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Grünenpolitikerin in Berlin: "Verbrenner bis 2030 aus Innenstadt verschwunden"


Grüne in Berlin
"Bis 2030 sind Verbrenner aus der Innenstadt verschwunden"

  • Daniel Mützel
InterviewVon Daniel Mützel

Aktualisiert am 03.06.2021Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Radfahrer auf der autofreien Friedrichsstraße (Archivbild): Allein im Mai kam es in der Hauptstadt zu zwei tödlichen Fahrradunfällen.Vergrößern des Bildes
Radfahrer auf der autofreien Friedrichstraße (Archivbild): Allein im Mai kam es in der Hauptstadt zu zwei tödlichen Fahrradunfällen. (Quelle: David Weyand/imago-images-bilder)

Um seine Klimaziele zu erreichen, braucht Berlin eine Verkehrswende. Aber Radfahrer leben in der Hauptstadt gefährlich. Die grüne Spitzenkandidatin Bettina Jarasch schildert, was sie ändern will.

Immer wieder sterben auf Berlins Straßen Radfahrer, auch weil viele Radwege kaum geschützt sind. Die grüne Spitzenkandidatin Bettina Jarasch will im September Regierende Bürgermeisterin werden und die Verkehrswende forcieren: Weg vom Auto, hin zum Fahrrad. Ein Gespräch zum Weltfahrradtag über ein Verbrenner-Verbot ab 2030, Polizisten auf Rädern und den Kopf von Innensenator Andreas Geisel.

t-online: Frau Jarasch, wie oft fahren Sie mit dem Rad durch die Stadt?

Bettina Jarasch: Täglich. Für mich gehört Fahrradfahren zu einem Wohlfühlgefühl dazu. Ich brauche das, um meine Gedanken zu sortieren. Aber ich kenne auch die Angst, die viele Radfahrer in Berlin haben. Wenn plötzlich der Nacken steif wird, weil ein Lkw zu nahe heranfährt und man noch nicht weiß, ob er den Abstand einhält.

Vergangene Woche hat ein Sattelzug in Friedrichshain genau das nicht getan und dabei eine Radfahrerin überrollt. Der zweite tödliche Fahrradunfall allein im Mai, dazu kommen sechs weitere Crashs mit schwer verletzten Radfahrern. Erklärtes Ziel war doch, die Zahl der Fahrradtoten auf null zu reduzieren. Im letzten Jahr haben sie sich verdreifacht. Was läuft falsch in Berlin?

Das Ziel bleibt. Doch es ist an komplexere Fragen gekoppelt, etwa daran, ob es uns gelingt, die Stadt neu zu organisieren und weniger nach den Bedürfnissen der Autofahrer auszurichten: Weniger Autos, Parkplätze und Autospuren, stattdessen mehr Platz für Fußgänger, mehr sichere Radwege und ein besser ausgebautes ÖPNV-Netz. Der öffentliche Raum ist ein knappes Gut, wir müssen ihn neu organisieren.

Ihre Partei hatte fünf Jahre Zeit, das zu tun.

Wir haben auch viel erreicht. Jahrzehnte einer autofixierten Verkehrspolitik lassen sich nicht in wenigen Jahren rückgängig machen. Als wir in die Regierung eintraten, gab es gerade mal 3 Planer für Radwege, jetzt sind es 70. Aber wir müssen besser und schneller werden in der nächsten Legislatur.

Vorausgesetzt die Grünen schaffen es im September wieder in den Senat. Wird es weniger Fahrradtote geben mit Ihnen im Roten Rathaus?

Es muss weniger Fahrradtote in dieser Stadt geben. Wenn wir die Verkehrswende weiter vorantreiben, wird es automatisch auch mehr Sicherheit für die schwächsten Verkehrsteilnehmer geben, für Fußgänger und Radfahrer. Dann werden auch die tödlichen Radunfälle zurückgehen. Das zu schaffen, wäre eine meiner Prioritäten als Regierende Bürgermeisterin.

Noch mal zum Unfall: Die Radfahrerin wurde von dem Lkw erfasst, weil sie einem Geldtransporter auswich, der auf der Fahrradspur falsch parkte. Jeder Radfahrer kennt das: "Mal kurz halten auf der Fahrradspur" ist für manche Autofahrer fast zum Gewohnheitsrecht geworden. Warum greifen Polizei und Ordnungsamt nicht härter durch?

Das ist ein riesiges Problem, das sich nur zum Teil mit der schlechten Personalausstattung bei der Polizei erklären lässt, zumal wir die in dieser Legislatur deutlich gestärkt haben. Regeln müssen durchgesetzt werden. Daher setze ich mich auch für mehr Personal bei Ordnungsämtern und Polizei ein, etwa bei der Fahrradstaffel. Die Fahrradstaffel ist auch deswegen so spannend, weil Polizisten auf Rädern eine ganz andere Perspektive haben auf die Gefahrenlage im Straßenverkehr, einfach weil sie als Radfahrer dann selbst in solche Situationen geraten.

Was erklärt den anderen Teil?

Wir haben in Berlin jahrzehntelang eine autogerechte Stadt gebaut. Bestes Beispiel dafür ist die A100, eine Autobahn mitten durch die Stadt. Viele Menschen haben sich an diese Vorstellung gewöhnt, dass Autos Vorrang genießen vor anderen Verkehrsteilnehmern. Es kann nicht sein, dass zwar Radfahrer – zu Recht – gemaßregelt werden, wenn sie auf dem Fußweg fahren, aber Autos oft straffrei bleiben, wenn sie einen Radstreifen zuparken. Das Leitbild der autogerechten Stadt muss aus den Köpfen der Menschen raus, auch bei der Polizei!

Auch aus dem Kopf von Innensenator Andreas Geisel (SPD)? Der trägt immerhin die Verantwortung für Polizei und Ordnungsamt und könnte den Druck erhöhen.

Flächendeckende Kontrollen und Verkehrssicherheit liegen natürlich in seiner Verantwortung. Wir erwarten, dass der Innensenator das Thema deutlich höher auf die Agenda setzt.

Rot-Rot-Grün ist 2016 angetreten, um eine Verkehrswende in der Hauptstadt einzuleiten. Der Ausbau des Radverkehrs war dabei zentrales Anliegen. Verbände des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) werfen der grünen Verkehrssenatorin Regine Günther Untätigkeit vor: "Berlin ist deutlich hinter seinen Möglichkeiten geblieben", heißt es. Wie bewerten Sie die Bilanz nach knapp fünf Jahren?

Wir haben viel auf den Weg gebracht, müssen aber in der nächsten Legislatur einen Gang hochschalten. Die Corona-Pandemie hat uns gelehrt, dass wir schnell und unbürokratisch neue Radwege schaffen können. Die Pop-up-Radwege wurden zum Glück jetzt auch gerichtlich abgesichert. Sie zeigen, dass wir viel öfter auf rasche, provisorische Lösungen setzen sollten, die wir danach verstetigen können. Leider machen wir es oft umgekehrt: Wir planen sehr lange, bis wir alles perfekt abgesichert haben, und fangen dann erst mit der Umsetzung an.

Das heißt, die Bilanz wäre ohne Corona noch schlechter ausgefallen?

Es sind immerhin 100 Kilometer neue Radwege und 15.000 neue Fahrradabstellplätze entstanden. Hinzu kommen die Pop-up-Radwege. Aber ja, wir Grüne sind selbst am ungeduldigsten. Wir müssen schneller werden.

Daher haben wir in der nächsten Legislatur auch viel vor: Zum Beispiel wollen wir Zuständigkeiten zwischen Land und Bezirken besser aufteilen. Das Land Berlin soll künftig für alle Hauptstraßen zuständig sein und die Bezirke für die Nebenstraßen. Dann können an allen Hauptstraßen Radwege und Fußgängerübergänge entstehen und Kreuzungen gesichert werden. Außerdem wollen wir einen landeseigenen Betrieb gründen, der künftig alle Kompetenzen für schnelle Straßenbaumaßnahmen bündelt und damit die oft langwierigen Verfahren beschleunigt.

Im grünen Wahlprogramm steht, dass Autos mit Verbrennungsmotor bis 2030 aus der City "verschwinden" sollen. Ganz konkret: Verbrenner sind ab 2030 verboten?

Wir kämpfen für eine "Null-Emissions-Zone" innerhalb des S-Bahn-Rings und das heißt: Nur noch Autos, die keine fossilen Energien verbrennen, dürfen ab 2030 dort unterwegs sein. Hier geht es aber nicht nur darum, die Antriebstechnik auszutauschen. Weniger Autos bedeutet mehr Sicherheit für andere Verkehrsteilnehmer und zugleich mehr öffentlicher Raum, der sinnvoller genutzt werden kann.

Das war ein Ja.

Verbrenner würden ab 2030 innerhalb des S-Bahnrings verboten werden. Wir sagen das aber ganz bewusst schon jetzt, um den Menschen Planungssicherheit zu geben. Wer die nächsten Jahre darüber nachdenkt, sich einen neuen Verbrenner zuzulegen, überlegt sich das vielleicht noch mal. Parallel wollen wir den ÖPNV so stark ausbauen, dass viele Bürger gar kein Auto mehr benötigen.

Der "Volksentscheid Berlin autofrei" geht einen Schritt weiter und fordert eine autofreie Zone innerhalb des S-Bahn-Rings bis 2027. Das Verbot beträfe also auch E-Autos. Sie haben die Initiative mal als "Rückenwind für die gemeinsame Sache" bezeichnet. Müssen die Bürger künftig auch um ihre noch nicht existierenden E-Autos fürchten?

Nein. Mit "Rückenwind" meinte ich, dass die Initiative zeigt, dass immer mehr Bürger sich eine andere Stadt wünschen. Keine Stadt mehr, die alles vom Auto her denkt, sondern eine Stadt für Menschen. Aber es wird immer Personen geben, die ein Auto brauchen, weil sie etwas transportieren müssen, für Schichtdienste oder weil sie in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Die Initiative will aber ein Totalverbot für private Autos und erlaubt nur zwölf Freifahrten pro Jahr. Das ist kompliziert und bürokratisch und geht an der Lebensrealität der Menschen vorbei. Wir setzen eher auf ein Modell vieler autofreier Kieze, die sich über die Stadt verteilen.

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Sie fordern einen Stopp des Ausbaus der Stadtautobahn A100. SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey, Ihre mögliche Koalitionspartnerin im September, nennt das "einfach irre". Ist die Forderung bei einer Neuauflage der Koalition mit SPD und Linken für Sie verhandelbar?

Kommt es zu Grün-Rot-Rot mit mir an der Spitze, werden wir so schnell wie möglich mit der neuen Bundesregierung über die Streichung der A100 aus dem Verkehrswegeplan verhandeln. Wir haben den Stopp der A100 schon vor zehn Jahren gefordert, daran sind damals sogar Koalitionsverhandlungen mit der SPD gescheitert. Wir haben eine hohe Glaubwürdigkeit bei dem Thema. Der Unterschied zu 2011: Die Stimmung in der Stadt ist zu unseren Gunsten gekippt. Der Stopp der A100 wird kommen.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Bettina Jarasch
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