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Tatort-Kritik "Ordnung im Lot": Mordfall wird zur Nebensache


Tatort
"Tatort: Ordnung im Lot": Wenn der Wahnsinn regiert

t-online, Nibo

13.02.2012Lesedauer: 4 Min.
Familiengeheimnisse: Vincent Göhre, Mira Partecke und Sabine Postel (v.l.) im Tatort "Ordnung im Lot".Vergrößern des BildesFamiliengeheimnisse: Vincent Göhre, Mira Partecke und Sabine Postel (v.l.) im Tatort "Ordnung im Lot". (Quelle: Radio Bremen/ Jörg Landsberg)
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Ameisen. Überall Ameisen. Ihre Beinchen krabbeln mit großer Lautstärke über leere Limoflaschen, ein volles Milchglas, über Hände und Schuhe. Ihre Körper sehen riesengroß aus. Sie scheinen allgegenwärtig und werden zertreten, verbrannt, weggeklopft. Aber sie bleiben. Sie scheinen unverwüstlich. Sie senden Schauer über den Rücken. Sie sind eine Metapher für Krankheit, Angst und Bedrohung – die Quintessenzen des gestrigen Tatorts "Ordnung im Lot".

Dieser "Tatort“ war anstrengend, rätselhaft, nervte oft mit seiner verwirrenden Komplexität und war kaum zu ertragen in den Momenten, in denen die Psychose einer schwer kranken Frau beinahe deren Familie zum Kollabieren brachte. Durchhaltevermögen war gefragt. Dennoch war der Krimi sehenswert. Denn neben dem üblichen Mordfall gelang es auf innovative und bedrückende Weise, ein Familiendrama mit offenem Ende heraufzubeschwören.

Am Anfang war der Tankstellenmord

Dunkelheit. Ein Mann liegt mit einer Schusswunde in der Stirn in seiner Tankstelle. Eine Frau steht mit einer Waffe in der Hand daneben. Ein blonder Teenager betritt die Szenerie, nimmt ihr die Pistole ab und redet eindringlich auf die völlig verstörte Frau ein: "Geh nach Hause, Mama. Geh einfach." Scheinbar teilnahmslos und aufgezogen wie eine Marionette verschwindet die Frau in einem Haus gegenüber der Tankstelle. Vorher lässt sie jedoch zwei Plastiktüten, die sie sich über die Schuhe gezogen hatte, in einem Mülleimer verschwinden.

Alles aus dem Lot

So der Auftakt des gestrigen Bremer Tatorts von Claudia Prietzel und Peter Henning (Buch und Regie), der schon mit seinem Titel "Ordnung im Lot" für Verwirrung sorgte. Auf den ersten Blick völlig sinnfrei, spiegelte er jedoch schlicht die Sprache dieses Krimis wieder, dessen Handlung schnell klar machte: Hier war nichts in Ordnung und alles aus dem Lot. Die Tat-Zeugin und angebliche Ameisen-Phobikerin (Mira Partecke) fütterte die Polizei mit verschwurbelten Hinweisen. Ihr dunkles Haus nahm einen mit selbstgebauten Insekten-Bekämpfungsmaschinen und -ritualen in Empfang. Und Sohn Max (Vincent Göhre) gab so manches Rätsel auf. Mit Hilfe von merkwürdigen Sätzen, einer chiffrierten Sprache und einer über weite Strecken panischen Protagonistin erhielt der Zuschauer einen oberflächlichen Einblick in die Welt einer psychisch schwer kranken Frau – und der Mord geriet fast zur Nebensache. Jeder schien verdächtig.

Kein Krimi zum Zurücklehnen

Der Versuch, der Hauptzeugin eine schizoide Persönlichkeitsstörung zu verpassen, war mutig. Typische Filmsätze waren: "Meine Ohren sind Lautsprecher. Man sagt immer, die Notstandshilfe hält Gefahren ab" oder "Ich stehe mitten im Auge. Wer bewacht die Tankstelle? Außer mir ist niemand hier. Es gibt Gefahr". Die Gefahr, dass das auf solide Krimikost getrimmte Sonntagabend–Publikum bei derlei Sätzen schon in der Anfangsphase des Filmes abgetörnt von der Inhaltsstange hüpft, war groß.

Brillante Darsteller machen die Story groß

Blieb man jedoch am Ball, so hatte man Anteil an einem Film, der es bei allem Befremden wagte, durch Sprache, eindringliches Schauspiel und Fotografie einen ganz eigenen verwirrenden Kosmos aufzubauen, der die Mordgeschichte auf der einen und eine zunehmend erschütternde Familiensituation auf der anderen Seite abfeierte. Mira Partecke brillierte als kranke Zeugin Sylvia Lange und mag mit ihrer Performance den Rahmen des üblichen Tatorts gesprengt und mit Sicherheit viele Zuschauer ratlos zurückgelassen haben. Vincent Göhre überzeugte als bemühter und zugleich überforderter Sohn Max.

Betroffenes Schweigen oder lautstarkes Gelächter?

Trotzdem wollte der Klops an Facetten erst einmal geschluckt werden: Sollte man beispielsweise in der Szene, in der sich Sylvia Lange "um schlechte Schwingungen abzuhalten" in eine goldfarbene Wärmefolie hüllte, sich Ohren und Nase mit Watte ausstopfte, in einen Kreis von Leuchtsteinen stellte und dabei unbeweglich im Spiegel fixierte, betroffen schweigen oder nicht doch eher in lautstarkes Gelächter ausbrechen? Indem die zu Nebenfiguren degradierten Bremer Kommissare Inga Lürsen (Sabine Postel) und Stedefreund (Oliver Mommsen) jedoch diese irritierte Haltung des Zuschauers spiegelten, wurde dieser sanft aufgefangen und es gelang ihm, sich mehr und mehr an diesen Tatort-Stil zu gewöhnen.

Mordfall wird zur Nebensache

Am Ende versuchte der besorgte Vater (Wolfram Koch) zum Wohl seines überlasteten Sohnes, der die Mutter mit aller Macht vor Polizei und Psychologen schützen will, die kranke Ehefrau auf einem Parkplatz auszusetzen. Dieser ohnmächtige Versuch, wenigstens etwas von der verlorenen Normalität wieder herzustellen, zeugte von absoluter Hilflosigkeit und gleichzeitig großer Menschlichkeit, die in "Ordnung im Lot" nie aus den Augen verloren wurde. Die Idee, Kommissarin Lürsen in nächtlicher Kleinarbeit ganz alleine die von Sylvia Lange zusammengekritzelten Endlossätze entschlüsseln zu lassen, ihre Hinweise zu erkennen und so fix hinter die Lösung des Falles zu kommen, erschien allerdings ein wenig zu einfach. Dennoch war es in Ordnung, angesichts der starken Familienstory den eigentlichen Krimi-Fall eher verhalten aufzulösen.

Solider Quotenkönig

In Sachen Quote hatte der "Tatort" jedoch die Nase vorn: Mit 8,34 Millionen Gesamtzuschauern genügte eine eher durchschnittliche Reichweite, um dem Bremer Krimi den Tagessieg sowohl beim Gesamtpublikum (8,34 Mio) als auch bei den 14- bis 49-Jährigen (2,74 Mio) zu verschaffen.

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