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Nemzow-Tochter bei Günther Jauch: "Diktatur in Russland"


Nemzow-Tochter bei Jauch
"Wir haben eine Diktatur in Russland"

t-online, von Julian Moering

09.03.2015Lesedauer: 4 Min.
Die Tochter des ermordeten Boris Nemzow, Zhanna Nemzowa, war zu Gast bei Günther Jauch.Vergrößern des BildesDie Tochter des ermordeten Boris Nemzow, Zhanna Nemzowa, war zu Gast bei Günther Jauch. (Quelle: Müller-Stauffenberg/imago-images-bilder)
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Wladimir Putin ist vieles. Er ist bekennender Teetrinker, Waffenliebhaber, Chauvinist und Machtmensch. Er hat beim KGB gearbeitet und ist seit geraumer Zeit Präsident des größten Landes der Welt. Somit ist er auch Oberhaupt der nominell größten Demokratie. Daran, dass er auch ein großer Demokrat ist, zweifeln jedoch in Zeiten der Ukraine-Krise und nicht zuletzt nach dem Mord an Kreml-Kritiker Boris Nemzow viele. "Putins Russland – auf dem Weg zur Diktatur?", fragte Günther Jauch in seinem Sonntagabend-Talk in der ARD. Müssen Andersdenkende in Russland um ihr Leben fürchten?

Diskutiert haben zu diesem Thema der ehemalige Schachweltmeister und Putin-Gegner Garri Kasparow, die ehemalige Leiterin des ARD-Studios Moskau, Ina Ruck, der Vorsitzende des deutsch-russischen Forums, Matthias Platzeck, Nemzow-Freund Alfred Reingoldowitsch Koch und der langjährige Deutschlandkorrespondent für das russische Fernsehen, Wladimir Kondratiew.

Der interessanteste Gast des Abends war aber zweifelsohne Zhanna Nemzowa, Tochter des vor etwas über einer Woche in der Nähe des Kremls erschossenen Boris Nemzow. In Trauer gekleidet zeichnete die 30-jährige Wirtschaftsjournalistin ein düsteres Bild ihres Heimatlandes. Für sie steht fest: "Ja, wir haben eine Diktatur in Russland."

Ihr Vater war ein führender Kopf der Opposition und erbitterter Gegner Putins. Mit dem Mord an Nemzow habe der Kreml, und von seiner Schuld ist Nemzowa fest überzeugt, "die rote Linie überschritten". Putin habe ihren Vater ermorden lassen, weil er ihm gefährlich wurde.

"Ein Diktator"

Auch Kasparow, der fast schon konspirativ per instabiler Videokonferenz aus dem Exil in New York ins Studio geschaltet wurde, hegt keinen Zweifel daran, dass die russischen Machthaber hinter dem Mord an seinem ehemaligen politischen Weggefährten stecken. "Ein Diktator", so bezeichnete Kasparow Putin konsequent während des ganzen Gesprächs, "hat immer die Verantwortung für die Vernichtung seiner Gegner, auch wenn er den Befehl nicht direkt erteilt hat".

Der russische Präsident als Auftragsmörder? Wenn dem tatsächlich so ist, ist der Weg zur Diktatur wahrlich nicht mehr weit. Putin streitet unterdessen jede Beteiligung am Mord Nemzows kategorisch ab und verspricht schnelle Aufklärung. Fünf Verdächtige, allesamt aus dem Kaukasus, wurden bereits festgenommen. Einer soll gestanden haben. Doch General Igor Krasnow, der die zwölfköpfige Sonderkommission leitet, ist ein alter Weggefährte und Vertrauter Putins. Was kann man Putin und den Ermittlungsbehörden also glauben?

Zehn ermordete Putin-Kritiker in zehn Jahren

"Wir werden die Wahrheit nie erfahren", sagte Nemzowa. Nicht ganz unbegründet. Zwischen 2003 und 2013 starben bereits zehn Putin-Kritiker, teils unter mysteriösen Umständen. Die bekanntesten Fälle waren die von Journalistin Anna Politkowskaja und Nachrichtendienstler Alexander Litwinenko. Politkowskaja berichtete unter anderem aus dem Tschetschenien-Krieg über russische Kriegsverbrechen und wurde 2006 im Treppenhaus zu ihrer Wohnung erschossen. Litwinenko, der dem Geheimdienst Anstiftung zum Mord vorwarf, starb ebenfalls 2006 an den Folgen einer Polonium-Vergiftung. Bei keinem der zehn Fälle wurde bis heute der Auftraggeber ermittelt.

Auch Frau Ruck, die lange Jahre während des Putin-Regimes in Moskau gelebt hat, geht nicht davon aus, dass der Fall Nemzow aufgeklärt wird. "Es gibt keine unabhängige Justiz in Russland", sagte die Journalistin. Das Land sei "weit entfernt von einem Rechtsstaat".

"Ist Kritik an Putin also lebensgefährlich?", fragte Jauch in Richtung von Nemzow-Freund Koch, der aus Angst vor einer Strafverfolgung mittlerweile in Deutschland lebt. Niemand, der sich gegen Putin stellt, sei noch sicher, so Koch. Nemzow habe ihm noch am Tag seiner Ermordung gesagt, dass er Angst habe, Putin könne ihn umbringen lassen. Auch Koch selbst habe große Angst, dass er der nächste sei.

Aber warum lassen die Russen Putin in diesem Maße gewähren? Warum wehrt sich niemand? Weil "niemand weiß, was wirklich passiert", sagte Nemzowa. Das liege daran, dass Putin das Fernsehen kontrolliere. "Die Medien geben den Ton an und da fließt jede Menge Hass heraus", stellte auch Ruck fest. Selbst der so um Deeskalation bemühte Platzeck bekannte: "Im russischen Fernsehen wird ungute Stimmung erzeugt."

Keine unabhängige Presse

Eine Behauptung, der nicht einmal der russische Fernsehjournalist Kondratiew widersprechen wollte. Er stellte lediglich fest, dass der Hass nicht "nur" vom Fernsehen, sondern auch von der Opposition reingebracht werde. Ob der Sender NTW, für den Kondratiew arbeitet, unabhängig sei, wollte Jauch wissen. "Im Großen und Ganzen schon", antwortete der 67-Jährige in perfektem Deutsch. Hier und da betreibe man "Selbstzensur", wie man das eben so macht. Nach journalistischer Unabhängigkeit klingt das wahrlich nicht.

Im Übrigen glaube er nicht, dass Putin etwas mit der Ermordung Nemzows zu tun habe. Dann doch viel eher die Islamisten aus dem Kaukasus. Schließlich habe Nemzow mal was zu Charlie Hebdo gesagt, das habe die Moslems bestimmt verärgert. Harter Tobak.

Putin, der Bösewicht – so jedenfalls die mehrheitliche Meinung bei Jauch. Und ganz ehrlich: Betrachtet man den Fall Nemzow eingehend, ist es schwer, das nicht zu glauben. Was sollen wir also tun? Wie sollen wir, der Westen, künftig mit Russland umgehen? Bei Jauch gab es darauf keine Antworten, denn er hat diese Fragen gar nicht erst gestellt. Warum, weiß der Teufel.

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