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Nahostkonflikt: Scheitert Joe Biden an den Hamas?


Bidens Krisen-Reise nach Israel
Am Abgrund

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns

Aktualisiert am 18.10.2023Lesedauer: 6 Min.
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Die nächste Bürde für Biden: Im Nahen Osten droht die Eskalation. (Quelle: IMAGO/Samuel Corum - Pool via CNP)

Joe Biden ist zurzeit mit zahlreichen schweren Krisen zugleich konfrontiert. Mit seinem Besuch in Israel versucht der US-Präsident, nicht weniger als auch die Gefahr eines Weltkriegs einzudämmen.

Nur eine entscheidende Botschaft hat der Präsident der Vereinigten Staaten derzeit. Er richtet sie an die Zweifler im eigenen Land, an befreundete Nationen und vor allem an die weltweiten Feinde: "Wir sind die mächtigste Nation in der Geschichte der Welt. Wir können uns um Israel und um die Ukraine kümmern. Und trotzdem sind wir in der Lage, unsere eigene Verteidigung international aufrechtzuerhalten."

Joe Biden klang mit diesen beschwörenden Sätzen in einem Interview beim US-Sender CBS in dieser Woche fast wie einst Ronald Reagan. Der ehemalige republikanische US-Präsident hatte den USA in den 1980ern nach Jahren des Rückzugs wieder zu internationalem Gewicht verholfen und gewann damit sozusagen den Kalten Krieg. Reagans konfrontative Außenpolitik führte gewissermaßen zu Amerikas Wiedergeburt als Weltpolizei. Der damals ideologisch klar benennbare Feind, die Sowjetunion, wurde bezwungen.

Die außenpolitische Lage im 21. Jahrhundert ist für Joe Biden und die USA aber eine ungleich schwerere. Mit seinem Besuch am Mittwoch in Israel muss der US-Präsident verhindern, dass die hochexplosive Lage im Nahen Osten einen Flächenbrand auslöst, der die ganze Welt entflammen könnte. Es ist in Bidens Amtszeit bereits der zweite extrem riskante globale diplomatische Drahtseilakt, mit dem das Weiße Haus umgehen muss. Neben dem Angriffskrieg der russischen Nuklearmacht Russland gegen die Ukraine.

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Eine Eskalation muss vermieden werden

Bidens Mission im Nahen Osten könnte darum schwieriger kaum sein: Der US-Präsident muss die nicht verhandelbare Unterstützung für Israel einerseits glaubhaft untermauern. Zugleich muss er versuchen, eine Eskalation, die aus der Situation resultieren könnte, unbedingt zu vermeiden. Gelingt ihm das nicht, könnten die Folgen verheerend sein. Denn im Nahen Osten sind so viele unterschiedliche mächtige Akteure involviert, dass schon kleine lokale Verschiebungen globale Schockwellen auslösen können.

Die Vorbereitungen für den Besuch waren deshalb schon vorab immens. Neben US-Verteidigungsminister Lloyd Austin reiste Außenminister Antony Blinken zuvor bereits nach Israel. Und auch eine Delegation aus dem US-Kongress kam gerade erst zurück aus dem Land.

Die Reisen der US-Politiker sind wohl einer der Hauptgründe, weshalb die israelische Großoffensive gegen die Terrororganisation Hamas im Gazastreifen noch nicht begonnen hat. Panzer sollen nicht rollen, solange Biden oder eines seiner Kabinettsmitglieder sich im Land befinden. Es reichte schon, dass Antony Blinken während seines Besuchs in einem Luftschutzbunker Zuflucht vor heranfliegenden Raketen suchen musste. Was nicht nur Blinken, sondern auch Bundeskanzler Olaf Scholz beim Abflug in Tel Aviv geschah, kann dem US-Präsidenten ebenfalls passieren: Die Hamas kündigte für seinen Aufenthalt einen "Tag des Zorns" an.

Es geht aber um noch mehr als nur um die Sicherheit und um das Image der Amerikaner.

Im Weißen Haus weiß man: Mit jedem weiteren toten Palästinenser im Gazastreifen wächst die Gefahr eines Mehrfrontenkrieges für Israel, in den schließlich auch die USA eingreifen müssten. Und die Hisbollah-Milizen im Libanon drohen bereits seit Tagen, sich einzumischen und Israel massiv anzugreifen. Der Iran droht ebenfalls mit Vergeltung. Es hat also einen Grund, warum Joe Biden eine etwaige erneute Besetzung des Gazastreifens durch Israel zuletzt als "großen Fehler" bezeichnete.

An Bord der Air Force One teilte der Sprecher des Sicherheitsrates, John Kirby, den mitreisenden Reportern mit, dass Joe Biden in Israel diesbezüglich in Erfahrung bringen wolle, was die Absichten der Regierung in den kommenden Tagen und Wochen sein werden. "Er wird einige schwierige Fragen stellen. Er wird sie als ein Freund fragen – als ein wahrer Freund Israels. Aber er wird ihnen einige Fragen stellen", sagte Kirby. Der US-Präsident werde deutlich machen, dass sich dieser Konflikt nicht ausweiten dürfe.

Mit jedem weiteren Tag aber, an dem Israel nichts gegen die Hamas unternimmt, wächst der Eindruck von Hilflosigkeit der Regierung von Benjamin Netanjahu, im Inland wie im Ausland. Ein Eindruck, der nicht nur Israel selbst betrifft. Die Handlungsfähigkeit des Westens insgesamt wird im Angesicht des islamistischen Terrors infrage gestellt – und zwar von Akteuren wie Russland oder China, die ein Interesse daran haben, den Westen schwach erscheinen zu lassen.

Die Biden-Offensive im Nahen Osten ist daher ein Wagnis, das zwischen diesen beiden Extremen gelingen muss. John Kirby sagte dazu in Washington: "Das ist eine kritische Zeit und eine kritische Reise." Es gehe um ein starkes Signal an die Terroristen, aber auch an die Zivilbevölkerung, die von dem Konflikt betroffen sei, so Kirby.

Bidens wichtigsten Ziele

Zu den wichtigsten Zielen der Biden-Administration gehört es, die humanitären Folgen einer israelischen Großoffensive für die palästinensische Zivilbevölkerung so gut wie möglich abzufedern. Im Gespräch sind Sicherheitszonen, Fluchtkorridore und zuallererst die dringend benötigte Zufuhr von Hilfslieferungen über den noch immer geschlossenen ägyptischen Grenzübergang bei Rafah. Dort stauen sich seit Tagen Lastwagenkolonnen mit Benzin, Wasser, Medizingütern und Essen. Die geplante Luftbrücke der EU kann ebenfalls nur funktionieren, wenn die Grenze offen ist.

Wie schwierig Verhandlungen über Flüchtlinge mit Israels Anrainerstaaten sind, machte der König von Jordanien deutlich. Nach seinem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin am Dienstag sagte König Abdullah II., sein Land sei keinesfalls bereit, weitere palästinensische Flüchtlinge aus dem Gazastreifen aufzunehmen. Das sei "eine rote Linie", so Abdullah. Er stellte klar: "Keine Flüchtlinge in Jordanien, keine Flüchtlinge in Ägypten."

Wichtige Partnerschaften nicht gefährden

Die Lage der palästinensischen Zivilbevölkerung wird im Weißen Haus nicht nur unter ethischen Gesichtspunkten gesehen. Sie entscheidet auch darüber, wie die mühsam erreichten Annäherungen der letzten Jahre, wie etwa mit Saudi-Arabien, gerettet werden können. Die USA können es sich nicht leisten, die fragwürdigen, aber strategisch wichtigen Partnerschaften mit arabischen Ländern zu gefährden.

Flankiert wird Bidens Besuch von militärischen Bewegungen der US-Armee, die den umliegenden Staaten, darunter ganz besonders Iran, unzweifelhaft klarmachen sollen: Wagt es nicht!

Antony Blinken unterstrich diese Warnung in Tel Aviv: "Präsident Biden wird unsere kristallklare Botschaft an jeden Akteur, ob Staat oder Nichtstaat, unterstreichen, der versucht, diese Krise auszunutzen, um Israel anzugreifen: Tun Sie es nicht!", sagte der Außenminister. Neben dem weltgrößten Flugzeugträger "USS Gerald R. Ford" samt begleitendem Kampfschiffverband wurde darum inzwischen ein zweiter Flugzeugträger ins östliche Mittelmeer verlegt. Die USA haben zusätzlich rund 2.000 Soldatinnen und Soldaten in Einsatzbereitschaft versetzt, um Israel im Zweifel zu unterstützen.

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Entmutigung noch vor dem Start

Doch schon der Start der Reise von Joe Biden misslang gründlich. Der US-Präsident bestieg am Mittwoch gerade die Air Force One nach Israel, da gab das jordanische Außenministerium bekannt, dass ein Herzstück von Bidens Mission einfach abgesagt wird. Der geplante Gipfel mit den arabischen Staatschefs in Amman, der jordanischen Hauptstadt, wird gar nicht erst stattfinden.

Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland, Mahmud Abbas, hatte seine Teilnahme zu diesem Zeitpunkt bereits abgesagt. Der Grund: Die Hamas-Terroristen machen Israel für einen bislang ungeklärten Angriff auf ein Krankenhaus im Gazastreifen mit mutmaßlich Hunderten Toten verantwortlich. Israel bestreitet den Angriff und beschuldigt seinerseits die Hamas, das Krankenhaus beschossen zu haben.

Das Weiße Haus bemühte sich um Schadensbegrenzung. Ein Beamter teilte nach t-online-Informationen mit: Nach Rücksprache mit König Abdullah II. von Jordanien sei das geplante Treffen lediglich verschoben worden. Es soll vielmehr eine "einvernehmliche Entscheidung" gewesen sein, weil Abbas wegen der angeordneten dreitägigen Staatstrauer im Westjordanland anwesend sein müsse.

Biden sprach demnach sogleich "den unschuldigen Menschen, die bei der Krankenhausexplosion in Gaza ihr Leben verloren, sein tief empfundenes Beileid aus und wünschte den Verwundeten eine baldige Genesung", teilte der US-Beamte mit. Während Biden in der Luft war, hieß es in einem Statement des Präsidenten: "Ich bin empört und zutiefst traurig über die Explosion im Al-Ahli-Arab-Krankenhaus in Gaza und den schrecklichen Verlust an Menschenleben, der daraus resultierte."

Der US-Präsident will sich nun möglichst bald persönlich mit den arabischen Anführern beraten. Nach t-online-Informationen will Biden während des Rückflugs von Israel an Bord der Air Force One mit Ägyptens Präsident al-Sisi und Palästinenser-Präsident Abbas telefonieren.

Für Biden ist das ein herber Rückschlag. Seine Mission im Nahen Osten droht zu scheitern, noch bevor sie überhaupt begonnen hat. Für den bedrohten Frieden in der Welt ist es ebenfalls eine schlechte Nachricht.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Pressehintergrundgespräch mit dem Nationalen Sicherheitsberater John Kirby
  • Pressehintergrundgespräch mit der Regierungssprechern Karine Jean-Pierre
  • Pressekonferenz mit der Vize-Sprecherin des Pentagon, Sabrina Singh
  • osteuropa, Vol. 31, No. 6 (Juni 1981), pp. 445-457, "Auferstehung des Containment: Die Politik der USA gegenüber der Sowjetunion nach den Präsidentschaftswahlen 1980"
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