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Berlin-Wahl | Spitzenkandidatin Bettina Jarasch: "Autofahrer müssen Platz abgeben"


Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch
"Autofahrer müssen Platz abgeben"

  • Nils Heidemann
InterviewVon Nils Heidemann, Yannick von Eisenhart Rothe

Aktualisiert am 08.02.2023Lesedauer: 8 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Bettina Jarasch in der t-online-Redaktion: Ihr Wunsch ist ein Berlin, in dem nur E-Autos fahren.Vergrößern des Bildes
Bettina Jarasch in der t-online-Redaktion: Ihr Wunsch ist ein Berlin, in dem nur E-Autos fahren. (Quelle: t-online)

Bettina Jarasch will Berliner Bürgermeisterin werden. Im Interview schießt sie gegen ihren Koalitionspartner, kämpft für Tempo 30 und spricht über Auto-Hass.

Am 12. Februar wird in Berlin die Abgeordnetenhauswahl wiederholt. Derzeit regiert Rot-Grün-Rot in der Hauptstadt. Ein Gespräch mit Bettina Jarasch, die die erste grüne Regierende Bürgermeisterin Berlins werden will.

t-online: Am Dienstag hat das Bundesverfassungsgericht bekannt gegeben, dass die Berlin-Wahl nicht verschoben wird. Frau Jarasch, mit welchem Gefühl haben Sie nach Karlsruhe geblickt?

Bettina Jarasch: Ich war nervös. Wenn das Bundesverfassungsgericht die Wahl noch gestoppt hätte, hätte ich keinem Menschen in Berlin erklären können, warum wir jemals wieder zu einer Wahl gehen sollen. Ich bin erleichtert und froh.

Wie groß ist der Schaden an der Demokratie, der durch das Wahlchaos in Berlin entstanden ist?

Es ist ein Schaden für die Demokratie und für den Ruf der Stadt entstanden. Es ist ein Vertrauensverlust in die Handlungsfähigkeit von Staat und Politik. Wir brauchen dringend eine Verwaltungsreform. Die Verantwortlichkeiten in dieser Stadt sind so unklar geregelt, dass nicht klar war, wer für die Organisation der Wahlen wirklich zuständig war. Der SPD-Innensenator konnte sich dahinter zurückziehen, dass er für die Organisation der Wahl gar nicht zuständig gewesen sei, sondern die Bezirke. Das ist das übliche Berlin-Pingpong zwischen Land und Bezirken. Es wird allerhöchste Zeit, dass wir das ändern.

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Was würde es bedeuten, wenn die Wiederholungswahl im Nachhinein doch noch gekippt wird?

Ich bin keine Juristin. Ich gehe aber davon aus, hätten die Richter die Wahl stoppen wollen, hätten sie es bereits getan.

Sie haben Innensenator Geisel angesprochen. Hätte er zurücktreten müssen?

Das ist eine Entscheidung der SPD. Grüne und Linke haben sich bei den Bürgerinnen und Bürgern für diese Zumutung entschuldigt, dass wir jetzt wieder wählen müssen. Die SPD hat sich bis heute nicht entschuldigt und keine Fehler eingestanden. Das finde ich irritierend.

In Ihrer ersten Spitzenkandidatur waren Sie als "Brückenbauerin" bekannt. Jetzt spalten Sie mit Ihrer Verkehrspolitik die Stadt. Was machen Sie falsch?

Mobilitätspolitik bedeutet Veränderung. Und zwar Straße für Straße. Anders kriegen wir das gar nicht hin. Wir wollen klimafreundliche und sichere Mobilität gerade für die Schwächsten im Straßenverkehr schaffen. Ich stelle damit die Schwächsten, also Fußgängerinnen und Radfahrer, ins Zentrum. Das bedeutet, dass Autofahrer, die es weiter geben wird, Platz abgeben müssen, damit alle sicherer und besser durch die Stadt kommen. Das ist im Grunde der Kern, über den wir in immer neuen Facetten diskutieren.

Warum haben Sie so kurz vor der Wahl wieder einen Teil der Friedrichstraße für Autos gesperrt?

Das ist nichts Neues. Es gibt einen festen Zeitplan, das habe ich seit November transparent kommuniziert. Wir haben, besonders von Gewerbetreibenden, eine ganze Reihe von Kritik und Bedenken aufgenommen und umgesetzt, beispielsweise beim Umgang mit dem Lieferverkehr. Die dauerhafte Umwidmung zur Fußgängerzone wird den Geschäften dort auch wieder Kunden bringen und der Straße Schwung verleihen, weil die Aufenthaltsqualität steigt.

Das Bündnis "Rettet die Friedrichstraße" kritisiert Sie und will gegen die Entscheidung klagen. Sie würden ohne Konzept für "einen massiven Eingriff in die Wirtschaftlichkeit der Gewerbetreibenden" sorgen.

Es gibt auch Gewerbetreibende, die das anders sehen. Und vier von fünf Befragten wünschen sich eine Friedrichstraße als Fußgängerzone. Ich denke da an das Gemeinwohl. Deshalb habe ich auch die Sorgen der Kritiker ernst- und aufgenommen. So entsteht in der Abwägung etwas Gutes für alle. Jetzt erst hat die Friedrichstraße die Chance, zu einem modernen Stadtraum zu werden.

Frau Giffey hat sich über Ihre Entscheidung nicht gefreut.

Wir haben davor noch telefoniert und zigmal gesprochen. Eine Überraschung war es für sie nicht, dass die Friedrichstraße Fußgängerzone werden soll.

Warum hat sie es dann als "Alleingang" bezeichnet?

Wahlkampf macht offensichtlich vergesslich.

Warum hassen Sie eigentlich das Auto?

Tue ich überhaupt nicht. Ich nutze das Auto auch.

Bettina Jarasch
Bettina Jarasch (Quelle: Axel Krüger/t-online)

Zur Person

Bettina Jarasch ist 54 Jahre alt und seit 2021 Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher und Klimaschutz. Wie schon bei der vergangenen Wahl ist sie wieder die Spitzenkandidatin der Grünen. Vor ihrer politischen Karriere arbeitete Jarasch als Journalistin. Sie ist verheiratet und hat zwei Söhne.

Wo denn zum Beispiel?

Wenn ich was zu transportieren habe. Oder wenn ich, wie aktuell, zu vielen Terminen in weit voneinander entfernten Stadtteilen muss. Deshalb habe ich auch Verständnis für Handwerker beispielsweise, die ähnlich flexibel in der Stadt mit Arbeitsgerät unterwegs sein müssen. Aber ich möchte Mobilität in Berlin so organisieren, dass mehr Menschen auf das eigene Auto verzichten können, auch für Menschen am Stadtrand.

Dazu soll Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in Berlin gelten. Eine Umfrage hat gezeigt, dass in Berlin 62 Prozent dagegen sind. Ist Ihnen das Gemeinwohl egal?

Mein Maßstab für das Gemeinwohl sind immer die Schwächsten. Im Straßenverkehr sind die Schwächsten die Fußgänger und Radfahrer. Ich will eine Mobilität, die Verkehrssicherheit herstellt.

Aber warum denn jetzt Tempo 30?

Städte in Skandinavien haben fast keine Verkehrsunfälle und Verkehrstoten mehr, weil dort Tempo 30 herrscht. Es kommt zu deutlich weniger schlimmen Unfällen und der Verkehr fließt besser. Übrigens haben wir in Berlin in 75 Prozent der Straßen bereits Tempo 30. Das ist keine große Revolution, die wir hier anstreben. Tempo 30 als Regel und Tempo 50 als Ausnahme auf den großen Hauptstraßen.

Sie sagen auch, dass ab 2030 in Berlin nur noch E-Autos fahren sollen. Muss man sich das "Grün wählen" leisten können?

Schon im vergangenen Jahr hatten wir in Berlin mehr Zulassungen von E- und Hybrid-Autos als Verbrenner. Deshalb sag ich allen, die noch ein Auto brauchen: Bitte kauft ein Elektroauto. Der Gebrauchtwagenmarkt wird sich da auch weiterentwickeln. Ich finde auch das nicht revolutionär. Auf EU- und Bundesebene gibt es klare Gesetze und Vorgaben, dass Verbrenner in absehbarer Zeit nicht mehr zugelassen werden. Die Menschen stellen sich um. Der Durchbruch für Elektroautos ist endlich geschafft. Ich möchte Planungssicherheit für die Menschen, indem ich bewusst Jahre vorher ankündige, was kommen soll.

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Die U2 fährt seit Monaten eingeschränkt, weil sich der Tunnel unter einer Baustelle abgesenkt hat. Hat der Bauherr, das Unternehmen Covivio, denn mittlerweile ein Sanierungskonzept vorgelegt?

Er hat jetzt endlich alle Unterlagen eingereicht und ist sehr kooperationswillig. Wir hatten zuvor Druck gemacht, denn Covivio muss diese Wand und den Tunnel sanieren und absichern. In der kommenden Woche wird das Unternehmen darüber informieren. Wir steuern weiter intensiv, werden da die Fäden nicht mehr aus der Hand geben. Und wir sorgen dafür, dass der Schienenersatzverkehr besser wird in der Bauzeit. Für die Fahrgäste ist das derzeit eine Zumutung.

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Welche Fehler haben Sie gemacht?

Es ist nicht das erste Mal in Berlin, dass Investoren-Wünsche bei der Stadtplanung die Priorität hatten, obwohl es von der Verkehrsverwaltung und der BVG Bedenken gab. Es braucht in Zukunft einen kritischeren Blick auf solche Bauanträge. Denn unser super ausgebautes Netz ist in die Jahre gekommen. Ich möchte verbindliche Vereinbarungen zur Sicherung und Haftung. In diesem Fall gibt es eine sogenannte nachbarschaftliche Vereinbarung zwischen der BVG als der Geschädigten und Covivio. Das ist aber nicht verpflichtend. Und das muss Minimum sein in Zukunft.

Warum hat es drei Monate gedauert, bis Sie sich mit der BVG und Covivio an einen Tisch gesetzt haben?

Es hat gedauert, weil nur ein Teil der Unterlagen eingereicht worden war. Covivio aber meinte, dass seien schon alle entscheidenden Unterlagen. Wir hatten immer wieder nachgefragt, können im Grund nur treiben und begleiten. Der Bauherr ist hier in der Haftung.

Klimaschutz war immer das grüne Kernthema. Ihre Partei kommt aus einer Protestbewegung. Müssten Sie nicht eigentlich applaudieren, wenn Aktivisten der "Letzten Generation" sich auf die Straße kleben?

Nein. Ich möchte konsequenten Klimaschutz, aber dafür brauchen wir demokratische Mehrheiten. Ich kann den Frust der "Letzten Generation" verstehen. Es geht beim Klimaschutz zu langsam, da haben sie recht. Aber ihre Aktionen tragen nicht dazu bei, dass wir Akzeptanz und Mehrheiten für den Klimaschutz gewinnen.

Wie meinen Sie das?

Die Aktionen dienen als Ablenkungsmanöver für die, die sowieso keinen Klimaschutz wollen, wie CDU oder SPD. Die sind froh, wenn sie über die Blockaden und härtere Strafen diskutieren können, statt beim Klimaschutz ins Machen zu kommen.

Die "Letzte Generation" erhält Unterstützung aus der Wissenschaft, etwa von Wolfgang Lucht aus dem Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung. Er sagt, dass viele noch immer nicht verstanden haben, was da auf uns zukommt und spricht von einem "Zivilisationsbruch". Haben Sie Angst?

Unter Zivilisationsbruch verstehe ich historisch etwas anderes. Aber der Klimaschutz treibt auch mich um, es macht mir Sorgen. Ich habe zwei Kinder und frage mich, welche Welt wir ihnen hinterlassen. Auch jetzt schon ist die Klimakrise gefährlich, etwa für Alte oder Herzkranke, die Hitzesommer nicht überleben. Man darf aber Menschen nicht nur Angst machen. Ich will Unterstützung dafür gewinnen, Dinge zu verändern. Wir können es schaffen, Berlin zu einer grünen Stadt zu machen, die die Klimakrise übersteht und lebenswert bleibt.

Die Räumung von Lützerath mit Zustimmung Ihrer Partei war ein weiterer Bruch mit der Klimabewegung. Verlieren die Grünen ihr Kernthema, weil man in der Regierung nicht mehr so radikal sein kann?

Es ist schwer vermittelbar, heute noch Häuser wegzubaggern, um Kohle abzubauen. Auch Berliner Grüne waren in Lützerath, um dort zu protestieren. Die Grünen im Bund und in Nordrhein-Westfalen haben versucht, die Einigung mit RWE als Erfolg zu verkaufen, obwohl es ein schmerzhafter Kompromiss war. Das sollte man nicht machen. Aber ich sehe keinen Bruch mit der Klimabewegung. Auf unserem Programmparteitag haben Aktivistinnen und Aktivisten gesprochen, die vorher in Lützerath protestiert haben. Die sind kritisch, aber geben uns nicht auf, sondern verlangen Klimaschutzmaßnahmen. Und sie wissen, dass wir dafür an die Spitze der Regierung müssen.

Sie sind für Enteignungen von großen Wohnungsunternehmen. Wie helfen Enteignungen dabei, neuen Wohnraum zu gewinnen?

Vergesellschaftung schafft keinen neuen Wohnraum, das stimmt. Aber wir kriegen dadurch viel mehr Wohnungen in eine gemeinwohlorientierte Hand. So bleibt mehr Wohnraum bezahlbar. Und wir könnten den Mietspiegel insgesamt beeinflussen, was allen hilft.

Wird also enteignet, wenn Sie Bürgermeisterin werden?

59 Prozent haben beim Volksentscheid für Vergesellschaftung gestimmt, das nehme ich sehr ernst. Wir müssen aber einen rechtssicheren Weg haben. Das darf auf keinen Fall ein zweiter Mietendeckel werden, der vor Gericht scheitert. Alle offenen Fragen müssen geklärt sein.

Außer Klaus Lederer von den Linken lehnen alle anderen Spitzenkandidaten Enteignungen ab. Wäre es nicht ehrlicher zu sagen, dass es keine Mehrheit im Parlament dafür geben wird?

Wir haben erst vor einem Jahr im Koalitionsvertrag beschlossen, dass eine Expertenkommission die offenen Fragen prüft: mit dem klaren Ziel, dass sie uns Eckpunkte für ein Gesetz liefert. Dazu gibt es auch einen Parteitagsbeschluss der SPD. Dass Franziska Giffey davon jetzt nichts mehr wissen will, irritiert mich sehr.

Frau Giffey wäre also kein Teil einer Regierung Jarasch?

Ich möchte die Koalition mit SPD und Grünen fortsetzen, unter grüner Führung. Personalentscheidungen muss die SPD dann selber treffen, ich kann aber gut mit Franziska Giffey.

Die CDU führt in Umfragen seit Wochen stabil. Wären Sie bereit, mit den Christdemokraten zu koalieren?

Meine Präferenz habe ich genannt, dafür kämpfe ich.

Aber was ist der Plan B, wenn das nicht klappt?

Die Chancen für Plan A sind so groß wie nie. Mehr sage ich dazu nicht.

Was machen Sie, wenn Sie nicht Bürgermeisterin werden?

Die Chancen stehen gut und dafür kämpfe ich. Wir haben gezeigt, dass wir gestalten können. Nach 21 Jahren SPD gibt es Ermüdungserscheinungen. Es ist Zeit für eine grüne Führung.

Das war keine Antwort auf die Frage.

Aber die nächstmögliche, die Sie kriegen (lacht).

Verwendete Quellen
  • Eigenes Interview
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