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Ukraine-Krieg | EU-Sanktionen gegen Russland: Das Dilemma des Westens


Sanktionen gegen Russland
Darüber kann Putin nur herzhaft lachen

MeinungVon Wladimir Kaminer

Aktualisiert am 27.02.2023Lesedauer: 4 Min.
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Wladimir Putin: Solange Russland "Freunde" hat, werden die westlichen Sanktionen kaum greifen, sagt Wladimir Kaminer.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Solange Russland "Freunde" hat, werden die westlichen Sanktionen kaum greifen, sagt Wladimir Kaminer. (Quelle: Kremlin Pool/dpa)

Mit einem Wirtschaftskrieg will der Westen Russland zur Räson bringen. Wladimir Putin tut das aber nicht sonderlich weh, schließlich hat er "Freunde". Meint Wladimir Kaminer.

Die Schlagzeile "Die EU hat sich auf ein zehntes Sanktionspaket gegen Russland geeinigt" beindruckte mich in der letzten Woche – und sorgte zugleich für eine gewisse Verwunderung. Irgendetwas muss mit diesen Sanktionen nicht stimmen, auch wenn ihre Wucht als groß erscheint.

Zehn Sanktionspakete der Europäischen Union in einem Jahr! Damit hat das Regime im Kreml seine neuen Freunde, den Iran und Nordkorea, hinter sich gelassen und mit Recht einen Platz im Guinness-Buch der Rekorde verdient: als am meisten sanktionierter Staat der Welt, der am wenigsten von den Sanktionen etwas merkt. Alle zehn Pakete scheinen an Russland vorbeizufliegen.

(Quelle: Frank May)

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Kürzlich erschien sein neues Buch "Wie sage ich es meiner Mutter. Die neue Welt erklärt: von Gendersternchen bis Bio-Siegel".

Warum ist das so? Zu Beginn des Krieges war die Empörung über den russischen Überfall auf die Ukraine allgegenwärtig. Wir machen keine Geschäfte mit Mördern, beschloss die EU. Die groß angekündigten Sanktionen der westlichen Welt sollten das Regime im Kreml schwächen, dessen Kassen leer spülen und den Angriffskrieg gegen die Ukraine in eine für den Staat auf Dauer nicht tragbare Investition verwandeln.

Infolge der Sanktionen hatten mehrere ausländische Konzerne, unter anderem auch deutsche Firmen, angekündigt, ihre Standorte in Russland aufzugeben. Die westliche Presse schrieb von einem "Exodus der ausländischen Firmen". Heute, knapp ein Jahr nach Beginn des Überfalls, stellen wir fest, dass nur etwa acht Prozent der westlichen Firmen Russland komplett verlassen haben. Die meisten, die weggingen, waren amerikanische und japanische Firmen, unter den Gebliebenen steht Deutschland auf Platz 1.

Der Westen auf dem Holzweg?

Auch die EU-Sanktionen greifen noch immer nicht ausreichend, die Weltmärkte werden weiterhin mit russischem Öl und Gas gefüllt, diese Güter kommen auf Schleichwegen über Indien und die Türkei zu ihrem altbekannten Otto-Endverbraucher, bloß teurer. Die Gründe dafür liegen inzwischen auf der Hand.

Zum einen hat der Westen seine Möglichkeiten für eine wirtschaftliche Blockade Russlands überschätzt. Das Land ist zu groß und die Welt draußen zu zersplittert. Solange solche Großwirtschaften wie China, Indien und die Türkei Sanktionen nicht unterstützen, ergeben sie keinen Sinn. Zum anderen ist Ethik mit Kapitalismus oftmals schwer zu vereinbaren.

Das oberste Ziel eines kapitalistischen Betriebes ist nicht die Verbreitung demokratischer Werte, sondern die Vermehrung des Kapitals. Wird das Kapital dagegen vernichtet, geht der Betrieb pleite. Und der russische Präsident hat den Firmen des Westens den Abschied aus Russland selbstverständlich so schwer wie möglich gemacht. Sie mussten ihre Aktiva für "umsonst" dalassen oder zu einem Spottpreis verkaufen: So hat Renault sein Russlandgeschäft für einen symbolischen Rubel verkauft.

Auch die deutschen Autobauer mussten funktionsfähige, mit Mühe und Liebe gebaute Autobetriebe in Russland stehen lassen und die Milliardenkosten als Kollateralschaden des Krieges abschreiben. BASF ist gegangen und Siemens ist gegangen, mit großem Verlust.

Das Dilemma des Westens

Meine Freundinnen und Freunde in Moskau, die für diese Firmen gearbeitet haben, sind arbeitslos geworden. Ikea und McDonald's, Coca-Cola und Jack Daniels haben Russland verlassen. Ihre Aktiva werden nun zur Kriegsbeute derer erklärt, die den Krieg unterstützt haben. Mit der Übernahme westlicher Betriebe werden die heimischen Firmen ausgezeichnet, die ihre Loyalität gegenüber dem Regime im Kreml unter Beweis stellen – und zum Beispiel ihre Mitarbeiter für die Teilmobilisierung frei machten.

Der westliche Kapitalist steht im heutigen Russland vor einem Dilemma: Wie soll er genau wissen, wo sein Profit endet und eine Straftat möglicherweise beginnt? Zum Beispiel Beihilfe zum Mord an unschuldigen Zivilisten in der Ukraine? Ich weiß, dass viele der Dagebliebenen sich diese Frage stellen. Und ihre Motive fürs Bleiben mit allgemeinmenschlichen Werten erklären. Die Kriege kommen und gehen, die Menschen bleiben.

Und sie brauchen uns, sagen die Gebliebenen. Die österreichische Raiffeisenbank ist geblieben, die Russen haben viele Hypotheken aufgenommen. Bayer ist geblieben, die Russen brauchen Aspirin. Meine arbeitslosen Freunde in Moskau berichten, dass durch den Rückzug der westlichen Firmen eigentlich überhaupt keine Produkte verschwunden sind. Die anderen Hersteller füllen sofort die Marktlücken oder die Waren werden auf Umwegen geliefert.

McDonald's-Filialen hat ein Gastronom aus Nowosibirsk übernommen, manchmal ist bei dem neuen Menü die Sauce etwas schimmelig und die Pommes sind pelzig, aber sonst hat sich außer dem Namen nichts im Laden geändert. Und sogar Jack Daniels, das Lieblingsgetränk der Russen, kommt regelmäßig aus Indien. Cola wird zu Hälfte aus Afghanistan importiert und hat jetzt viele neue Namen: Jumbo Cola, Cool Cola, Dubl Cola, Bombilo Cola, die wirklich "echte" kommt aber nur aus dem Iran. Das wissen inzwischen alle Cola-Trinker.

Sie wird von Khoshgovar Tehran Co. hergestellt, wohl nach dem "originalen US-Konzentrat". Die modernste Technik der westlichen Welt kann man hingegen zwar mit chinesischen Doppelgängern ersetzen, muss man aber nicht. Die neuesten Smartphone-Modelle werden fleißig geschmuggelt und im Koffer nach Russland geflogen. Auf diese Weise werden die Smartphones zollfrei und kosten 20 Prozent weniger.

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