"Scholz hat Angst, dass die Ukraine gewinnt"

InterviewVon Patrick Diekmann

Aktualisiert am 05.09.2023Lesedauer: 6 Min.
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Ein ukrainischer Panzer in der Nähe von Robotyne: Hier soll die Ukraine kurz vor einem Durchbruch der ersten russischen Verteidigungslinie stehen.Vergrößern des Bildes
Ein ukrainischer Panzer in der Nähe von Robotyne: Hier soll die Ukraine kurz vor einem Durchbruch der ersten russischen Verteidigungslinie stehen. (Quelle: VIACHESLAV RATYNSKYI/rtr)

Die ukrainische Armee steht im Süden kurz vor dem Durchbruch der ersten russischen Verteidigungslinie. Was bedeutet das für den Ukraine-Krieg, und wie reagiert Kremlchef Putin? Ein Überblick.

Es ist nur ein erster Schritt, wenngleich ein wichtiger: An der Front im Süden ist es der ukrainischen Armee offenbar gelungen, die erste, stark befestigte Verteidigungslinie der Russen zu durchbrechen. Das Dorf Robotyne in der Region Saporischschja sei "befreit worden", bestätigte die ukrainische Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar am Montag. Nun könnte er endlich kommen – der lange erwartete Durchbruch der ukrainischen Gegenoffensive.

Aber wie wichtig ist die Eroberung des kleinen Dorfs in der Südukraine überhaupt? Bricht nun erneut die Front der russischen Armee zusammen, wie im Herbst 2022 in Charkiw?

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Der Militär- und Russlandexperte Gustav Gressel erklärt im t-online-Interview, was der mögliche Durchbruch der ersten russischen Hauptverteidigungslinie für den weiteren Kriegsverlauf in der Ukraine bedeutet und warum Kremlchef Wladimir Putin trotzdem nicht verhandeln möchte.

t-online: Herr Gressel. Die ukrainische Armee verkündete einen wichtigen militärischen Erfolg an der Südfront. Ist der Ukraine tatsächlich ein Durchbruch an der ersten russischen Verteidigungslinie gelungen?

Gustav Gressel: Das ist noch etwas unklar, denn es gibt unterschiedliche Karten, wo genau die russischen Verteidigungslinien verlaufen. Es ist kein Durchbruch auf breiter Front, sondern an einer Stelle südlich von Robotyne scheinen die ukrainischen Truppen eine Schneise geschlagen zu haben. Wenn sich das bewahrheitet, wird die Ukraine nun versuchen, diesen Durchbruch zu verbreitern.

Gustav Gressel

ist als Senior Policy Fellow bei der politischen Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR) tätig. Er beschäftigt sich in seiner Forschung schwerpunktmäßig mit den militärischen Strukturen in Osteuropa und insbesondere mit den russischen Streitkräften.

Für die Ukraine bleibt demnach die Lage schwierig?

Teilweise auf jeden Fall. Die Russen schauen nicht einfach zu, sondern sie haben Reserven in Form von zwei Regimentern Luftlandetruppen und eine Panzerbrigade der 58. Armee in den Raum verlegt. Die nächsten Tage werden hart für die Ukraine, denn sie muss den Durchbruch gegen russische Gegenangriffe verteidigen.

Aber ist die ukrainische Armee an diesem Frontabschnitt nun nicht gefechtsstrategisch im Vorteil?

Es kommt darauf an, wie stark die weiteren russischen Verteidigungslinien dahinter besetzt und ausgebaut sind. Das ist aktuell völlig unklar. Aber wie gesagt: Die ukrainische Armee muss die Einbruchsstelle in die Breite vergrößern, sonst sind ihre vorrückenden Verbände einfachere Ziele für die russische Artillerie. Aus ukrainischer Sicht vorteilhaft ist, dass im Hinterland und in der russischen Tiefe die Minenfelder nicht mehr ganz so dicht sind, weil die russischen Kräfte hier Schneisen gelegt haben, um Gegenangriffe führen zu können. Das erlaubt der Ukraine nun, flexibler zu manövrieren.

Im Westen haben immer weniger Beobachter mit einem Erfolg dieser Gegenoffensive gerechnet. Käme ein Durchbruch denn nun überraschend?

Nein, eigentlich nicht. Nachdem die ganze Kritik an der ukrainischen Gegenoffensive gekommen war, hat die ukrainische Militärführung gesagt, dass sie kurz vor einem Durchbruch stünde. Wir haben außerdem schon in der vergangenen Woche gesehen, wo der Großteil der Kampfhandlungen stattfand und dass die ukrainische Armee sehr erfahrene Brigaden in den Kampf geschickt hat.

Wie geht es denn nun weiter?

Für die Ukraine geht es darum, den Durchbruch zu verbreitern, dem russischen Gegenangriff standzuhalten. Wenn die ukrainische Armee dann hinter der ersten russischen Verteidigungslinie ist, kann sie diese Linie von der Flanke her aufrollen. Dann könnte diese Durchbruchstelle in der Breite wachsen.

Was bedeutet das für die russische Armee?

Sie muss noch mit Gegenangriffen den ukrainischen Durchbruch stoppen und versuchen, die Ukraine hinter die Verteidigungslinie zurückzuwerfen.

Und wenn das nicht gelingt?

Dann hat die russische Armee ein Problem. Sie müsste in diesem Fall ihre Flanken sichern und ihre zweite Verteidigungslinie ausbauen.

Hat die Ukraine denn noch ausreichend Reserven, um auch die zweite Verteidigungslinie attackieren zu können?

Das ist eine gute Frage. Im Nordosten läuft aktuell noch eine russische Offensive, die ukrainische Einheiten bindet. Die Ukrainer vermuten, dass die Russen weitere Kräfte dort reinbringen und sich neu formieren werden, um dort noch einmal neu anzugreifen. Das verschlingt auch Reserven. Die ukrainischen Kräfte, die nun den Durchbruch erweitern sollen, müssen also von anderen Frontabschnitten kommen.

Warum greift Russland in dieser Situation überhaupt an?

Das fragen sich viele russische Generäle wahrscheinlich auch. Diese Offensive war von Putin befohlen, der Teile des Oblast Donezk zurückerobern wollte. Dabei setzte er sich über die Einwände der Militärs hinweg, die die russische Armee aktuell für nicht angriffsfähig halten. Es gibt also Zielkonflikte zwischen der militärischen und der politischen Führung im Kreml. Nach dem mutmaßlichen Tod von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin sitzt Putin aber noch entschlossener im Sattel, und die Generäle sind jetzt noch weniger geneigt, einen Konflikt mit dem russischen Präsidenten zu suchen.

Mit Blick auf den Norden ist das aber bislang ein erneuter militärischer Fehlschlag für Russland.

Richtig. Es ist ein schwerer Fehler von Putin, im Norden in die Offensive zu gehen. Aber er wäre nicht der erste Politiker, der sich für schlauer als seine Generäle hält.

Nun erleben wir eine stockende russische Offensive im Norden und einen vermeintlichen ersten Durchbruch der Ukraine im Süden. Was bedeutet das für den weiteren Kriegsverlauf?

Das lässt sich schwer absehen. Zumindest kann die Ukraine ihren westlichen Kritikern zeigen, dass sie weiterhin militärische Erfolge erringen kann. Aber das Ziel der ukrainischen Gegenoffensive war das Erreichen des Asowschen Meeres, um die Landverbindung vom russischen Festland zur Krim zu kappen. Da liegt noch ein hartes Stück Arbeit vor der ukrainischen Armee, und die Frage ist, wann und mit welchen Verlusten sie dieses Ziel erreichen kann.

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Aber die Ukraine kann ihre Ziele noch erreichen?

Davon bin ich überzeugt, aber die Russen werden dagegenhalten und es wird mühsam. Aber ich mache mir natürlich auch Sorgen wegen der ukrainischen Verluste, denn sie muss natürlich ihre Linien auch über den Winter halten können – denn es wird ein längerer Krieg werden. Was das angeht, war ich im Frühjahr deutlich optimistischer als ich es jetzt bin.

Warum?

Ich bin davon ausgegangen, dass die ukrainische Armee nicht so lange für einen ersten Durchbruch braucht. Die russische Armee hatte nach ihrer Winteroffensive kaum noch präzisionsgelenkte Munition, und ukrainische Panzer konnten sich lange exponieren, ohne getroffen zu werden. Das hat Hoffnung gemacht. Doch Russland hat gezeigt, dass ihnen zumindest noch nicht Kräfte und Munition ausgehen, und ihre mobilisierten Soldaten haben an Erfahrung gewonnen.

Die Ukraine hat wahrscheinlich kaum Alternativen. Putin möchte nicht verhandeln, auch wenn dieser Umstand in manchen Kreisen in Deutschland oft ignoriert wird.

Das stimmt. Die Verhandlungslösung ist keine Alternative, weil Putin auf Sieg spielt und nicht verhandeln will. Selbst wenn die ukrainische Offensive erfolgreich ist, würde Putin nicht verhandeln wollen. Die Strategie des russischen Präsidenten ist, dass er am Ende diesen Krieg länger durchhalten wird. Er geht davon aus, dass die westliche Unterstützung für die Ukraine wegbricht, wenn er das Kriegsende um Jahre hinauszögert. Natürlich ist es peinlich und demoralisierend für Putin, wenn die Ukraine Territorium zurückgewinnt. Aber das wäre letztlich egal, wenn die Unterstützung für die Ukraine aus dem Westen irgendwann einbrechen würde. Dann hätte Putin gewonnen.

Video | Explosionen zerstören Russen-Konvoi
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Quelle: t-online

Was bedeutet das für mögliche Verhandlungen?

Verhandlungen sind das Endspiel in diesem Krieg, aber da sind wir noch nicht. Wenn diese Gegenoffensive der Ukraine scheitern würde, müsste sie schon die nächste vorbereiten. Denn Putin wird ohne eine Niederlage seiner Armee nicht verhandeln. Außerdem wäre es für die Ukraine wahrscheinlich politisch nicht möglich, den Süden aufzugeben. In diesem Fall würde Selenskyj einen Teil seiner Bevölkerung unter russischer Herrschaft im Stich lassen. Deswegen bleibt der Ukraine kaum eine andere Wahl als weiterzukämpfen.

Warum erklären die Bundesregierung oder US-Präsident Joe Biden das nicht einmal öffentlich? Gefühlt stand Selenskyj in den vergangenen Wochen ziemlich im Regen im Angesicht der Kritik.

Biden und auch Kanzler Olaf Scholz haben Angst davor, dass die Ukraine gewinnt. Beide möchten einen Waffenstillstand und keine zu schnelle Niederlage Russlands. Sie befürchten, dass Russland auseinanderfallen würde und jemand den Atomknopf drücken könnte. Ich halte diese Ängste allerdings für unbegründet.

Nun hat auch Präsident Selenskyj in einem Interview am Wochenende gesagt, er könne sich vorstellen, dass die Krim politisch entmilitarisiert wird. Öffnet sich die Ukraine damit für Verhandlungen?

Die Ukraine hat Verhandlungen nie kategorisch ausgeschlossen, es gab ja schon Selenskyjs Friedensformel. Er hat in dem Interview nur das aufgegriffen, worüber in der Ukraine ohnehin diskutiert wird: für die ukrainische Armee ist es schwierig, die Schwarzmeerhalbinsel in einem frontalen Angriff zurückzugewinnen. Vielmehr soll sie unter Blockade kommen und dann als Faustpfand dienen.

Trotzdem waren das neue Töne. Ist eine Eroberung der Krim für die Ukraine vom Tisch?

Natürlich weiß auch Kiew, dass die Russen die Krim nicht einfach so übergeben werden. Deswegen gab es die Idee, die Halbinsel zu blockieren – mit Angriffen auf Häfen, die Krim-Brücke und den Seeverkehr. Ich denke schon, dass sich die Ukraine – als ersten Schritt – eine unabhängige Krim, die unter UN-Aufsicht entmilitarisiert wird, vorstellen kann. Zunächst muss Russland aber erst einmal auf der Verliererstraße sein, damit Putin überhaupt verhandeln möchte.

Und dann könnte Putin vielleicht sogar die Krim behalten?

Es wird am Ende auch darum gehen, ukrainische Menschenleben zu schonen, weil die Krim militärisch nur schwer zu erobern ist. Selenskyj wird sich Verhandlungen mit Russland nicht verschließen. Das wollte er auch nie. Aber vielleicht hat er es nun noch einmal hervorgehoben, um die Leute im Westen daran zu erinnern.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Gressel.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Gustav Gressel
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