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Politische Eskalation mit Ukraine: Dieser Satz erschüttert Kiew


Streit mit Ukraine eskaliert
Ein Satz, der Kiew erschüttern dürfte

Von Christoph Cöln

Aktualisiert am 21.09.2023Lesedauer: 4 Min.
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Wahlkampfthema: Polen, Ungarn und Slowakei wollen weiterhin kein ukrainisches Getreide. (Quelle: Glomex)

Es wäre ein schwerer Rückschlag für die Ukraine: Polen kündigt vermeintlich eine Einstellung seiner Waffenhilfe an. Hintergrund ist ein eskalierender Streit.

Wendet sich einer der größten Unterstützer der Ukraine von dem Land ab? Wie mehrere Nachrichtenagenturen am späten Mittwochabend mitteilten, will Polen seine Militärhilfe für das Nachbarland einstellen. Dies soll Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in einem Interview mit dem Sender Polsat News angekündigt haben.

Tatsächlich hatte Morawiecki auf die Frage, ob sein Land die humanitäre und auch militärische Hilfe für den Nachbarn fortführen wolle, laut der Deutschen Presse-Agentur (dpa) Folgendes geantwortet: "Wir liefern schon keine Rüstungsgüter mehr an die Ukraine, sondern rüsten uns selbst mit den modernsten Waffen aus."

Der Satz lässt durchaus Raum für Spekulationen. Sollte Polen tatsächlich aus der Waffenhilfe aussteigen, wäre das für die von Russland angegriffene Ukraine ein schwerer Rückschlag, denn bislang stand die Regierung in Warschau fest an der Seite der Ukraine. Auf dpa-Nachfrage hat sich die polnische Regierung bislang nicht zu dem Vorgang geäußert. Fakt ist jedoch, dass es zwischen Kiew und Warschau schon seit Tagen gefährlich brodelt.

Morawieckis Aussage erfolgte wenige Stunden, nachdem Polen den ukrainischen Botschafter einbestellt hatte, um gegen Äußerungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor den Vereinten Nationen zu protestieren.

Auslöser des Schritts ist ein Streit um Getreideimporte. In den vergangenen Tagen war es zu einer diplomatischen Krise zwischen beiden Ländern gekommen, nachdem Polen trotz des Auslaufens eines EU-Embargos am Freitag auch weiterhin kein ukrainisches Getreide ins Land lassen wollte. Daraufhin reagierte die ukrainische Regierung mit ungewöhnlich scharfen Tönen.

Selenskyj richtet scharfe Töne Richtung Warschau

Unter anderem hatte der stellvertretende ukrainische Wirtschaftsminister Taras Kaczka am Sonntag angekündigt, juristische Schritte einleiten zu wollen. "Es ist uns wichtig zu beweisen, dass diese Schritte [Polens] rechtlich falsch sind. Deshalb werden wir morgen damit beginnen, eine Klage vorzubereiten", sagte er am Sonntag gegenüber dem Magazin "Politico". Außerdem kündigte Kaczka angesichts des in Polen weiterhin bestehenden Importverbots für ukrainisches Getreide an, im Gegenzug nun Importverbote für polnisches Obst und Gemüse zu verhängen.

Der Handelsstreit eskalierte am Mittwoch vollends, als sich Präsident Selenskyj vor den Vereinten Nationen in scharfem Ton und kaum verhohlen an Polen richtete – ohne das Land direkt zu nennen. "Es ist alarmierend zu sehen, wie einige unserer Freunde in Europa ein politisches Theater der Solidarität spielen und einen Thriller aus dem Getreide machen." Diese Länder würden ihre Rollen nur spielen, so Selenskyj. In Wirklichkeit gingen sie aber dem Schauspieler im Kreml auf den Leim.

Das polnische Außenministerium berief daraufhin den ukrainischen Botschafter in Warschau ein. "Wir betrachten diese Worte als ungerecht im Kontext der Maßnahmen, die Polen in den letzten Jahren ergreift und ergriffen hat", betonte Regierungsvertreter Marcin Przydacz.

Slowakei verhandelt wohl um ein Stopp des Embargos

Tatsächlich war Polen bislang als einer der größten Unterstützer der Ukraine in dem völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg aufgetreten. So lieferte die Regierung in Warschau unter anderem 200 modernisierte Kampfpanzer an den Nachbarn, 18 Panzerhaubitzen vom Typ Krab und stellte im Frühjahr als erstes Land auch Kampfjets zur Verfügung. Außerdem unterhält Polen ein wichtiges Logistikzentrum, über das militärische Güter und andere Hilfsgüter in die Ukraine verschickt werden.

Dazu sagte Morawiecki in dem Interview von Mittwoch: "Unser Drehkreuz in Rzeszow wird im Einvernehmen mit den Amerikanern und der Nato weiterhin die gleiche Rolle spielen wie bisher und auch in Zukunft". Ein kompletter Rückzug aus der Ukraine-Hilfe steht für das Nato-Mitglied Polen also offenkundig nicht zur Debatte.

Die milliardenschwere Militärhilfe Polens war bislang einer der wichtigsten Bausteine in der ukrainischen Verteidigungsstrategie. Sollte Polen diese nun tatsächlich einstellen, könnte das die Bemühungen der Ukraine zurückwerfen, sich im Krieg mit Putin zu behaupten.

Um den Streit nicht weiter zu eskalieren, soll die ukrainische Regierung Warschau in Sachen Getreide bereits entgegengekommen sein. "Wir haben Polen einen Konsens angeboten, der ausnahmslos alle Anliegen der polnischen Landwirte berücksichtigt", sagte der ukrainische Handelsbeauftragte Kaczka. "Was uns empört, ist die Tatsache, dass die polnische Regierung glaubt, dass eine einfachere Lösung darin besteht, die Einfuhr von ukrainischem Getreide zu verbieten. Aber das ist ein Missverständnis".

Mit der Slowakei verhandelt die Ukraine demnach bereits über einen Stopp des Embargos, obwohl auch die Regierung in Bratislava große Nachteile für ihre Bauern befürchtet.

Faktor Parlamentswahlen in Polen

Der Export von Getreide ist für die vom Krieg schwer gebeutelte ukrainische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Seitdem Russlands Diktator Wladimir Putin das Getreideabkommen mit der Ukraine Ende Juli auslaufen ließ, hat die Ukraine große Schwierigkeiten, eines ihrer Hauptexportgüter auf den internationalen Märkten abzusetzen. Seit dem Auslaufen bombardiert Russland auch immer wieder ukrainische Häfen und die Export-Infrastruktur für Getreide. Offenbar versucht der Kreml so zu verhindern, dass Kiew eine seiner wichtigsten finanziellen Lebensadern aufrechterhalten kann.

Umso wichtiger sind für die Ukraine die Getreideexporte auf dem Landweg, unter anderem in EU-Länder wie Polen, die Slowakei und Ungarn. Allerdings weigern sich diese, das zumeist billigere ukrainische Getreide ins Land zu lassen, aus Angst davor, der heimischen Agrarwirtschaft zu schaden. Morawiecki beharrte am Mittwochabend auf der harten Haltung Polens in der Frage. "Ich habe der Europäischen Kommission sowie der ukrainischen Regierung und dem Präsidenten klar gesagt: Entweder wir bekommen eine Verlängerung des Embargos [gegen Getreide] oder wir werden es selbst einführen", sagte er Polsat News.

In Polen stehen Mitte Oktober Parlamentswahlen an, erwartet wird ein knappes Rennen zwischen dem rechten Lager um Ministerpräsident Morawiecki (PiS) und der liberalkonservativen Opposition um den ehemaligen polnischen Regierungschef Donald Tusk (Bürgerplattform). Landwirte sind eine wichtige Wählergruppe der rechtsnationalen PiS-Regierung. "Wir schützen die polnischen Landwirte", sagte Morawiecki.

Verwendete Quellen
  • politico.eu. "Ukraine will sue Poland, Hungary and Slovakia over agricultural bans" (englisch)
  • polsatnews.pl: "Mateusz Morawiecki w Polsat News. Mówił o "przestrodze" dla Kijowa" (polnisch)
  • fakty.tvn24.pl: "Kryzys na linii Polska-Ukraina. Zełenski skrytykował Warszawę. "Te słowa traktujemy jako niesprawiedliwe" (polnisch)
  • rp.pl: "Ukraina proponuje zbożowy kompromis. Polski rząd milczy, Słowacja rozmawia" (polnisch)
  • ntv.de. "Bericht: Polen liefert moderne Haubitzen"
  • statista.de: "Polen: "Wen würden sie wählen, wenn an diesem Sonntag Parlamentswahlen wären?""
  • zdf.de: "Vier Wochen vor Parlamentswahl:"Dieb", "Clowns": Hitziger Wahlkampf in Polen"
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen AfP und dpa
  • handelsblatt.de: "Warum die Ukraine ihren engsten Verbündeten Polen verklagt"
  • zdf.de: "Fakten zum Getreideabkommen:So treibt Putin Menschen in den Hunger"
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