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Berlin-Wahl 2023 | Franziska Giffey kritisiert die eigene Partei


SPD-Spitzenkandidatin für Berlin-Wahl
Franziska Giffey: "Ich bedaure, was passiert ist"

  • Nils Heidemann
InterviewVon Nils Heidemann, Yannick von Eisenhart Rothe

Aktualisiert am 09.02.2023Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Franziska Giffey in der t-online-Redaktion:Vergrößern des Bildes
Franziska Giffey in der t-online-Redaktion: "Wir als Berliner Senat haben dafür zu sorgen, dass Justiz und Staatsanwaltschaft gute Rahmenbedingungen haben." (Quelle: Axel Krüger/t-online)

Berlins Regierende Bürgermeisterin muss um ihr Amt fürchten. Im Interview spricht Franziska Giffey über das Wahlfiasko, Dönerpreisbremsen und Streit in der Koalition.

Erst seit etwas mehr als einem Jahr ist Franziska Giffey Berlins Regierende Bürgermeisterin. Jetzt droht ihr aber schon wieder die Abwahl: Am 12. Februar wird die Berlin-Wahl wiederholt. Im Gespräch erklärt die SPD-Spitzenkandidatin, wie sie in Berlin weiterregieren möchte, und wehrt sich gegen Gerüchte über einen Wechsel in die Bundespolitik.

t-online: Wenn Sie wiedergewählt werden, wie viel wird dann ein Döner maximal kosten?

Franziska Giffey: Das kann ich Ihnen nicht beantworten (lacht). Sie spielen auf irgendwelche "Dönerpreisbremsen" an?

Richtig. Das plakatiert die SPD Friedrichshain-Kreuzberg.

Das mag sein. Das Plakat ist nicht mit dem Landesverband abgesprochen, sondern in Eigenregie entstanden. Es ist ein politischer Wunsch, den ich für nicht realistisch halte.

Finden Sie es gut, mit unrealistischen Forderungen Wahlkampf zu machen?

Nein, das finde ich nicht besonders witzig. Wir haben das auch besprochen. Aber die Demokratie lebt eben auch von unterschiedlichen Sichtweisen. Ich stelle lieber unsere echten und ernst gemeinten Anliegen in den Vordergrund.

Die Wahlwiederholung steht kurz bevor. Das Bundesverfassungsgericht hat aber noch gar nicht abschließend über Beschwerden gegen die komplette Wiederholung entschieden. Was passiert denn, wenn Karlsruhe die Wahl in ein paar Monaten doch noch kippt?

Was das Gericht entscheidet, ist offen. Es wurden vom Bundesverfassungsgericht Stellungnahmen von den Abgeordnetenhausfraktionen bis Anfang März eingefordert. Dennoch steht der Wahltermin nicht infrage und muss gut vorbereitet durchgeführt werden. Ich hatte auf die Vorbereitung der Wahlen 2021 keinen Einfluss, weil ich noch gar nicht im Amt war. Aber ich bedauere, was passiert ist. Wir haben jetzt alle Schritte eingeleitet, damit so was nicht noch mal geschieht. Ich hoffe sehr, dass diese Wahl verlässlich ist und wir eine gute Wahlbeteiligung haben.

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Frau Jarasch hat uns gesagt, dass sich die SPD bisher nicht entschuldigt habe. Was sagen Sie zu der Kritik?

Ich habe mein Bedauern ausgedrückt, aber ich kann es nicht ungeschehen machen. Meine und unsere gemeinsame Aufgabe ist, alles dafür tun, dass so etwas nicht noch mal passiert. Da bin ich ganz klar. Dafür trägt nicht eine Partei die alleinige Verantwortung. Wir haben eine Verkettung von mehreren Dingen, die nicht gut gelaufen sind. Auch in den grün geführten Bezirken sind große Fehler passiert. Jetzt geht es darum, es gemeinsam besser zu machen.

Franziska Giffey
Franziska Giffey (Quelle: Axel Krüger/t-online)

Zur Person

Franziska Giffey wurde in Frankfurt an der Oder geboren und wuchs in der DDR auf. Die 44-Jährige trat 2007 in die SPD ein. Von 2015 bis 2018 war sie Bezirksbürgermeisterin von Neukölln, dann wurde sie zur Bundesfamilienministerin ernannt. 2021 trat sie nach einer Plagiatsaffäre um ihre Dissertation zurück. Seit Dezember 2021 ist Giffey Regierende Bürgermeisterin von Berlin.

Sie sagen, Sie wollen Berlin zur Chancenstadt machen, das Soziale nicht vergessen. Die Zeit in Neukölln habe Sie geprägt. Dass dort viele Kinder in sozial schwierigen Verhältnissen aufwachsen, ist nichts Neues. Warum braucht es erst heftige Krawalle an Silvester, bevor so ein Jugendgipfel einberufen wird?

In Neukölln hat sich bereits sehr viel getan. Dort ist viel in – auch sehr erfolgreiche – Jugendsozialarbeit investiert worden. Dennoch haben wir immer wieder neue und akute soziale Problemlagen. Deshalb muss all das, was wir bisher erreicht haben, nach den Silvesterereignissen noch mal auf den Prüfstand. Auch, weil Silvester eine Zäsur war. Im Gipfel gegen Jugendgewalt haben wir einen konkreten Fahrplan verabredet und werden auch zusätzliches Geld in die Hand nehmen. Am 22. Februar treffen wir uns wieder und setzen den gemeinsamen politischen Willen mit konkreten Maßnahmen und finanziellen Mitteln dafür um.

Auch als Bezirksbürgermeisterin von Neukölln haben Sie sich um soziale Teilhabe gekümmert. Waren das damals nur kurzfristige Erfolge von Ihnen?

In einer Stadt mit fast vier Millionen Einwohnern wird es immer soziale Probleme in besonderer Intensität geben. Insbesondere in Neukölln haben wir das in einer hohen Dichte, aber nicht nur dort. Dort werden Kinder in Familien geboren, in denen viele Probleme zusammenkommen. Eltern können ihre Kinder nicht bei den Hausaufgaben unterstützen, beherrschen die Sprache nicht, haben wenig Geld und leben auf sehr engem Raum zusammen. Wir müssen das, was in Elternhäusern nicht passiert, in der Schule und in der Kita und durch gute Elternarbeit, Schulsozialarbeit und Jugendhilfe ausgleichen.

Das war nicht wirklich eine Antwort auf die Frage.

Das ist eine Aufgabe, die nie fertig sein wird. Nur wegen der Vorfälle an Silvester kann man nicht sagen, dass alles in der Integrationsarbeit der letzten Jahre gescheitert ist. Dafür habe ich zu viele Gegenbeispiele. Einer der Jungs, die in der High-Deck-Siedlung aufgewachsen sind, hat jetzt auf der Sonnenallee in seinem Restaurant Essen an Rettungskräfte verteilt und ein Zeichen gegen Gewalt an Einsatzkräften gesetzt. Er hat wie fast 40 Prozent der Berlinerinnen und Berliner auch einen Migrationshintergrund und will nicht mit den Gewalttätern über einen Kamm geschoren werden.

Schauen wir auf die Bestrafung der Täter. Sind Sie noch eine Law-and-Order-Politikerin?

Ich bin für die ausgestreckte Hand, aber auch für ein klares Stoppsignal. Eine Verurteilung und gegebenenfalls Gefängnisstrafe kann aber nur dann erfolgen, wenn wir eine gesicherte Beweislage haben. Das war in der Silvesternacht nicht so einfach. Deshalb brauchen wir zum Beispiel mehr Bodycams für die Polizei.

Inwiefern sind Täter denn schon bestraft worden?

Wir haben umfangreiche polizeiliche Ermittlungen eingeleitet, in der Berliner Staatsanwaltschaft wurde eine Schwerpunktabteilung zum Umgang mit den Silvestertaten eingerichtet. Bisher sind über 40 Fälle dorthin übermittelt worden. Die Verfahren laufen, die ersten sind jetzt zur Anklage gebracht worden. Das ist eindeutig Aufgabe der Justiz. Wir als Berliner Senat haben dafür zu sorgen, dass Justiz und Staatsanwaltschaft gute Rahmenbedingungen haben. Und da ist noch Luft nach oben. Das Personal muss weiter aufgestockt werden.

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In Heilbronn ist ein Randalierer eine Woche nach Silvester verurteilt worden. Wäre so ein schnelles Verfahren auch für Berlin denkbar?

Dafür brauchen wir eine klare Beweislage. Der Täter in Heilbronn ist außerdem ein erwachsener Mann. Wenn ich aber einen minderjährigen Jugendlichen habe, dann gilt Jugendstrafrecht und dann ist das eine andere Hausnummer. Trotzdem ist richtig: Die Strafe muss schneller folgen. In Berlin gibt es solche schnellen Verfahren schon bei Ladendiebstählen. Dafür muss die Justiz entsprechend ausgestattet werden. Wir müssen unsere Behörden in die Lage versetzen, Verfahren schneller durchzuführen.

Die Grünen haben einen Teil der Friedrichstraße gerade wieder für den Autoverkehr gesperrt. Sie haben das als "Alleingang" von Bettina Jarasch bezeichnet. Bei uns im Interview hat sie gesagt, dass sie vorher mit Ihnen telefoniert habe.

Ja, eine halbe Stunde, bevor sie die Presseeinladung rausgeschickt hat.

Aber das Vorhaben war doch bekannt. Warum haben Sie das als Alleingang dargestellt?

Grundsätzlich wusste ich, dass der Bezirk da wieder sperren will. Aber Frau Jarasch ließ immer offen, wann genau und wie das jetzt umgesetzt wird. Dann wurde die Pressekonferenz für den nächsten Tag und die Sperrung für den darauffolgenden Montag angekündigt.

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Was ist Ihr Problem mit der Sperrung?

Ich habe nichts gegen attraktive Flaniermeilen und gut gemachte Fußgängerzonen. Die Friedrichstraße ist eine der wichtigsten Einkaufsstraßen der Stadt und verdient einen Charakter, der einer Weltmetropole gerecht wird. Aber jetzt haben die Grünen überhastet die Straße gesperrt und ein paar alte Sitzmöbel aufgestellt. Das Konzept, wie es weitergehen soll, wird erst jetzt erarbeitet. Der Umbau kann frühestens 2026 starten. Das wird ein jahrelanges Provisorium. Das stört mich. Jetzt werden Sie mich gleich fragen, warum ich das als Regierende Bürgermeisterin nicht stoppen kann.

Warum nicht?

Sehr gute Frage (lacht). In der letzten Legislaturperiode hat das Abgeordnetenhaus beschlossen, die Friedrichstraße aus dem Netz der übergeordneten Berliner Straßen zu nehmen. Deswegen ist jetzt nur noch der Bezirk zuständig, der Senat hat das nicht zu beschließen. Streng genommen hat das also auch nicht Frau Jarasch entschieden, sondern der Bezirk. Sie hat es aber unterstützt. So wird die Friedrichstraße wie eine kleine Nebenstraße behandelt, bei der der Senat nichts zu sagen hat. Diese Entscheidung müsste zurückgenommen werden. Dafür ist die Friedrichstraße zu wichtig.

Mögliche Enteignungen von Wohnungsunternehmen sind auch ein großer Streitpunkt in der Koalition. Sie haben neulich gesagt, dass Sie diese nicht mit Ihrem Gewissen vereinbaren könnten. Trotzdem hat die Koalition eine Kommission eingesetzt, um die Umsetzbarkeit zu prüfen. Gibt es die nur, um Grüne und Linke zu besänftigen?

Ich habe aus meiner persönlichen Haltung nie ein Geheimnis gemacht. Ich halte Enteignungen für kein wirksames Instrument, um die Frage nach mehr bezahlbarem Wohnraum zu lösen. Aber beim Volksentscheid haben 59,1 Prozent dafür gestimmt. Das nehme ich ernst. Die eingesetzte Expertenkommission klärt aktuell, was möglich ist. Rechtlich, aber auch wirtschaftlich, finanziell und in Bezug auf die Verfassungskonformität. Sie wird vermutlich im Mai fertig sein und uns eine Bewertung der Lage liefern. Die Entscheidung wird sie uns aber nicht abnehmen, die muss am Ende politisch getroffen werden.

Aber Sie haben Ihre Entscheidung ja schon für sich getroffen. Und zwar gegen den Entschluss des Landesparteitags Ihrer eigenen Partei, die für Enteignungen ist, wenn sie rechtlich möglich sind. Sind Sie da noch die richtige Vorsitzende?

Auch die Berliner SPD muss abwarten, was bei der Kommission rauskommt und das dann bewerten.

Aber Sie warten doch nicht ab, sondern sagen jetzt schon, dass Enteignungen mit Ihnen nicht zu machen sind.

Auch ich warte ab, was die Kommission erarbeitet. Aber ich halte Enteignungen für ein problematisches Signal. Das habe ich gesagt. Es gibt jetzt schon Investoren, die sich aus Berlin zurückziehen.

Video | "Was nervt Sie so richtig an Berlin, Frau Giffey?"
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Quelle: t-online

Wenn die Kommission also zu dem Ergebnis kommt, dass Enteignungen möglich sind, und Ihre Koalition und Ihre Partei wollen das, ziehen Sie sich dann zurück?

Vielleicht zeigt die Expertenkommission ja auch einen dritten Weg auf, abseits der Frage Enteignungen oder nicht. Wir müssen genau abwägen und dann den vernünftigsten Weg für Berlin gehen.

Wir haben jetzt mehrere Themen besprochen, bei denen in der Koalition Uneinigkeit herrscht. Können Sie sich eine Fortsetzung des Bündnisses überhaupt vorstellen?

Ich mache keinen Koalitionswahlkampf. Ich kämpfe dafür, dass die SPD stärkste Kraft bleibt. Wir sind die ausgleichende Kraft, die alle im Blick hat und nicht nur für eine bestimmte Klientel Politik macht. Wir haben gezeigt, dass wir Berlin gut durch die Krise bringen und für Wirtschaftswachstum sorgen können. Welche Koalitionsmöglichkeiten sich ergeben, wird das Wahlergebnis zeigen. Ich bin nicht die, die hier jetzt diesen und jenen ausschließt. Das machen alle anderen.

Schließen Sie irgendetwas aus?

Natürlich, die Zusammenarbeit mit der AfD. Das war immer klar für uns.

Wenn die CDU deutlich gewinnt, muss Kai Wegner dann Regierender Bürgermeister werden?

In einer Demokratie muss man stabile Mehrheiten organisieren, wenn man regieren will. Herr Wegner schließt lieber munter aus, mit wem er nicht zusammenarbeiten möchte.

Es gibt Gerüchte, dass Sie Nancy Faeser im Bundesinnenministerium beerben könnten. Können Sie sich das vorstellen?

Ich finde diese Gerüchte hanebüchen. Das steht überhaupt nicht zur Debatte. Ich habe mich für Berlin entschieden und kämpfe dafür, wieder Regierende Bürgermeisterin zu werden. Ich bin gekommen, um zu bleiben. Die haltlosen Behauptungen, ich sei auf dem Absprung ins Bundesministerium, sind nichts als Wahlkampfgetöse der CDU, die einen Wahlkampf ohne eigene Inhalte führt.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Franziska Giffey
  • berlin.de: Lebenslauf von Franziska Giffey
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