Joe Bidens Europareise "Raus aus dem Schlafwagenmodus!"
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.US-Präsident Joe Biden besucht Europa. Es ist Zeit, die Allianz zwischen der EU und den USA zu erneuern. Nur so wird der Westen die Herausforderungen China und Russland meistern, fordert der Transatlantikkoordinator der Bundesregierung, Peter Beyer.
Joe Bidens erste Auslandsreise als US-Präsident hat begonnen. Im englischen Cornwall steht ab Freitag der G7-Gipfel an, dann geht es weiter nach Brüssel zur NATO und zu Gesprächen mit der Europäischen Union. Es folgt ein Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Genf.
Für uns Europäer gilt es, diesen Besuch zu nutzen: Wir müssen raus aus dem transatlantischen Schlafwagenmodus – und einen ersten Schritt gehen hin zu einer kraftvollen Vertiefung der Allianz auf Augenhöhe zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten .
Demokratien stehen unter Druck
Warum ist eine solche Allianz der Stärke – ein Neuer Westen, wie ich es nenne – notwendig? Wir leben in West- und Mitteleuropa und besonders in Deutschland in einer Welt des relativen Wohlstands, des Friedens und des demokratischen Liberalismus. Doch dieser Zustand ist kein Naturgesetz. Das vergessen wir zu oft.
Die westlichen Demokratien stehen unter Druck. Im Innern kämpfen populistische und nationalistische Kräfte gegen unsere weltoffenen Werte. Und von außen strömen die Herausforderungen nur so auf uns ein: zwei mächtige Systemrivalen China und Russland, Pandemie und Migration, Terrorismus und gescheiterte Staaten in der Nähe Europas, vor allem im Nahen Osten und in Nordafrika.
Hinzu kommt: Wir müssen Klimaschutz und Wirtschaft zusammenbringen und die Digitalisierung langfristig in den Dienst der Menschen stellen – künstliche Intelligenz und Algorithmen werden unser Leben in einem Maße bestimmen, wie wir es uns noch nicht vorstellen können. Die nächsten Monate und Jahre sind entscheidend, um eine neue transatlantische Allianz der Stärke zu schmieden. Was wir nun auf den Weg bringen sollten, umreiße ich in folgenden fünf Punkten.
Peter Beyer ist der Transatlantikkoordinator der Bundesregierung und CDU-Bundestagsabgeordneter
Erstens: Wir müssen eine transatlantische Positiv-Agenda aufsetzen. Unsere Partnerschaft wird zu sehr von den Problemen beherrscht, etwa von Nord Stream 2. Ideal wäre eine Kooperation auf den Feldern Digitalisierung und Klimaschutz. Eine enge Zusammenarbeit mit dem Silicon Valley könnte uns helfen, Rückstände im Tech-Bereich bei uns abzubauen. Die Politik sollte diese Kooperation mit einem großzügigen Staatsfonds für Start-ups in Deutschland und mit radikalem Abbau von Überregulierungen flankieren.
So würden wir nebenbei auch die jüngere Generation für die transatlantische Partnerschaft begeistern. Die Zusammenarbeit der deutschen Pharmafirma Biontech und des US-Konzerns Pfizer bei der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs ist ein inspirierendes Beispiel dafür, was Europa und Nordamerika gemeinsam erreichen können.
Zweitens: Europa und die USA brauchen eine gemeinsame China-Strategie. Das Motto könnte lauten: Kooperation wo möglich, Konfrontation wo nötig. Peking wird aggressiver, je stärker es wirtschaftlich wird. Xi Jinping, Präsident auf Lebenszeit, will das Reich der Mitte zur wirtschaftlichen, militärischen und digitalen Nummer 1 machen. Nach innen agiert Xi mit ungebrochener Härte: In Hongkong wird die Demokratie abgeschafft, die Uiguren werden brutal unterdrückt, die eigenen Staatsbürger fast lückenlos digital überwacht.
Die Chinesen haben allerdings kaum Verbündete, wir hingegen schon: Ein enges Bündnis mit den Demokratien im indo-pazifischen Raum, vor allem mit Australien, Japan, Indien und Südkorea würde uns mehr strategischen Spielraum verschaffen. Gleichzeitig gilt es, Peking über die Welthandelsorganisation (WTO) zu voller Reziprozität und fairem Marktzugang zu bewegen. Aktuell wird das WTO-System vom Staatskapitalismus der Kommunistischen Partei missbraucht. In Zukunft muss das harte Sanktionen nach sich ziehen.
Drittens: Ebenso brauchen wir eine klare Linie im Umgang mit Russland. Die Grundlage dazu ist da: In Joe Biden hat der russische Präsident Wladimir Putin einen erstzunehmenderen Gegenspieler als in Donald Trump. Beim Gipfel in Genf wird Biden dem Kreml-Chef erneut klarmachen, dass die USA sich und ihre Verbündeten verteidigen wird.
Berlin ist an einem guten Verhältnis zu Moskau gelegen, aber nach den intensiven Cyber-Attacken, der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, der Vergiftung von Alexej Nawalny sowie Sergej und Julia Skripal, den vom Kreml in Auftrag gegebenen Mord im Berliner Tiergarten und dem Abschuss des Flugzeugs MH17 über der Ukraine mit fast 300 Toten müssen wir auch eine deutliche Sprache finden. Gerade Teile der SPD (ganz zu schweigen von AfD und Linke) stecken noch im Russland-Versteher-Modus. Moskau agiert zudem geopolitisch ungeniert in Syrien und Libyen. Mehr Militäraktionen dieser Art dürfen wir dem Kreml in Zukunft nicht durchgehen lassen.
Viertens: Wir müssen den transatlantischen Handel stärken. Notwendig ist ein Abbau aller Hemmnisse wie Strafzölle und Sanktionen. In einem zweiten Schritt gilt es, ein großes, ambitioniertes Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA auf den Weg zu bringen. Ein solches Abkommen wäre ein Garant für Wachstum und Arbeitsplätze auf beiden Seiten des Atlantiks. Anders als bei TTIP sollten wir das Abkommen allerdings nicht als Ganzes zu Ende verhandeln, sondern die Kapitel schnell einigen und dann in Kraft setzen. So erhöhen wir auch die Akzeptanz in der Bevölkerung.
An dieser Stelle appelliere ich für die schnelle Ratifizierung des europäisch-kanadischen Freihandelsabkommens Ceta. Dieses wird bisher vorläufig angewendet, und erste Erfolge sind bereits sichtbar. Generell gilt: Je intensiver Europa und Nordamerika Handel betreiben, desto robuster wird der Westen gegenüber China. Bidens Infrastrukturpläne, für die er viel Geld ausgeben will, sind übrigens eine gute Chance für deutsche Mittelständler – etwa im Energiesektor. Um diesen in der Pandemie so wichtigen Neustart für die Wirtschaft nicht zu blockieren, sollten wir – wo es zu verantworten ist – rasch daran arbeiten, dass die Corona-Reisebeschränkungen zwischen den USA und dem Schengenraum ein Stück weit normalisiert werden.
Fünftens: Ohne Sicherheit kein Wohlstand – und auch keine Demokratie. Die EU muss endlich lernen, strategisch zu handeln, also zwischen Werten und Interessen eine Balance zu finden. Das heißt auch, dass wir nötigenfalls an der Peripherie unseres Kontinents, vor allem im östlichen und südlichen Mittelmeerraum, ordnend eingreifen. Es hilft allerdings nicht, von europäischer Autonomie zu träumen. Wir sollten vielmehr die europäische Verteidigung als zweite Säule neben der Nato aufbauen und auch Einsätze in der Nähe Europas eng mit Washington abstimmen.
Was das Zwei-Prozent-Ziel der Nato angeht, ist Deutschland auf einem guten Weg. Diesen sollten wir auch nach der Bundestagswahl nicht verlassen. Mehr Geld für die Bundeswehr ist kein Selbstzweck – wir schulden diese Investitionen unseren Verbündeten sowie unseren Soldatinnen und Soldaten.
So ist mein Fazit: Zusammen sind Europa und Nordamerika sehr stark. Wenn wir in den nächsten Jahren diesen Vorteil nicht ausspielen, werden wir das ökonomisch, ökologisch und sicherheitspolitisch bitter bereuen. Gehen wir also aufeinander zu – und machen die transatlantische Partnerschaft fit für das 21. Jahrhundert.
Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.