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Wiederholung des Referendums? - Darum kann der Brexit scheitern


Referendum-Wiederholung?
Exit aus dem Brexit? Es gibt zwei Hintertüren

spiegel-online, Von Markus Becker

Aktualisiert am 27.06.2016Lesedauer: 4 Min.
Viele Briten wollen nach Austritts-Votum Brexit noch verhindern.Vergrößern des BildesViele Briten wollen nach Austritts-Votum Brexit noch verhindern. (Quelle: imago/manngold)
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Bleibt Großbritannien vielleicht doch in der EU? Die Petition für ein erneutes Referendum erhält gigantischen Zulauf - über drei Millionen Menschen haben bereits unterschrieben. Und es wäre nicht der einzige mögliche Ausweg.

Anfangs wurde die Initiative belächelt, als zum Scheitern verurteilter Versuch schlechter Verlierer, das Unvermeidliche doch noch irgendwie abzuwenden. Doch die Petition für ein erneutes Referendum über die britische EU-Mitgliedschaft hat eine ungeahnte Bewegung ausgelöst: Am Sonntagvormittag hatten bereits mehr als drei Millionen Menschen unterschrieben - Tendenz stark steigend.

Zwar dürfte ein Teil der Stimmen auch aus dem Ausland kommen, aber die Karte auf der Petitionsseite zeigt, dass allein aus dem Großraum London weit mehr 100.000 Unterschriften kommen. Ab dieser Schwelle muss sich das Parlament mit einer Petition befassen. Üblicherweise erreichen nur wenige die Marke von 200.000. Selbst die Eingabe, Donald Trump die Einreise in das Vereinigte Königreich zu verbieten, kam auf weniger als 600.000 Unterschriften.

Könnte es tatsächlich zu einem erneuten Referendum kommen und der Brexit rückgängig gemacht werden? Die Chance ist klein, aber es gibt sie - denn für sie spricht mehr als nur die gigantische Zahl an Unterschriften.

Grund 1: Das Referendum ist nicht bindend

Es hat für Parlament und Regierung lediglich beratenden Charakter. Zwar hat Premierminister David Cameron immer betont, dass er ein Ja zu einem Austritt sofort umsetzen würde. Davon ist er allerdings schon abgewichen, indem er angekündigt hat, im Oktober zurückzutreten und den entscheidenden Schritt - die Mitteilung an Brüssel, gemäß Artikel 50 des Lissabon-Vertrags aus der EU austreten zu wollen - seinem Nachfolger zu überlassen.

Auch im Parlament gibt es inzwischen Forderungen, das Votum nicht umzusetzen. "Wacht auf", sagte der Labour-Abgeordnete David Lammy dem "Guardian". "Wir müssen das nicht tun. Wir können diesen Wahnsinn stoppen und diesen Albtraum mit einer Abstimmung im Parlament beenden."

Auch der politische Gegner scheint plötzlich Bedenken zu haben. Der Tory-Abgeordnete Liam Fox etwa bezweifelte die Notwendigkeit, schnell Artikel 50 des EU-Vertrags auszulösen. "Vor diesem Referendum wurde vieles gesagt, über das wir vielleicht noch einmal nachdenken sollten", so Fox. "Das Auslösen von Artikel 50 gehört dazu." Zuvor sollte es für die Regierung eine "Zeit des Nachdenkens" geben, um die nächsten Schritte zu planen. Nach einer unbedingten Umsetzung des Referendums klingt das nicht.

Grund 2: Das Brexit-Lager hat zentrale Versprechen geräumt

Und das keine 24 Stunden nach dem Sieg im Referendum. So behaupteten die Brexiteers, Großbritannien überweise wöchentlich 350 Millionen Pfund nach Brüssel - Geld, das nach einem EU-Ausstieg in das nationale Gesundheitssystem NHS fließen könne. Es war das wichtigste Versprechen der "Leave"-Kampagne, sie ließ sogar Busse mit dieser Aufschrift durchs Land fahren.

Doch noch am Freitag erklärte Ukip-Chef Nigel Farage, er könne nicht garantieren, dass mehr Geld an die NHS fließe. Schon die Zahl von 350 Millionen war falsch: Die Hälfte davon fließt in Form von Rabatten und Subventionen zurück nach Großbritannien - was das Brexit-Lager freilich verschwieg.

Auch vom zweiten zentralen Versprechen, der Senkung der Einwanderung aus anderen EU-Staaten, rücken die Austrittsbefürworter ab. "Wenn die Leute glauben, sie haben abgestimmt und es wird jetzt keine Einwanderung aus der EU mehr geben", erklärte der Tory-Abgeordnete Daniel Hannan der BBC, "dann haben sie sich getäuscht." Denn man wolle den Zugang zum EU-Binnenmarkt behalten - und dafür müsse man wohl auch weiterhin akzeptieren, dass Arbeitskräfte aus der EU ins Land kommen.

Das könnte die politische Entscheidung für ein erneutes Referendum erleichtern und zugleich die Chancen auf einen anderen Ausgang erhöhen.

Grund 3: Die Gefahr, dass das Vereinigte Königreich zerbricht

Sie hat sich überraschend schnell manifestiert: Nur wenige Stunden nach dem Referendum kündigte Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon an, Vorbereitungen für eine erneute Volksabstimmung über die Unabhängigkeit zu treffen. Beim EU-Referendum haben fast zwei Drittel der Schotten für einen Verbleib in der EU gestimmt - und Sturgeon will das nun offenbar zügig nutzen, Schottland endlich aus dem Vereinigten Königreich herauszulösen. Am Sonntag bezeichnete sie ein zweites Referendum dazu als "höchst wahrscheinlich".

Die Chance auf ein zweites britisches EU-Referendum ist nur schwer einzuschätzen; nach Ansicht der "Daily Mail" etwa würde jeder, der das Referendum zu missachten versuchte, "politischen Selbstmord" begehen. Auch in der EU ist das Interesse an einer Wiederholung des Referendums gering. In Brüssel befürchten viele, dass der Imageschaden gewaltig wäre und die EU als noch undemokratischer als ohnehin schon wahrgenommen würde.

Andere Kritiker merken an, dass man die Regeln von Referenden nicht rückwirkend ändern könne. Bei der EU-Abstimmung wurde keine Schwelle definiert, unterhalb der das Referendum ungültig wäre. Die Petition für das zweite Referendum wurde bereits Ende Mai aufgelegt und forderte eine erneute Abstimmung für den Fall, dass weniger als 60 Prozent für einen Austritt gestimmt haben und die Wahlbeteiligung unter 75 Prozent lag.

Der britische Verfassungsexperte Vernon Bogdanor sagte dem "Telegraph", die EU wolle nicht weiter verhandeln, sondern das Referendum ernst nehmen. Tatsächlich verlangen führende europäische Politiker von der britischen Regierung den sofortigen Beginn der Austrittsverhandlungen.

Doch die Entscheidung liegt bei den Briten. Wenn sie Artikel 50 nicht auslösen, kann die EU sie nicht hinauswerfen.

Abstimmung über neuen Vertrag mit der EU

Zudem gäbe es möglicherweise noch weitere Auswege. Die schottische Regierungschefin Sturgeon sagte am Sonntag der BBC, dass eventuell eine Zustimmung des schottischen Parlaments zum EU-Austritt notwendig sei. Und "natürlich" würde sie die Abgeordneten auffordern, diese Zustimmung zu verweigern.

Möglicherweise kommt ein erneutes Referendum auch auf anderem Wege zustande. Nach dem Auslösen von Artikel 50 muss Großbritannien mit der EU über den Austritt verhandeln, wäre in dieser Zeit aber noch Mitglied der EU. Das Abkommen, das am Ende herauskommt, könnte man dann zum Gegenstand einer erneuten Volksabstimmung machen. Über diese Hintertür, den Austritt doch noch abzuwenden, wird nach Angaben der BBC in Westminister bereits geredet: "It's not over until it's over."

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