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Evi Sachenbacher-Stehle: Dopingforscher Simon von Fall überrascht


Fall Sachenbacher-Stehle
Dopingforscher Simon fordert personelle Konsequenzen

t-online, Johann Schicklinski

Aktualisiert am 25.02.2014Lesedauer: 7 Min.
Perikles Simon sieht den Dopingfall Evi Sachenbacher-Stehle kritisch.Vergrößern des BildesPerikles Simon sieht den Dopingfall Evi Sachenbacher-Stehle kritisch. (Quelle: Camera 4/imago-images-bilder)
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Bereits vor den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi hat der renommierte Dopingforscher Prof. Dr. Dr. Perikles Simon im Gespräch mit T-Online.de prophezeit, dass bei den Wettkämpfen 40 bis 60 Prozent der Teilnehmer gedopt sind. Dafür wurde der Molekularbiologe massiv angefeindet - sowohl von Athleten als auch von Betreuern und Funktionären. Nach den Spielen zieht Simon nun eine Doping-Bilanz, geht noch einmal auf die Vorwürfe gegen seine Person ein und kritisiert die Rolle des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) im Fall Evi Sachenbacher-Stehle.

Das Interview führte Johann Schicklinski

T-Online.de: Herr Simon, die Zahl der Doping-Kontrollen war in Sotschi weit höher als geplant, sie lag bei insgesamt 2631 Tests. Insgesamt gab es aber nur fünf positive Doping-Fälle. Das System scheint somit zu funktionieren...

Perikles Simon: Nein, aber das wird ja dennoch gebetsmühlenartig wiederholt. Fünf positive Fälle bei über 2500 Tests, damit bewegen wir uns im Promillebereich, das steht im scheinbaren Widerspruch zu den Erkenntnissen der empirischen Sozialforschung der letzten 40 Jahre, die belegt, dass zwischen 15 und 78 Prozent der Hochleistungssportler in der Vorbereitung auf Spitzensportereignisse dopen.

Warum reden Sie bei diesem Unterschied nur von einem scheinbaren Widerspruch?

Das lässt sich ganz schnell erklären, wenn man den großen Rückstand der Dopinganalytik berücksichtigt. Man kann sehr wenig von dem, was Sportler gerade als Dopingmittel und -methoden verwenden können, überhaupt nur theoretisch nachweisen. In Deutschland gibt es ohne Frage eine exzellente Dopinganalytik auf absolutem Top-Niveau. Genauso wie es hier auch exzellente Steuerprüfer gibt. Es kommt dennoch kaum jemand auf die Idee zu behaupten, es könne hier keinen Steuerbetrug im nennenswerten Umfang mehr geben. Und wenn mal jemand damit erwischt wird, kommt man schon gar nicht auf die Idee, das System als funktionierend zu bezeichnen.

Als Sie vor Olympia prophezeiten, dass in Sotschi 40 bis 60 Prozent der Athleten gedopt sein werden, sorgte das für einen Aufschrei, sowohl medial als auch unter Sportlern und Funktionären. Hat Sie dieses Echo überrascht?

Ja, denn die Zahlen aus der Grundlagenforschung sind seit langem bekannt. Es ärgert mich deshalb, wenn sich Funktionäre einfach hinstellen und behaupten, dass meine Einschätzung unseriös und respektlos gegenüber den Sportlern sei. Dabei zeigt die empirische Datenlage inklusive der Laboranalytik, dass die Quote der dopenden Sportler seit Jahren konstant im eben genannten Bereich liegt. Ich hatte mich bei meiner Schätzung noch ganz konservativ an der Mitte orientiert. Athleten im Spitzenbereich müssen ihre Trainingsmethoden maximal ausreizen. Doping kann bei den geringen Leistungsunterschieden im absoluten Spitzensportbereich somit immense Vorteile bringen. Wenn man hierzu noch den großen Rückstand der Doping-Analytik, den hohen Karrieredruck und die vergleichsweise geringen Strafen für all die Leute nimmt, die Doping-Know-How besitzen, dieses anbieten und so von einem Olympiasieg auch indirekt immens profitieren könnten, wird diese vermeintlich hohe Doping-Quote zudem gut nachvollziehbar.

Kannten die Funktionäre diese empirischen Studien nicht?

Sportfunktionäre selbst haben maßgeblich an der Erhebung dieser Daten mitgearbeitet. So hat zum Beispiel der Chef der Medizinischen Kommission des IOCs, Herr Prof. Ljungqvist bereits 1973 unter schwedischen Top-Athleten eine Quote von über 30 Prozent für Anabolika-Missbrauch ausgemacht. Anhand von Analysen aus dem Blutpass-System des Welt-Leichtathletikverbandes konnte man 2011 aufzeigen, dass in einem Land 78 Prozent der Spitzenathleten im Vorfeld der WM Blutdoping praktiziert haben. Der gleiche Verband hält nach Angaben der "New York Times" allerdings gerade Daten zurück, die Doping bei rund 45 Prozent der Teilnehmer an den Pan-Arabischen Spielen 2011 aufzeigen.

Wie ist das im konkreten Fall zu sehen, als Sie persönlich angegriffen wurden?

Man sollte als verantwortlicher Funktionär den jeweiligen Wissensstand zum Thema Doping im Hochleistungssport kennen – das gilt auch für Michael Vesper, den Chef de Mission des deutschen Olympiateams. Und anhand dieser Statistik sollte man von Verbandsseite, gerade im Vorfeld eines solchen sportlichen Großereignisses, entsprechend klug und vorausschauend agieren – und das sehe ich aktuell leider nicht. Einfach nur zu versuchen, über die Medien eine Stimmungsmache zu betreiben statt sich sachlich der Datenlage anzunehmen, geht am Ziel vorbei. Das wäre nämlich, die sauberen Sportler vor Doping zu schützen. Ihnen gehört nicht nur unser Respekt. Die Sportverbände sind in erster Linie dazu verpflichtet, die Bedingungen dieser sauberen Sportler zu verbessern und zwar egal, ob sie eine Medaille gewinnen oder nicht.

Der Dopingfall Sachenbacher-Stehle hat kurz vor Abschluss der Olympischen Spiele wie eine Bombe eingeschlagen hat. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von der positiven Probe hörten?

Es hat mich schon sehr überrascht, damit habe ich nicht gerechnet.

Wie bewerten Sie die These vom verunreinigten chinesischen Energieriegel? Glauben Sie an eine unbewusste Einnahme?

Ich glaube nicht, dass sie diese Substanz bewusst für den Wettkampf eingenommen hat. Dass sie fahrlässig gehandelt hat, ist allerdings nicht auszuschließen.

Betrifft diese Fahrlässigkeit nur die Athletin oder auch ihr Umfeld?

Natürlich betrifft es auch die Betreuer. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass da ein kompletter Stab so unvorsichtig war, inklusive der Verbandstrainer und Funktionäre. Die Praxis, die ich kenne, ist diejenige, dass Sportler, die mit eigenen Nahrungsergänzungsmitteln experimentieren, sehr schnell zurechtgewiesen werden. Das Risiko, dass der Sportler da eingeht, ist dem Athlet selbst und jeder Person in seinem Umfeld bewusst. Deswegen erscheinen mir die jetzt kursierenden Erklärungsversuche noch nicht sehr plausibel.

Wie profitiert ein Athlet denn vom Stimulans Methylhexanamin, auf das Sachenbacher-Stehle positiv getestet worden ist?

Das Medikament hat Eigenschaften, die einem Ausdauerathleten zum Vorteil gereichen können. Es kann als Appetitzügler dienen, es kann die Fettreduktion vorantreiben und schließlich kann es bei geeignetem Training auch den Muskelaufbau unterstützen. Es wäre allerdings vom Zeitpunkt her eher ein Stimulans, das in der Saisonvorbereitung eingesetzt wird. Zumal es in der Trainingsphase auch nicht verboten ist, nur in der Wettkampfphase. Ich halte übrigens diese Eingruppierung vor dem Hintergrund einer zumindest naheliegenden Wirkung auf den Muskelaufbau für problematisch. Das mag Sportler zum Gebrauch dieses Mittels im Training animieren.

Nach Bekanntwerden des Dopingfalls gab es sowohl von Seiten des DOSB als auch von Michael Vesper fast reflexartig die Aussagen, dass kein Vorsatz im Spiel gewesen sei. War das nicht etwas vorschnell?

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Natürlich, schließlich reden wir hier von Olympischen Spielen und nicht von irgendwelchen Vorausscheidungen und auch nicht von einer unerfahrenen Nachwuchsathletin. Und trotzdem steckt man diesen Fall weg wie nichts und spricht gar im gleichen Atemzug vom funktionierenden System der Dopingbekämpfung.

Michael Vesper sprach dem Stimulans Methylhexanamin eine leistungssteigernde Wirkung ab und sagte: "Wir sprechen nicht von Heroin." DOSB-Präsident Alfons Hörmann äußerte sich ähnlich. Ist das nicht eine massive Verharmlosung?

Die Reaktion der Verbandsfunktionäre ist respektlos. Schließlich hat die Verbandsspitze auch eine Vorbildfunktion. Wenn dann ein ganz klarer Dopingfall vorliegt, sollte man eher personelle Konsequenzen erwarten, wie beispielsweise auf Jamaika im letzten Sommer, als mehrere Weltklassesprinter auf ein ähnliches Stimulanz in einer nationalen Vorausscheidung positiv getestet worden sind. Dazu scheint aber der Sport in Deutschland nicht willens und nicht in der Lage zu sein. Ich habe den Eindruck, dass die Funktionäre von den Sportlern schon relativ weit entfernt sind. Besonders gegenüber den ungedopten Sportlern und dem Nachwuchs ist es eine große Verantwortungslosigkeit und Respektlosigkeit, wenn die Funktionäre so einen Dopingfall bagatellisieren und Fehlinformationen streuen.

Die deutschen Biathlon-Damen sind erstmals überhaupt bei Olympischen Spielen ohne Medaillen geblieben. Sie hatten bereits vor Beginn der Olympischen Spiele die Formkurve der deutschen Sportler in Ausdauersportarten kritisch beäugt. Fühlen Sie sich durch das schlechte Abschneiden bestätigt?

Ich hatte das jetzt so nicht erwartet, sondern eher Leistungen wie in den Wochen vor Olympia, als die deutschen Athleten in Top-Form waren. Weitere Spekulationen hierüber will ich nicht abgeben, aber die entscheidenden Leute sollten sich nicht nur über Medaillen sondern auch darüber unterhalten, welche Leistungsschwankungen innerhalb von kurzer Zeit realistisch sind und welche Erklärungen es hierfür geben kann.

Das Ergebnis einer solchen Diskussion würde nicht jeden erfreuen...

Sie wäre aber notwendig. Wir brauchen im Sinne der nachhaltigen Änderung der Arbeitsmöglichkeiten im deutschen Sport sicherlich eine kritischere Betrachtung der Geldvergabe gekoppelt an Medaillen im deutschen Spitzensport und zudem eine Loslösung von der Fixierung auf den Medaillenspiegel. Man muss den Fokus auch darauf legen, wie sportliche Spitzenleistung erreicht wird.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat ein strenges Anti-Doping-Gesetz angekündigt. "Sowohl der Besitz als auch die Anwendung von Doping-Mitteln sollen unter Strafe gestellt werden", sagte er. Was halten Sie von diesen Plänen?

Für mich kommt das sehr überraschend, denn in den letzten Jahren war die Positionierung eine komplett andere. Dabei ist das um uns herum in Europa schon längst gängige Praxis, wenn man nach Italien, Österreich, Frankreich oder neuerdings auch Spanien schaut. Diese Länder haben eine entsprechend schärfere Dopinggesetzgebung.

Würden Sie ein entsprechendes Gesetz begrüßen?

Prinzipiell ja, das wäre ganz klar ein Schritt in die richtige Richtung. Denn aktuell ist insbesondere eine Verfolgung von individuellen und vereinzelten Dopingvergehen im Spitzensport und vor allem auch die Fahndung nach den Hintermännern des Dopings noch nicht effektiv genug möglich.

Sollten konsequenterweise auch Ärzte und Betreuer der Sportler bei Dopingvergehen stärker sanktioniert werden?

Das ist ein ganz entscheidender Punkt, denn jedes Doping braucht heutzutage Support. Würden Vergehen stärker sanktioniert, dann wird es sich sicherlich dahingehend bemerkbar machen, dass die Unterstützung zum dopen wegbricht. Momentan ist die Gesetzgebung sicher nicht abschreckend genug, um beispielsweise Mediziner davon abzuhalten, Sportler beim Dopen zu unterstützen.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass diese Sanktionen in die Realität umgesetzt werden?

Bisher hat man es leider immer wieder geschafft, dass bei Dopingfällen fast einzig die Athleten zur Verantwortung gezogen wurden. Dabei sind diese oft das schwächste Glied in der Kette. Die Leute, die die Manipulation machen und die Leute, die den Profit aus dem Sport ziehen, schauen indes zu. Auch die großen Verbände.

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