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Niederlande-Referendum: Bricht die EU nun auseinander?


Niederlande-Abstimmung
Stirbt die Europäische Union?

Von t-online
Aktualisiert am 07.04.2016Lesedauer: 5 Min.
EU in der Krise? "Nee" sagen diese Niederländer in Den Haag zum Abkommen mit der Ukraine.Vergrößern des BildesEU in der Krise? "Nee" sagen diese Niederländer in Den Haag zum Abkommen mit der Ukraine. (Quelle: dpa-bilder)
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Die Europäische Union erhält einen Tiefschlag nach dem anderen. Jetzt haben die Niederländer das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine abgelehnt. Geht die EU unter? t-online.de sprach mit dem Europa-Experten Kai-Olaf Lang von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Herr Lang, stirbt gerade die Idee von Europa?

So weit würde ich nicht gehen. Aber sicher ist die Europa-Idee an Grenzen gestoßen. Die Europäische Union muss revitalisiert oder zumindest aktualisiert werden. Da stellen sich alte Fragen mit neuer Brisanz: Was ist der Nutzen der europäischen Integration? Welches Europa wollen wir?

Die Niederländer haben gestern gegen das Assoziierungsabkommen zwischen Ukraine und EU gestimmt. Was ist daran besonders bedeutsam?

Wir sehen ja, dass in mehreren Ländern rote oder zumindest gelbe Karten in der Europa-Politik gezeigt werden und zwar von ganz unterschiedlicher Seite: In diesem Fall kommt die gelbe Karte direkt von den Stimmbürgern. Wir haben also neue wichtige Veto-Akteure. Die Abstimmung in den Niederlanden - diesem einst sehr europafreundlichen Land - zeigt uns, dass die Skepsis zunimmt. Dass auch die Regierung dieses Landes nicht Europa-Politik ohne oder gegen das eigene Volk betreiben kann.

Was ist dort das Problem?

Man sprach früher mal von einem europabezogenen Maximalismus: Die Niederländer waren über Jahrzehnte ausdrücklich pro-europäisch orientiert und kultivierten ihre Identität als Gründungsmitglied der europäischen Gemeinschaft. Seit einigen Jahren bewegen sie sich aber in Richtung Großbritannien. Man beharrt auf den nationalen Kompetenzen. Manche sagen sogar vor dem Hintergrund der jetzigen Abstimmung, man könne sich ebenfalls ein Referendum über die eigene EU-Mitgliedschaft vorstellen.

Warum gerade die Niederlande?

Es kommen drei Komponenten zusammen: erstens die Frage der Finanzkrise. Die Niederlande sind ein sehr fiskal-konservatives Land, das auf Sparen und solide Haushaltsführung setzt. Man hat nur sehr ungern Solidarpakete für den Süden geschnürt. Zweitens: Bei der Einwanderung war man lange Zeit sehr offen und dann am Ende eher überfordert. im Zusammenhang mit Immigration geht es zwar nur in geringem Maße um Zuwanderung aus der EU, zum Beispiel aus dem östlichen Europa. Aber man hat auch dieses Thema in einen EU-Kontext geschoben. Und drittens geht es um die Stellung eines relativ kleinen Landes in der EU, in der die Schwergewichte in wachsendem Maße den Ton angeben. Schon 2005 hat man die EU-Verfassung auch deswegen abgelehnt, weil man unzufrieden war mit der Dominanz der "Großen" und seinen eigenen Weg wollte.

Wäre die Abstimmung in anderen Ländern nicht genauso ausgefallen?

Generell gibt es bei Volksabstimmungen immer das Risiko, dass die Leute der Regierung einen Denkzettel verpassen wollen und daher sachfremde Themen in ein Referendum "hineinpacken". Man will aber auch sagen: Es kann europapolitisch so nicht weitergehen.

Wie lautet in aller Kürze die Botschaft der Abstimmung in den Niederlanden?

Die Botschaft lautet: Vertiefung und Erweiterung der Union werden künftig viel stärker als früher mit der Möglichkeit der negativen Sanktionierung durch Gesellschaften in Mitgliedsstaaten zu rechnen haben.

Wir erleben zurzeit, dass sich mittelost-europäische Staaten im Rahmen der Flüchtlingskrise massiv unsolidarisch verhalten. Kann es nicht einfach sein, dass man sich nicht noch so einen "Partner" ins Boot holen will?

So weit ging das gar nicht. Die Niederländer waren in den vergangenen Jahren tatsächlich stark reserviert gegenüber der EU-Erweiterung. Das Argument des vermeintlichen Egoismus der Mitteleuropäer ist noch relativ jung. Die Erweiterungsabneigung geht aber viel tiefer. Die Angstvorstellung ist eher: Je größer die Union wird, desto bunter wird sie, desto mehr schwierige Fälle haben wir und desto mehr müssen wir als relativ wohlhabendes Land in die gemeinsame Kasse zahlen. Insofern spielt hier auch der Wunsch eine Rolle, die europäische Integration und die Erweiterung zu entschleunigen.

Heißt das nicht auch, dass sich die EU seit den 1990er Jahren viel zu schnell erweitert hat?

Die Erweiterung war letztlich ein wichtiger Beitrag zur Stabilisierung des Kontinents in einer unsicheren geopolitischen Situation. Stellen wir uns vor, was eigentlich in Mitteleuropa - unserer direkten Nachbarschaft - los wäre, wenn diese Länder in einer Grauzone zwischen den Westen und Russland verblieben wären. Die sicherheitspolitischen Auswirkungen wären bis vor unsere Haustür zu spüren. Die Erweiterung war ein Modernisierungs- und Stabilisierungsprogramm, von dem gerade auch Deutschland sehr profitiert hat.

Welche Art von EU wollen Mitteleuropäer wie Polen oder Ungarn?

Diese Länder wollen eine funktionierende EU, aber anders als bisher: Keine EU, die sich immer tiefer integriert, sondern eine, die auf der Zusammenarbeit von Nationalstaaten basiert. Sie bringen das nur ideologisch provokant vor. Aber Renationalisierung und Europa-Skepsis sehen wir gegenwärtig fast überall in der EU.

Die Idee der politischen Union können wir wohl erst einmal vergessen, oder?

Das kann man erst in 20 bis 30 Jahren sagen. Aber sie ist im Moment nur für sehr wenige ein Weg, den man offensiv gehen möchte. In der jetzigen Phase geht es eher darum, die Union zusammen zu halten und ein Ausfransen zu verhindern. In einigen Bereichen hat man ja immens integriert. Die Stimmungslage geht aber wie gesagt in Richtung Entschleunigung.

Wie wird es jetzt weitergehen?

Wenn wir nach vorne schauen, stehen wir an einer Weggabelung: Entweder wird die Dynamik der Union einschlafen und man wird einen Sockel um den Binnenmarkt herum beibehalten. Die politische Dynamik dagegen wird erlahmen. Die andere Möglichkeit: Die Entwicklung verläuft wie immer wellenförmig. Da gibt es Phasen mit rasantem Fortschritt und Phasen, in denen es stagniert – bis die nächste Welle kommt. In den 1970er Jahren sprach man oft von Stagnation und "Euro-Sklerose". Später kamen mit dem gemeinsamen Markt große Vertiefungssprünge. Vielleicht sind wir in einer Phase, wo es für ein Jahrzehnt einfach mal darum geht, den Laden zusammenzuhalten, salopp gesagt. Dann sehen vielleicht viele wieder, was eigentlich die Vorteile des europäischen Projekts sind.

Darf man also noch mit positiven Überraschungen rechnen?

Nicht kurzfristig. Jetzt haben wir Tendenzen der Fragmentierung, der "negativen Integration". Vergangenes Jahr hat man darum gekämpft, dass Griechenland nicht aus der Euro-Zone ausscheidet. Jetzt sprechen wir über den "Brexit" (die kommende Volksentscheidung der Briten über Verbleib oder Austritt aus der Union, Anm.). Schengen wird hinterfragt, sogar der Binnenmarkt wird teilweise hinterfragt. Die Festigung der Union und eines Geistes der Zusammengehörigkeit wären schon einmal wichtige Teilerfolge.

Was ist für Europa eigentlich schlimmer? Die Rechtspopulisten, die es als Diktatur verunglimpfen oder die Politiker der großen Parteien, die ihre Bürger nicht ausreichend mitnehmen?

Der politische Mainstream wie auch die Bevölkerung haben sich an Europa gewöhnt und halten es für eine Selbstverständlichkeit. Sie haben bei all den Unzulänglichkeiten vergessen, sich zu vergegenwärtigen, was eigentlich die positiven Seiten sind. Was würde eigentlich passieren, wenn es das nicht gäbe? Was wären die Kosten von "Nicht-Europa"? Man sieht es ja schon an den Grenzkontrollen: Alles würde umständlicher. Will man dem Vorrücken sogenannter populistischer Parteien etwas abgewinnen, so könnte man sagen, dass sie die Etablierten dazu zwingen, sich aktiver mit Europa auseinanderzusetzen.

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