t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePanoramaWissen

Ohne Schlaf, ohne Pause: Ganz Japan leidet unter Schlafmangel


Ohne Schlaf, ohne Pause
"Ganz Japan leidet unter chronischem Schlafmangel"

Von dpa
21.06.2015Lesedauer: 3 Min.
Schlafmangel ist ein großes Problem in Japan, das sogar längst die Experten des Landes beschäftigt.Vergrößern des BildesSchlafmangel ist ein großes Problem in Japan, das sogar längst die Experten des Landes beschäftigt. (Quelle: dpa-bilder)
Auf Facebook teilenAuf x.com teilenAuf Pinterest teilen
Auf WhatsApp teilen

Schlafende Geschäftsleute in der U-Bahn - ein typisches Japan-Klischee, das der Westen erfunden hat? Nein, vielmehr die alltägliche Wirklichkeit. Die Ostasiaten nennen den Kurzschlaf "Inemuri". Er zeugt vor allem vom Schlafmangel eines ganzen Landes.

Der Kopf des Japaners sackt auf die Schulter seines Sitznachbarn. Wie er sitzen an diesem Abend gleich mehrere Geschäftsleute auf den Bänken der U-Bahn und nicken immer wieder ein. Manchen gelingt das sogar im Stehen. Sie knicken gelegentlich in den Knien zusammen, richten sich auf und schlummern weiter.

Solche Szenen sind Alltag in Tokio. "Die ganze Nation leidet unter chronischem Schlafmangel", stellt Kazuo Mishima fest. Er ist Schlafexperte am National Center of Neurology and Psychiatry.

Gefährlicher Arbeitsethos

Der "Tag des Schlafs" am 21. Juni soll in Deutschland auf die Bedeutung der erholsamen Bettruhe aufmerksam machen. Etwas Vergleichbares gibt es in Japan nicht: Wenig zu Schlafen gilt dort als ein Zeichen für harte Arbeit, Fleiß und Überstunden. "Fumin Fukyu" ist in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt ein erstrebenswertes Ethos. Es bedeutet übersetzt: "Ohne Schlaf, ohne Pause".

Nach einer Untersuchung der amerikanischen National Sleep Foundation schlafen die Japaner durchschnittlich nur sechs Stunden und 22 Minuten am Tag. Das ist weniger als bei ihren Mitmenschen in anderen Ländern wie Deutschland, den USA, Großbritannien, Mexiko oder Kanada.

Laut Statistiken von Mishima gingen im Jahr 1941 noch 90 Prozent der Japaner kurz vor 23 Uhr schlafen. 1970 legte sich die Mehrheit erst gegen Mitternacht ins Bett, zur Jahrtausendwende verschob sich die Einschlafzeit dann auf ein Uhr nachts. Die Japaner stehen aber zugleich seit 1970 morgens immer zur gleichen Zeit auf. Das heißt, die Dauer des Schlafes ist kürzer geworden.

Sie schlafen einfach überall

Um den fehlenden Schlaf auszugleichen, bedienen sich die Japaner einer Methode, die in westlichen Ländern wenig praktiziert wird, in Japan dagegen sogar von der Regierung empfohlen wird: das Power Napping, also der Kurzschlaf am Tag zum Wiederauftanken der Batterie.

Das Einschlafen ist allerdings nicht immer gewollt, oft fallen die Augen schlicht aus Müdigkeit zu. "Inemuri" heißt das Nickerchen in Japan: Die beiden Schriftzeichen verbinden "anwesend sein" und "Schlaf". Ob beim Pendeln, im Büro oder der Kantine, bei Konferenzen oder im Parlament - Japaner können überall schlafen.

Japanische Wirtschaft setzt auf Power Napping

Nickerchen an sich gelten als gesundheitsfördernd, sollen Stress verringern und die Aufmerksamkeit erhöhen. Das japanische Gesundheitsministerium empfiehlt in seinen Richtlinien ausdrücklich einen Kurzschlaf am frühen Nachmittag, der allerdings nicht länger als 30 Minuten dauern sollte. Die Wirtschaft zieht mit.

So führte die Renovierungsfirma Okuta Corporation 2012 den Power Nap ein und erlaubt ihren etwa 300 Angestellten, einmal am Tag 15 Minuten zu schlafen. "Dank des Mittagsschlafs mache ich weniger Fehler beim Tippen", schildert eine Mitarbeiterin. Die Internetfirma GMO Internet stellt ihren Mitarbeitern eigens 30 Sofas in einem Konferenzraum für den Power Nap zur Verfügung.

Auch in anderen Firmen ist es nichts Ungewöhnliches, wenn Mitarbeiter am Schreibtisch oder während der Mittagspause in der Kantine kurz schlafen. Wichtig ist aber, Verhalten und Körperhaltung der Umgebung anzupassen - schnarchen oder Füße hochlegen ist im Büro verpönt.

Mediziner warnen vor der Lebensweise

Sind die Japaner mit ihrer vermeintlichen Fähigkeit, wie auf Knopfdruck einschlafen zu können, ein Vorbild für unsere hektische westliche Gesellschaft? Wohl nicht. Auch die japanischen Experten sind eher besorgt über die Lebensweise ihrer Landsleute.

"Chronischen Schlafmangel kann man nicht durch Mittagsschlaf ausgleichen", erklärt Professor Makoto Uchiyama von der Universität Nihon Daigaku. "Schlafmangel führt nicht nur zu geringerer Konzentration und schlechteren Leistungen, sondern auch zu Unfällen im Verkehr oder der Industrie", warnt auch Schlafexperte Mishima.

Schon Kinder leiden unter Schlafmangel

Das Problem beginnt in Japan oft schon im Kindesalter. Eine Untersuchung des Kultusministeriums hat ergeben, dass japanische Mädchen und Jungs im internationalen Vergleich am wenigsten schlafen. Als ein Grund dafür gilt die viele Zeit, die japanische Kinder im Internet verbringen. Eine weitere Ursache ist der immer stärker werdende Bildungswettbewerb: Neben dem Schulunterricht besuchen japanische Kinder obligatorische Sportklubs und anschließend bis häufig spät in den Abend noch spezielle Paukschulen, so dass kaum noch Zeit zum Schlafen bleibt.

Japanische Fachleute machen den Lebensstil der Erwachsenen mitverantwortlich für den Schlafmangel und gestörten Tagesrhythmus der Kinder. Untersuchungen zufolge leidet inzwischen jeder fünfte Japaner unter einer Schlafstörung. Experten und inzwischen auch die Regierung schlagen daher Alarm. "Früh schlafen, früh aufstehen und frühstücken", mahnt die Regierung die Bürger. Trotz des weit verbreiteten Power Naps stoße Japan an seine Grenzen.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website