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Erdoğan in Deutschland: Präsident der Türkei verliert die Fassung


Heikler Besuch in Deutschland
Dann verliert Erdoğan die Fassung

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 18.11.2023Lesedauer: 6 Min.
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Am Freitag empfing Olaf Scholz den türkischen Präsidenten in Berlin. (Quelle: Reuters)

Nach seinen Wutreden gegen Israel wird Recep Tayyip Erdoğan in Deutschland empfangen. Auf einer Pressekonferenz mit Kanzler Olaf Scholz verzichten beide auf direkte Angriffe. Trotzdem gerät der türkische Präsident in Bedrängnis.

Es ist ein heikler Besuch für Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der von der Öffentlichkeit mit Spannung erwartet wurde. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist am Freitagnachmittag in Berlin eingetroffen, der Besuch wird im Zentrum der Hauptstadt von zahlreichen Protesten begleitet. Davon wird der türkische Staatschef aber wenig mitbekommen, denn das Regierungsviertel wurde von der Polizei abgeriegelt.

Erdoğan sorgte zuletzt mit Aussagen zum Nahostkonflikt im Westen für Empörung. Als einziges Nato-Mitglied und als eines der wenigen muslimisch-geprägten Länder stellte sich die Türkei nach den Terrorangriffen gegen Israel auf die Seite der Hamas, nachdem das israelische Militär mit Angriffen auf den Gaza-Streifen begonnen hatte. Das hat politische Sprengkraft und ist der Grund, warum der Besuch Erdoğans möglichst kurz gehalten wird. Nach einem gemeinsamen Abendessen soll der 69-Jährige schon wieder im Flieger zurück in die Türkei sitzen.

Als einziger öffentlicher Auftritt war eine kurze Pressebegegnung im Kanzleramt geplant. Der erwartete Schlagabtausch zwischen Scholz und Erdoğan blieb aus, beide Politiker bemühten sich, ihre Gespräche nicht schon vorher zum Scheitern zu bringen. Doch am Ende brachten Fragen eines deutschen Journalisten Erdoğan dazu, die Fassung zu verlieren. In diesem Moment zeigte er sein wahres Gesicht.

Scholz möchte Schlagabtausch vermeiden

Dieser Besuch des türkischen Präsidenten ist für die Bundesregierung keine einfache Aufgabe. Selten war die deutsche Öffentlichkeit so interessiert an einem Staatsbesuch, wie bei dem Treffen von Erdoğan mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und danach mit Scholz an diesem Freitag. Auch die Medien sahen genauer hin: Ist die Begrüßung freundlich? Vielleicht zu freundlich? Viele kleine Momente und jedes Wort wurden auf die Goldwaage gelegt. Das sorgt für Anspannung, auch beim Kanzler.

Als Scholz und Erdoğan um 18.22 Uhr im Kanzleramt vor die Presse treten, wirkte der SPD-Politiker während seines Anfangsstatements durchaus nervös. Der Kanzler lobte zunächst die "konstruktive Rolle" der Türkei im Ringen um einen Deal mit Russland über die Ausfuhr von ukrainischem Getreide. Dann dankte er dem türkischen Staatschef für sein persönliches Engagement. Es sei schließlich Wladimir Putin, der einen verbrecherischen Krieg in der Ukraine führe und der aus dem Getreideabkommen ausgestiegen sei.

Früh wurde klar: Scholz möchte das Verbindende mit der Türkei betonen, denn er weiß, dass Erdoğan sehr viel politisches Kapital in das Getreideabkommen gesteckt hatte. Außerdem weiß er, dass auch die türkische Seite sehr verärgert darüber war, dass Russland im Frühsommer aus dem Deal ausgestiegen war. Das nahm dem türkischen Präsidenten international seinen Erfolg als Vermittler.

"Unserer Solidarität mit Israel steht außer Frage"

Schon komplizierter wurde es für den Kanzler dann beim Nato-Beitritt von Schweden. Hier hat Erdoğan zwar seine Blockade aufgegeben, aber die Türkei lässt sich mit der Ratifizierung des Beitritts durch das Parlament viel Zeit – wahrscheinlich auch, weil Erdoğan Zugeständnisse bei Rüstungslieferungen verhandeln möchte. "Wir hoffen auf einen baldigen positiven Beschluss, denn es geht darum, die Nato als Bündnis zu stärken", machte Scholz Druck, blieb aber diplomatisch.

Danach ging es um den eigentlichen Elefanten im Raum, dem Nahostkonflikt. Scholz machte deutlich, dass die Bundesregierung den "barbarischen" Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober "aufs Schärfste" verurteilt. "Wir teilen die Sorge vor einem Flächenbrand in der Region", betonte der SPD-Politiker wieder die Gemeinsamkeiten mit der türkischen Führung. Er wurde deutlich: "Unserer Solidarität mit Israel steht außer Frage, Israel hat das Recht sich zu verteidigen. Gleichzeitig sagen wir: Jedes Leben ist gleich viel wert, auch das Leid der Zivilbevölkerung bedrückt uns." Scholz sagte zweifach, dass Deutschland seit Jahrzehnten zu den größten Gebern humanitärer Hilfe für die palästinensische Bevölkerung gehöre.

Strategisch traf Scholz damit den richtigen Ton. Er machte klar, dass Deutschland das Existenzrecht Israels nicht infrage stelle und dass in der Bundesrepublik für Antisemitismus keinen Platz gebe. Gleichzeitig verzichtete er auf direkte Angriffe auf Erdoğan, um die anschließenden Gespräche nicht schon im Vorfeld zum Scheitern zu bringen. Eine Spitze gegen die türkische Führung war trotzdem dabei: Denn im Gegensatz zu Deutschland fließt aus der Türkei nicht viel Geld in die humanitäre Hilfe für den Gaza-Streifen, obwohl Erdoğan sich lautstark öffentlich auf die Seite der Palästinenser stellte.

Erdoğan gibt sich gemäßigter

Scholz sprach also bewusst nicht direkt an, dass Erdoğan zuletzt Israel nach seinen Angriffen auf den Gaza-Streifen Staatsterrorismus und einen Genozid vorgeworfen hatte und die Terroristen der Hamas als Freiheitskämpfer lobte. Dahinter steckt ein strategisches Kalkül: Denn die Türkei und Deutschland brauchen sich gegenseitig. Mehr dazu lesen Sie hier.

Deswegen blieben Scholz und Erdoğan an diesem Freitagabend zumindest in ihrer diplomatischen Sprache, ließen sich gegenseitig politischen Raum, sorgten nicht für eine Eskalation auf offener Bühne. Doch Scholz wich auch keinen Zentimeter von der deutschen Position im Nahostkonflikt zurück, das Statement des türkischen Staatschefs hörte sich dagegen vollkommen anders an als seine heimischen Wutreden. Keinen Angriff auf den Westen, keine empörenden Beschimpfungen gegen Israel. Das zeigte: Auch Erdoğan ist an guten Beziehungen zu Deutschland interessiert.

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In seinem Statement betonte er den wirtschaftlichen Austausch und dass er auf Zusagen bei Rüstungsgütern, auf erleichterte Visaverfahren für Türkinnen und Türken in Deutschland und möglicherweise auf einen neuen Getreidedeal hofft. Beim Nahostkonflikt wurden allerdings die unterschiedlichen Perspektiven deutlich.

Erdoğan stellte sich zwar in Berlin nicht auf die Seite der Hamas, aber er verurteilte auch nicht den Terrorangriff vom 7. Oktober auf Israel. Vielmehr verwendete er sehr viel Redezeit darauf, zu erklären, dass die Türkei auf der Seite der palästinensischen Zivilisten stünde. So verlangte er eine humanitäre Waffenpause im Gaza-Krieg. Wenn Deutschland und die Türkei gemeinsam einen solchen Waffenstillstand erreichen könnten, habe man die Chance, die Region aus diesem "Feuerring" zu retten, sagte er. "Die Priorität für uns alle liegt in der Gewährleistung eines Waffenstillstands und der uneingeschränkten Bereitstellung humanitärer Hilfe."

Der türkische Präsident kritisierte außerdem, Israel habe Tausende Palästinenser getötet, Krankenhäuser vernichtet, Gebetshäuser und Kirchen zerbombt. "Warum gibt es keine Reaktion?" Deutschland wirft er indirekt vor, dass es aufgrund seiner historischen Schuld zu Israel stehe. "Die Türkei hat diese Schuld nicht", meinte Erdoğan. Er habe sich auch seit seiner Zeit als Ministerpräsident immer gegen Antisemitismus gewehrt.

Eskalationsgefahr am Ende der Pressekofnerenz

Der türkische Präsident versuchte also, sich in Deutschland als Verteidiger der Humanität und der Menschenrechte zu inszenieren. Dabei spielt er momentan ein doppeltes Spiel: Einerseits laufen die Geschäfte der Hamas auch über die Türkei, andererseits läuft auch der Handel der Türkei mit Israel weiter. Was Erdoğan sagt und was er tut, ist – wie so oft – unterschiedlich.

Auch Scholz weiß das, spricht es aber nicht öffentlich an. Die Statements der beiden Politiker waren vorbereitet, worauf man sich nicht vorbereiten konnte, sind die anschließenden Fragen der Presse. Genau jeweils eine Frage hat ein türkisches und deutsches Medium. Das birgt Eskalationsgefahr, aber man wollte sich wahrscheinlich auch nicht der Kritik aussetzen, Erdoğan vor kritischen Fragen zu schützen.

Und die kritische Frage kam. Weil eben nur eine Möglichkeit zur Nachfrage gestattet war, verband ein deutscher Journalist gleich mehrere Fragen an Erdoğan: "Bekennen Sie sich zum Existenzrecht Israels?" "Was meinen Sie, wenn Sie Israel Faschismus vorwerfen?" "Mit welcher Begründung nennen Sie den israelischen Militäreinsatz gegen die Hamas Völkermord?" "Wie begründen Sie, dass Sie die Hamas eine Befreiungsorganisation nennen?"

Diese Fragen zielten genau in den kritischen Raum, den sich Erdoğan und Scholz bei dieser Pressekonferenz gegeben haben, damit die Situation öffentlich nicht eskaliert.

"Als Pressevertreter sollten sie uns damit nicht drohen"

Erdoğan hörte den Fragen mit versteinerter Miene zu. Dann reagierte er impulsiv, wie er es in der Vergangenheit schon oft bei kritischen Fragen getan hatte. Er ging zum Gegenangriff über. "Die Türkei ist in der Nato nicht nur ein Land, sondern wir sind unter den ersten fünf", polterte Erdoğan. Er erklärte, dass die Türkei mit Russland und der Ukraine spreche und wie wichtig sein Einsatz für das Getreideabkommen war. Dann machte er plötzlich einen Bogen zum Nahostkonflikt und sagte erneut, dass Tausende Palästinenser von Israel getötet wurden.

Scheinbar hatte der türkische Staatschef den Eindruck, dass die Pressevertreter die Türkei nicht ausreichend respektieren würden. Auf die Frage an Scholz, ob Deutschland einer Lieferung von Euro Fightern an die Türkei aktuell überhaupt zustimmen könne, schimpfte Erdoğan. "Es gibt auch andere Länder, die Kampfflugzeuge bauen." Er ergänzte: "Als Pressvertreter sollten sie uns damit nicht drohen. Stellen Sie Fragen, die gewissenhaft sind."

Diese Reaktion hatte allerdings nur den Zweck, keine der Fragen des Journalisten wirklich zu beantworten. "Wir sind in guten Gesprächen, auch wenn wir unterschiedliche Meinungen haben", beschwichtigte Scholz. Danach zogen sich beide zu gemeinsamen Gesprächen und zu einem Abendessen zurück. Es ist zu erwarten, dass diese Gespräche weniger diplomatisch werden – hinter verschlossenen Türen.

Verwendete Quellen
  • Beobachtung der gemeinsamen Pressekonferenz von Scholz und Erdoğan
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