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Hohe Zölle befürchtet: Angst vor "hartem Brexit" in Großbritannien


Angst vor dem "harten Brexit" auf der Insel

ap, Michaela Hütig

Aktualisiert am 15.01.2017Lesedauer: 4 Min.
Der Hafen in Liverpool. Britische Exporte könnten sich dramatisch verteuern.Vergrößern des BildesDer Hafen in Liverpool. Britische Exporte könnten sich dramatisch verteuern. (Quelle: dpa-bilder)
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Ist es Kabeljau oder Schellfisch? Fragen dieser Art werden für Großbritannien künftig von großer Bedeutung sein, falls das Land den zollfreien EU-Binnenmarkt verlässt und sich stattdessen den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) unterwirft. Im Zuge eines solchen "harten Brexits" wäre London mit EU-Zöllen auf schätzungsweise 15.000 Waren konfrontiert. Einige Exporte wie etwa Medikamente würden zwar nicht darunter fallen, die große Mehrheit allerdings schon.

Die Höhe der Zölle wird von einer Vielzahl komplexer Faktoren abhängen. So mögen zwar Schellfisch und Kabeljau in den Küchen vieler britischer "Fish And Chips"-Restaurants direkt nebeneinander liegen. Doch von der EU werden die beiden Fischsorten unterschiedlich klassifiziert: Kabeljau ist mit zwölf Prozent zu verzollen, Schellfisch dagegen nur mit 7,5 Prozent. Und das ist nur ein Beispiel von vielen.

Exporte könnten teurer werden

Im Durchschnitt würde der Zoll auf britische Exporte in die EU laut einer Analyse des Londoner Thinktanks Civitas bei etwa 4,5 Prozent liegen. Viele Experten, darunter auch Brexit-Befürworter, halten dies für das schlimmste Szenario für die britische Wirtschaft. Aus dem Grund bricht das Pfund jedes Mal prompt ein, sobald Premierministerin Theresa May sich zu einem möglichen "harten Brexit" äußert. Ihre nächste Rede zu dem Thema am Dienstag wird auch deshalb mit großer Spannung erwartet.

Die Frage nach der Art und Weise des EU-Austritts drängt immer mehr, da May Ende März die formalen Gespräche darüber aufnehmen will. Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere EU-Regierungschefs haben wiederholt davor gewarnt, dass das Königreich den Zugang zum Binnenmarkt nicht behalten kann, wenn es die Einwanderung von EU-Bürgern begrenzen will. Da May weiterhin die Notwendigkeit von Grenzkontrollen betont, deutet vieles auf einen Ausschluss aus dem Binnenmarkt hin.

Handel überwacht?

Als Folge eines "harten Brexits" würde der britische Handel künftig den von der WTO entwickelten und überwachten Vorschriften unterliegen. Die Organisation mit Sitz in Genf hat 164 Mitglieder und ist verantwortlich für einen Großteil des Welthandels. Ihren Regelungen zufolge stünden Großbritannien im Handel mit seinen ehemaligen EU-Partnern keine Vorteile mehr zu gegenüber allen anderen Ländern zu, die keine Handelsabkommen mit der EU haben. Dazu gehören etwa die USA.

Die meisten britischen Exporte würden dem gemeinsamen Außenzoll der EU unterliegen und wären damit unter ansonsten gleichen Bedingungen preislich sofort weniger konkurrenzfähig innerhalb der EU. Auch britische Importe aus der EU müssten verzollt werden. Vermutlich würden sich beide Seiten in der Folge um ein Freihandelsabkommen bemühen, wofür aber jahrelange Verhandlungen nötig sein dürften.

Doch Zölle sind nicht das einzige Thema. Britische Unternehmen müssten künftig auch bestimmte Standards und Auflagen erfüllen, um ihre Produkte auf dem europäischen Markt verkaufen zu dürfen. Eines der bekanntesten Beispiele sind genmanipulierte Lebensmittel. Unter der Ägide der WTO hätten die britischen Handelsbeziehungen starke Ähnlichkeit zu denjenigen zwischen den USA und der EU. Beide Seiten arbeiten nach dem sogenannten Meistbegünstigungsprinzip, das zwar einige Handelserleichterungen mit sich bringt, aber keinen pauschalen Verzicht auf Zölle.

Komplizierte Sektoren

Autohersteller aus den USA etwa zahlen zehn Prozent Zoll auf die meisten Pkws. Für Kleinbusse gilt dagegen werden 16 Prozent fällig, für Schneemobile fünf Prozent. In anderen Sektoren ist die Lage ähnlich kompliziert: Für Waren gibt es etwa 15.000 verschiedene Klassifizierungscodes. So hängt die Höhe des Zolls für Fisch nicht nur von der Art ab, sondern auch davon, ob er lebend gehandelt wird, frisch, tiefgekühlt oder filetiert.

Die WTO-Option stellt zwar sicher, dass Großbritannien die Kontrolle über seine Grenzen zurückgewinnt und wieder eigene Regulierungen und Steuern festlegen kann. Doch Kritiker warnen davor, dass sie den britischen Handel zugrunde richten und dem Bruttoinlandsprodukt mehr schaden wird als andere Brexit-Szenarien. Der britische Schatzkanzler Philip Hammond erklärte, die WTO-Variante wäre "nicht das Wunschergebnis".

Da Dienstleistungen nicht von der WTO geregelt werden, würde der wichtigen britischen Finanzbranche großer Schaden drohen: Denn Fachkräfte würden ihre Freizügigkeit verlieren, an jedem Ort innerhalb der EU zu arbeiten.

Der Devisenmarkt spiegelt die Sorgen der Investoren deutlich wider: Seit dem Brexit-Referendum vom 23. Juni 2016 hat das Pfund etwa 20 Prozent seines Werts verloren. Es wird jetzt mit 1,22 Dollar gehandelt, im Vergleich zu 1,50 Dollar am Tag der Abstimmung. Noch vor weniger als zehn Jahren stand es bei mehr als zwei Dollar. Dem Absturz des Pfunds können Brexit-Anhänger aber auch etwas Positives abgewinnen: Dadurch seien die Preise britischer Güter international konkurrenzfähiger, selbst unter neuen Zöllen.

Viele Brexit-Befürworter werben trotz der drohenden Nachteile für die WTO-Option. Ihrer Meinung nach kann ein souveränes Großbritannien etwa von Freihandelsabkommen mit Nicht-EU-Staaten profitieren. Aus ihrer Sicht wäre das Land mit dem WTO-Szenario besser dran als mit einem Übergangsabkommen, das die Zeit der Unsicherheit weiter verlängern würde.

Großbritannien könne zudem zum globalen Vorkämpfer für niedrigere Zölle werden, um die Kosten für seine Unternehmer zu senken, heißt es aus Kreisen der Befürworter. Der Nachteil davon wäre allerdings, dass dieselben Betriebe auf dem britischen Markt einem härteren Wettbewerb ausgesetzt wären. So ist etwa chinesischer Stahl günstiger zu haben als britischer.

Wie bei den meisten Fragen in Zusammenhang mit dem Brexit bleiben bei der WTO-Variante viele rechtliche Unsicherheiten. Großbritannien müsste sich möglicherweise erneut um eine Aufnahme in die Welthandelsorganisation bemühen, da es dieser derzeit nur als EU-Mitglied angehört. WTO-Generaldirektor Roberto Azevedo hat zwar erklärt, solche Verhandlungen seien relativ unkompliziert. Aber das ist eine andere Geschichte.

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