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Hardy Grüne im Interview: "Bundesliga ist wie Theaterbesuch"


Amateurfußball als Alternative
Grüne: "Bundesliga ist wie ein Theaterbesuch"

t-online, Sebastian Schlichting

11.07.2015Lesedauer: 4 Min.
Hannover gegen Freiburg am 34. Spieltag (li.) sowie die Stehtribüne beim Oberligisten Lichtenberg 47 in Berlin.Vergrößern des BildesHannover gegen Freiburg am 34. Spieltag (li.) sowie die Stehtribüne beim Oberligisten Lichtenberg 47 in Berlin. (Quelle: dpa, imago/Sebastian Wells)
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Profi- und Amateurfußball - Hardy Grüne ist in beiden Bereichen zu Hause. Der 52-Jährige ist Autor zahlreicher Fußballbücher und einer der beiden Herausgeber des neuen Magazins "Zeitspiel", das sich dem Amateurbereich widmet. Im Interview erzählt Grüne, weshalb ihn in die Bundesliga zunehmend an einen Theaterbesuch erinnert, wie er in der vorigen Saison mit seinem Lieblingsklub in der Oberliga gelitten hat, und warum die Kommerzialisierung des Fußballs dem Amateurbereich auch helfen kann.

t-online.de: Herr Grüne, wie viele Fußballspiele auf Amateurebene haben Sie in diesem Jahr auf dem Platz gesehen?
Hardy Grüne: Um die 45.

Und im Profibereich?
Eins. Hannover 96 gegen den SC Freiburg am letzten Bundesliga-Spieltag. Weil ein Freund von mir Freiburg-Fan ist, bin ich mitgegangen.

Gesetzt den Fall, Sie hätten die Wahl, sich ein Champions-League-Spiel im Fernsehen anzusehen oder zeitgleich ein Verbandsligaspiel vor Ort. Worauf fällt Ihre Wahl?
Verbandsliga, ganz klar.

Insgesamt ein deutliches Votum für den Amateurbereich.
Aus beruflichem Interesse als Buchautor verfolge ich den Profibereich natürlich weiterhin und finde ihn auch spannend. Aber in der Bundesliga ist mir zugleich vieles zu konsumentisch und inszeniert geworden.

Was meinen Sie konkret?
Bleiben wir bei Hannover gegen Freiburg. Letzter Spieltag, es geht für beide um alles. Und die Zuschauer im Nachbarblock haben das Geschehen sehr distanziert wahrgenommen. Abgesehen von ein paar Momenten, in denen sie der Stadionsprecher dazu aufrief, Stimmung zu machen, haben sie nicht daran teilgenommen. Das ist wie ein Theaterbesuch.

Und im Amateurbereich?
Mein Lieblingsverein Göttingen 05 hatte nach 26 Spielen in der Oberliga Niedersachsen sechs Punkte. Da habe ich richtig gelitten. Man kennt die Spieler und ist einfach direkter und konkreter betroffen als wenn ein Bundesligaverein, dem man nahe steht, in eine Krise gerät. Das ist dann eher ein distanzierteres Leiden, das über die Medien stattfindet.

Gibt es heute zwei Arten von Fußball?
Zwei Ebenen trifft es am besten. Die Kommerzebene mit Bundesliga, Champions League und den großen Turnieren. Komplett davon abgetrennt die Amateurebene. 3. Liga und Regionalliga bilden dabei den Übergang.

Um welche Ebene geht es in Ihrem Magazin "Zeitspiel"?
Um die zweite, mit dem Schwerpunkt auf dem Übergangsbereich. Es ist unser Ziel, dem Fußball von der 3. bis zur 6. Liga eine laute, vernehmliche Stimme zu geben.

Hat er diese verloren?
In der überregionalen Berichterstattung weitestgehend. Es wird fast nur noch die Bundesliga abgebildet. Und dann noch nicht mal die Bundesliga seit 1963, sondern meist erst ab Mitte der 90er Jahre. Selbst die 70er und 80er kommen kaum noch vor. Dabei gibt es da auch viele tolle Geschichten zu erzählen.

Frei nach dem altbekannten Spruch "Früher war alles besser"...
Genau dahin wollen wir nicht. Beweihräucherung der Geschichte ist nicht unser Ziel. Wir wollen den Namen unseres Magazins mit Leben füllen: mit der Zeit spielen. Vergangenheit mit Gegenwart verbinden, um einen Blick in die Zukunft werfen zu können.

Nennen Sie doch bitte ein Beispiel aus der ersten Ausgabe.
Wir haben die Rubrik "Mottenkiste". Thema der ersten Nummer ist der deutsche Fußball in Schlesien. Aber wir enden nicht mit dem 2. Weltkrieg, sondern betrachten auch, wie es danach weitergegangen ist. Bis heute sind beispielsweise deutlich mehr Spuren der deutschen Vergangenheit in Gleiwitz oder Beuthen zu finden als in Breslau, weil dort auch nach dem Krieg deutsche Bewohner geblieben sind.

Wer ist die Zielgruppe von "Zeitspiel"?
Wer sich auch für den Fußball unterhalb der Profiebene interessiert und gerne ins Stadion geht.

In die Bundesliga oder zu einem Amateurklub?
Sowohl als auch. Viele Fans unterstützen einen Profiklub, haben aber auch eine Art Zweitverein im Amateurbereich. Wir lehnen den Profifußball nicht ab. Wir wollen aber mehr Aufmerksamkeit auf die Bereiche lenken, die weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden sind und auch dazu animieren, den Verein um die Ecke zu unterstützen.

Unterstützen heißt in dem Fall: im Stadion.
Im besten Falle natürlich ja. Durch die gewaltige Kommerzialisierung in den oberen Bereichen ist der Amateurfußball übrigens in letzter Zeit wieder etwas aufgewertet worden.

Wie ist es dazu gekommen?
Der Amateurfußball erscheint ehrlicher, mehr zum Anfassen - und somit interessanter für viele Zuschauer. Die Interaktion im Publikum, die in der Bundesliga zunehmend verloren geht, ist noch greifbar. Letztens waren zum Beispiel 4000 Zuschauer bei einem entscheidenden Bezirksligaspiel zwischen VfL Wittekind Wildeshausen und Atlas Delmenhorst. Und in meinen Wohnort mit 500 Einwohnern bei Göttingen sind kürzlich fast 600 Zuschauer zum Spiel der siebten Liga gegen ein Nachbardorf gekommen. Das sind grandiose Zahlen.

Im ganzen Land kämpfen jedoch Traditionsvereine ums Überleben beziehungsweise haben den Kampf verloren.
Das tut mir bei jedem einzelnen Klub weh. Es ist enorm schwer, als Amateurverein Gelder aufzutreiben. Aber es darf nicht nur gejammert und gefordert werden, denn zum Teil sind unverzeihliche Fehler gemacht worden, die zu Pleiten und Rückzügen geführt haben. Ich kann mich heutzutage als Verein nicht mehr hinstellen und nur einen einst großen Namen bieten. Die Traditionsklubs müssen aufhören zu träumen und sich den Gegebenheiten anpassen. Sie müssen sich der Zeit stellen.

Die Titelgeschichte von "Zeitspiel" lautet "Bald ausgeknockt? Überleben im Turbokapitalismus". Klingt nach einem eher düsteren Bild für unterklassige Traditionsklubs.
Eher ein provokatives Bild. Auf der einen Seite haben viele Vereine tatsächlich immense Probleme und sind bereits "ausgeknockt". Auf der anderen Seite gibt es auch positive Beispiele. Wir gehen von vielen Seiten heran und versuchen so, einen breiten Überblick über die Gesamtthematik und -problematik zu geben.

Und ihr Fazit?
Wir kommen zu dem Schluss, dass ein Überleben im Turbokapitalismus möglich ist.

Das Interview führte Sebastian Schlichting

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