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Ziehen die USA in den Krieg gegen den Iran? So groß ist die Gefahr wirklich


Ziehen die USA in den Krieg?
Den Finger am Abzug

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 08.11.2022Lesedauer: 6 Min.
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F A-18F Super Hornet auf dem Flugzeugträger USS George Washington (Archivbild): Die US-Regierung hat in der Golfregion die Alarmbereitschaft ihrer Streitkräfte erhöht.Vergrößern des Bildes
F A-18F Super Hornet auf dem Flugzeugträger USS George Washington (Archivbild): Die US-Regierung hat in der Golfregion die Alarmbereitschaft ihrer Streitkräfte erhöht. (Quelle: imago stock&people)

Geheimdienste warnen: Der Iran plane, Saudi-Arabien anzugreifen. Die USA erhöhen daraufhin die Alarmbereitschaft ihrer Streitkräfte. Wie groß ist die Kriegsgefahr wirklich?

Die Nachricht kam überraschend und schlug ein wie ein Blitz. Saudische Geheimdienste schickten vergangene Woche eine Warnung an die USA. Der Iran soll Angriffe auf Ziele in Saudi-Arabien und auf kurdische Milizen im Nordirak planen. Mit dieser Eskalation am Persischen Golf wolle das Mullah-Regime von den Protesten im eigenen Land ablenken – so zumindest lautete der Vorwurf aus der saudischen Hauptstadt Riad.

Seither spitzt sich die Lage zu: Die USA und Saudi-Arabien erhöhten die Alarmbereitschaft ihrer Streitkräfte in der Region. Inzwischen sollen bereits Kampfflugzeuge von einer US-Basis am Golf in Richtung Iran gestartet sein, schrieb die "Washington Post" zuletzt.

Zwar erscheint ein größerer Angriff des Iran auf Saudi-Arabien derzeit als eher unwahrscheinlich. Doch schon ein Teil-Angriff auf die saudische Energieinfrastruktur könnte ausreichen, um die USA zum Eingreifen zu bewegen. Das könnte wiederum einen großen Krieg in der Region auslösen. Der Konflikt gilt zwar schon seit Jahren als Pulverfass, aber selten war die Lunte kürzer als jetzt. Wie groß ist also die Gefahr, dass in dieser Lage die Spannungen tatsächlich eskalieren?

Iran kämpft gegen Saudi-Arabien und gegen Kurden

Die Gefährdungslage ist im Prinzip nicht neu: Der Iran greift seit Ende September Stützpunkte kurdischer Separatistengruppen im benachbarten Nordirak mit Raketen und bewaffneten Drohnen an. Er rechtfertigt die Angriffe als "legitime Reaktion" auf Angriffe kurdischer Terrorgruppen auf iranische Militärbasen im Grenzgebiet. Der Iran hatte zuvor einigen kurdischen Gruppen vorgeworfen, an den regierungskritischen Protesten beteiligt gewesen zu sein, auch mit Waffenlieferungen an Demonstrierende.

Dennoch gibt es bisher keine Belege für einen erneuten Angriff des Iran auf Saudi-Arabien – erst im Jahr 2019 hatte ein iranischer Drohnenangriff auf die weltweit größte Ölraffinerie in Saudi-Arabien Schlagzeilen gemacht. Die saudische Führung reagiert auf Anfragen von US-Medien bisher nicht, aber beide Länder kämpfen im Jemen seit 2015 schon in einem Stellvertreterkrieg gegeneinander.

Iran: Die aufstrebenden Handlanger von Putin und Xi

Für den Iran würde ein großer Krieg gegen Saudi-Arabien aber derzeit nicht wirklich Sinn ergeben, weil er mit einer Reaktion der US-Streitkräfte rechnen müsste. Einige US-Analysten warnten zwar davor, dass Riad einem möglichen Angriff Teherans mit Drohnen und Raketen nicht viel entgegenzusetzen habe.

Aber diese Analyse ist bemerkenswert: Immerhin investiert Saudi-Arabien seit Jahren mehr als doppelt so viel in sein Militär als der scharf sanktionierte und international isolierte Iran. Außerdem wird Riad vom Westen mit moderner Militärtechnik ausgerüstet. Lediglich die saudische Armee hat international den Ruf, operativ nicht wirklich leistungsfähig zu sein.

Die einzige Motivation für Teheran, Ziele in Saudi-Arabien anzugreifen, wäre ein Ablenkungsmanöver im Angesicht der Proteste. Seit Wochen demonstrieren im Iran landesweit Tausende gegen den repressiven Kurs der Regierung sowie das islamische Herrschaftssystem. Auslöser der systemkritischen Massenproteste war Mitte September der Tod der 22 Jahre alten iranischen Kurdin Mahsa Amini. Die Sittenpolizei hatte sie festgenommen, weil sie gegen die islamischen Kleidungsvorschriften verstoßen haben soll. Die Frau starb am 16. September in Polizeigewahrsam. Seitdem toben im ganzen Land heftige Proteste mit zahlreichen Todesopfern. Der Iran beschuldigt Saudi-Arabien und die USA, die Demonstrationen angezettelt zu haben.

Demnach könnte das Regime einen äußeren Konflikt schüren, um die nationale Front gegen diesen Feind zu schließen. Aber reicht das aus als Grund für einen Krieg? "Wir können nur spekulieren, weshalb Riad jetzt entsprechende Information öffentlich machte", sagte die Iran-Expertin Sanam Vakil der "Deutschen Welle". Sicher stehe die Regierung in Teheran wegen der Massendemonstrationen unter Druck. Doch ihre Macht sei nicht wirklich gefährdet. In dieser Situation einen Angriff auf Saudi-Arabien zu unternehmen, ergebe aus ihrer Sicht "keinen Sinn".

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Ohnehin scheint aus der Sicht des Mullah-Regimes die Zeit auf seiner Seite zu sein. Nachdem der russische Präsident Wladimir Putin seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat, scheint erneut eine multipolare Weltordnung zu entstehen. Der Iran steht auf der Seite Russlands und Chinas und hofft so auf ein Ende der internationalen Isolation. Das Kalkül könnte aufgehen, denn Russland und China investieren bereits in iranische Infrastruktur und das Mullah-Regime revanchiert sich mit Drohnenverkäufen an Moskau.

"Heute verlieren westliche Mächte allmählich ihre politische, wissenschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Dominanz. Diese Dominanz wird in der neuen Weltordnung vom Westen nach Asien verlagert", schrieb der oberste iranische Führer Ali Chamenei am Sonntag auf Twitter. "Asien wird zum Zentrum von Wissenschaft und Wirtschaft, aber auch zur politischen und militärischen Macht der Welt." Das ist lediglich Propaganda, die jedoch zeigt, dass der Iran vom internationalen Chaos profitieren will.

Politisch oder militärisch? Hoffnungen auf einen Regime-Wechsel

Und die USA? Könnten sie den Iran präventiv angreifen? Die Vereinigten Staaten und der Iran machen seit Jahren kein Geheimnis aus ihrer Feindschaft. Nun, da die iranische Führung den russischen Angriffskrieg in der Ukraine offensichtlich unterstützt und zugleich brutal gegen Protestierende im eigenen Land vorgeht, konzentriert sich Washington immer weiter auf ein klares Ziel: einen Regimewechsel im Iran.

Klar. Eine Stärkung des Mullah-Regimes möchten die USA und ihre Verbündeten Israel und Saudi-Arabien um jeden Preis verhindern. Durch die Proteste ist die iranische Führung geschwächt, aber wäre das für die Vereinigten Staaten eine gute Chance, um den Iran anzugreifen?

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"Wir sind besorgt über das Bedrohungsbild und bleiben über Militär- und Geheimdienstkanäle in ständigem Kontakt mit den Saudis", sagte der Nationale Sicherheitsrat in Washington in einer Erklärung. "Wir werden nicht zögern, unsere Interessen und Partner in der Region zu verteidigen." Das ist aber eher eine Demonstration der Stärke und als Säbelrasseln zu werten. Es ist keine Kriegserklärung. Offiziell gab der US-Sondergesandte für den Iran, Rob Malley, aber bereits zu, dass die Biden-Regierung die Proteste und damit einen Regime-Wechsel in Teheran unterstützt.

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Neben der Gefährdungslage für die Amerikaner und ihre Verbündeten in der Golfregion spricht für einen US-Angriff auf den Iran vor allem der Ärger im Westen über die Lieferung von Kamikaze-Drohnen an Russland, die in der Ukraine sehr viel Leid über die Zivilbevölkerung bringen. Außerdem werfen die USA und Israel Teheran vor, weiter an seinem Nuklearprogramm zu arbeiten, um sich Atomwaffen anzueignen. Sollte das zutreffend sein, ist es nur eine Frage der Zeit, bis Israel oder die Amerikaner intervenieren. Eine Lösung ist nicht in Sicht, das Atomabkommen liegt auf Eis.

In den USA wird die Notwendigkeit eines Angriffes auf den Iran schon seit Jahrzehnten diskutiert. "Die europäischen Staats- und Regierungschefs, die über Donald Trumps einseitigen Ausstieg aus dem Atomabkommen unzufrieden waren, erhalten eine nützliche Erinnerung daran, dass der wahre Bösewicht auf diesem Bild im Zentrum von Teheran lebt, nicht in Mar-a-Lago", schrieb etwa der US-Journalist Bobby Ghosh vergangene Woche in der "Washington Post". Ein Regime-Wechsel im Iran hätte für Washington vor allem auch den Vorteil, dass dadurch Russland und China einen wichtigen Verbündeten im Nahen und Mittleren Osten verlieren würden.

Trotzdem sprechen viel gewichtigere Punkte gegen einen US-Angriff auf den Iran. Zunächst einmal ist die US-Bevölkerung nach zahlreichen Konflikten seit dem Zweiten Weltkrieg kriegsmüde. Vielen Menschen in den USA fehlt die Einsicht dafür, dass US-Bürger für geostrategische Ziele an weit entfernten Orten sterben.

Fehlende Mobilisierungsmöglichkeiten in den Vereinigten Staaten wären ein großes Problem für die Biden-Administration. Immerhin könnte der US-Präsident bei den anstehenden Zwischenwahlen innenpolitisch seiner Handlungsfähigkeit beraubt werden. Die USA sind durch die Spannungen im Land auch weiterhin mit sich beschäftigt. Kein gutes Fundament, um Krieg zu führen.

Es gibt in Washington zwar einige Hardliner, die schon lange einen Iran-Krieg fordern, aber diese sind in der Regierung von US-Präsident Joe Biden in der Minderheit. Die Haltung, in einen Krieg zu ziehen, um Saudi-Arabien zu verteidigen, ist dagegen auch unter Hardlinern umstritten. Denn auch das Verhältnis zwischen den USA und Saudi-Arabien ist momentan belastet, da die saudische Führung ihre Ölförderung gedrosselt hat, um den Weltmarktpreis zu erhöhen. Davon profitiert Russland.

Fokus auf Ukraine-Krieg

Letztlich – und das ist wahrscheinlich der gewichtigste Punkt gegen einen Krieg – fokussiert sich die US-Regierung aktuell auf den Ukraine-Krieg und auf den geopolitischen Konflikt mit China. Einen direkten Krieg in der Golfregion, der Ressourcen und Kapital bindet, wäre für Biden auch eine innenpolitische Kraftanstrengung.

Die Golfregion ist zwar ein Pulverfass und es könnte zu einem erneuten Krieg kommen. Das ist allerdings nicht das wahrscheinlichste Szenario. Viel wahrscheinlicher ist es, dass die USA die Proteste im Iran weiterhin politisch und auch finanziell verstärkt unterstützen. Darüber hinaus könnte die Drohung eines US-Angriffs ausreichen, damit Teheran Waffen, die man zur Verteidigung benötigen würde, nicht an Putin verkauft. Das wäre im Sinne des Westens.

Große Sorge vor einem Krieg scheint es auch in der Bundesregierung derzeit nicht zu geben. Zwar forderte das Auswärtige Amt deutsche Staatsbürger dazu auf, den Iran zu verlassen. Aber das geschah wegen der Proteste und weil das Mullah-Regime westlichen Diplomaten gegenüber zunehmend feindlich eingestellt ist. "Eine regionale Eskalation Irans in Reaktion auf innenpolitische Entwicklungen wäre fatal. Das Auswärtige Amt nimmt daher Hinweise zu regionalen Bedrohungen durch Iran sehr ernst", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes gegenüber t-online.

Sicher ist: Einen weiteren Krieg, der die Welt weiter in Chaos stürzt, braucht im Westen aktuell niemand – auch Deutschland nicht.

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