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Nordkorea-Flüchtlinge im Interview: "Die Menschen müssen die Wahrheit erfahren"


Flüchtlinge berichten aus Nordkorea
"Die Menschen müssen die Wahrheit erfahren"

InterviewEin Interview von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 09.06.2019Lesedauer: 7 Min.
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Kim Chul Seung und Kim Jung Hyun zu Gast in Berlin-Hohenschönhausen: In Südkorea betreiben beide einen Radiosender, der Informationen nach Nordkorea senden soll.Vergrößern des Bildes
Kim Chul Seung und Kim Jung Hyun zu Gast in Berlin-Hohenschönhausen: In Südkorea betreiben beide einen Radiosender, der Informationen nach Nordkorea senden soll. (Quelle: T-Online-bilder)

Die Flucht aus Nordkorea ist schwierig. Flüchtlingen droht Vergewaltigung, Folter und Tod. Kim Chul Seung und Kim Jung Hyun haben es trotzdem geschafft und geben im Interview seltende Einblicke in ein Schreckensregime.

Kim Chul Seung war als Bauingenieur beteiligt am Aufbau von Arbeitslagern in Nordkorea und floh 1991 aus dem Land. Kim Jung Hyun war Sprecherin des Propaganda-Apparats in Nordkorea und entkam 2008 aus der Kim-Diktatur.

Eine Flucht aus Nordkorea ist eine endgültige und gefährliche Entscheidung. Warum haben Sie sich für die Flucht aus Ihrer Heimat entschieden?

Kim Jung Hyun: Durch die Hungersnot unter Kim Jong-il bin ich aufgewacht. Mein Mann ist 2001 an Krankheit gestorben. Mein Vater und mein Sohn starben an Hunger. Der Hunger und Tod waren die Hölle. Von Nachbarn waren auf einmal nur noch Leichen übrig und die Leichen häuften sich. Die Menschen begannen aus Not Menschenfleisch zu essen und die Millionen Todesopfer waren eine Lektion für mich. Dennoch hat Kim Jong-il entschieden, dass Flüchtlinge alle gefoltert und erschossen werden sollten. Aber ich wollte nicht wertlos an Hunger sterben und träumte von einem besseren Leben. Deshalb habe ich mich entschieden es zu versuchen.

In Nordkorea genießt das Militär eine herausragende Stellung. Was ist mit Ihrem Sohn passiert?

Kim Jung Hyun: In Nordkorea müssen alle Männer mindestens zehn Jahre beim Militär sein. Ich komme aus einer Soldatenfamilie. Mein Vater war Offizier und mein jüngerer Sohn Soldat. Ich hatte zwei Söhne, aber einer ist mit 21 Jahren beim Militär verhungert. In Nordkorea verhungern auch Soldaten und ihre Familien. Die Rationen sind unzureichend, weil die Vorgesetzten sich Essen abzweigen. Deswegen kommt bei den einfachen Soldaten zu wenig an. Kein nordkoreanischer Soldat kann dort überleben, ohne zu stehlen. Die Soldaten müssen auch harte Arbeit verrichten. Mein anderer Sohn (27) ist auch geflohen und lebt mit mir zusammen in Südkorea.

Wie lief Ihre Flucht ab?

Kim Jung Hyun: Ich habe im Propagandabereich als Sprecherin gearbeitet. In einer solchen Position war es noch gefährlicher zu fliehen und das Heimatland zu verraten, denn das Regime will verhindern, dass Informationen über die Propaganda nach außen gelangen. Ich bezahlte einen Schleuser, der Flüchtlinge aus dem Land bringt. Ich bin über den Fluss Tumen nach China gekommen. Das ist ziemlich gängig. Aber die Aufgabe der Schleuser ist nicht, die Menschen nach Südkorea zu bringen, sondern nur aus Nordkorea heraus. In China ist man dann auf sich allein gestellt. Meine erste Flucht ging schief, bei meinem zweiten Versuch bin ich über Laos nach Südkorea gekommen. Meine zweite Flucht dauerte vier Jahre und 2012 war ich erst in Südkorea. Es war ein schwieriger Weg, nordkoreanische Flüchtlinge führen immer noch ein miserables Leben in China. Sie müssen sich verstecken und dürfen nicht arbeiten.

Kim Chul Seung: Ich bin 1991 nach Russland geflohen. Dort hab ich in Sibirien als Holzfäller gearbeitet und bin dann 1993 nach Südkorea gekommen.

Also waren Sie in China keinesfalls sicher?

Kim Jung Hyun: Nein. Die Gefahr der Flucht endet nicht beim Überqueren der nordkoreanischen Grenze. China erkennt nordkoreanische Flüchtlinge nicht an und es gab Kopfgeld für jeden, der einen Flüchtling an die Behörden verrät. Die Flüchtlinge werden nach Nordkorea zurückgeschickt. So ging es auch mir. Ich wurde zurückgeschickt und kam in ein Arbeitslager.

Im Westen hören wir immer wieder Horrorgeschichten von diesen Gefangenen- und Internierungslager in Nordkorea. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Kim Jung Hyun: Nach meiner Verhaftung und der Rückkehr nach Nordkorea wurde ich sechs Monate in einem Arbeitslager inhaftiert. Folter und Tötungen habe ich dort zum Glück nie gesehen.

Kim Chul Seung: Ich war nie als Gefangener in einem Arbeitslager, aber als Ingenieur half ich vor Ort bei dem Aufbau und der Planung eines Erziehungslagers, in dem auch viele politische Gefangene waren. Es gibt drei verschiedene Arten von Gefangenenlager in Nordkorea. Über die Arbeitslager weiß eigentlich die ganze Bevölkerung Bescheid. In den Lagern wird man aber nicht hingerichtet, sondern die Menschen sterben an Hunger oder an den Verletzungen aus Misshandlungen und Folter. Zweitens gibt es die Erziehungslager, von denen ein großer Teil der Nordkoreaner weiß. Jedoch kennt man keine Details und weißt nicht, was sich im Innern abspielt. Drittens gibt es Lager für politische Verbrechen. Dort werden Menschen einfach getötet. Aber wie die Leute dort sterben ist nicht bekannt. Die Gewalt und Grausamkeit in allen drei Lagertypen sind allgegenwärtig. Es gibt viele Menschen, die dort sterben und es gibt auch Verbrennungsöfen für die Leichen.

Wurden Sie Zeuge von Gräueltaten in den Lagern?

Kim Chul Seung: Es gibt viele Arten des Tötens, aber die Regierung möchte nicht, dass Gerüchte entstehen. Deswegen werden Menschen beispielsweise in den Wald entführt und dann mit einem Stahlhammer von hinten erschlagen. In einem Frauengefängnis, wo ich auch arbeitete, wurden die Leichen immer in einem Zelt gesammelt und erst wenn der Geruch sehr groß war, haben sie es geleert.

Das sind schreckliche Geschichten. Aber während Feiertagen und Militärparaden sieht man immer Menschenmassen, die Kim Jong Un zujubeln. Ist das nur Show?

Kim Jung Hyun: Die Veranstaltungen werden wochenlang vorbereitet und das Gebiet wird abgesperrt. Und durch die Strafen wird man gezwungen, mitzumachen. Zehn Prozent der nordkoreanischen Bevölkerung sind Parteikader, die auf die Verbindung mit der Regierung angewiesen sind. Bei denen ist der Jubel echt. Aber bei einem Großteil der Bevölkerung ist die Zuneigung gespielt. Die Menschen begehren trotzdem nicht auf. Die Kims haben in Nordkorea eine Vaterrolle und den Vater muss man respektieren. Man gilt als Held, wenn man in ein brennendes Haus rennt, um ein Bild des großen Führers zu retten. Wenn man den Führer hinterfragt, wird man direkt als Landes- oder Systemverräter deklariert. Gerechtigkeit bedeutet, für das Regime zu sein. Durch meine erste Flucht hatte ich das erste Mal die Möglichkeit, die Außenwelt zu sehen. Zurückgeschickte Flüchtlinge verbreiten die Wahrheit und langsam glauben die Menschen nicht mehr, dass Südkorea und die USA Schuld an dem Leid in Nordkorea sind.

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Gibt es in Nordkorea Anzeichen für sozialen Ungehorsam oder Protest?

Kim Jung Hyun: Es braucht Informationen, damit das System hinterfragt wird. Die Menschen haben den Wunsch nach Freiheit und dafür braucht es den Zugang zu internationalen Medien. Der Fall der Berliner Mauer war auch möglich, da die Menschen im Osten Informationen aus der BRD hatten. Nordkoreaner wissen zwar Bescheid über andere Länder, aber nicht im Detail. Die Kontrolle über Informationen ist entscheidend für den Bestand des nordkoreanischen Regimes. Dagegen müssen wir etwas unternehmen: Die Menschen müssen die Wahrheit erfahren.

Aber erreichen die Informationen überhaupt die nordkoreanische Bevölkerung?

Kim Jung Hyun: Das Regime kontrolliert Radios, Fernseher und sogar kleinere Video-/MP3-Player. Handys haben kein Bluetooth und keinen SD-Slot. Ein Anzeichen für Ungehorsam in Nordkorea äußert sich dadurch, dass die Menschen versuchen, heimlich westliches und nordkoreanisches Radio zu hören. Außerdem schmuggeln sie Radios oder transportieren versteckte Informationen mit Hilfe von kleinen Medien. Das aktuelle Handeln der USA ist nicht dagegen nicht effektiv, denn Sanktionen und Drohungen binden die Menschen nur an das Regime.

Auch Sie waren Teil des nordkoreanischen Systems. Hat die Propaganda bei Ihnen gewirkt?

Kim Jung Hyun: In Nordkorea wird man wie ein Tier konditioniert und einer Gehirnwäsche unterzogen. Bis vor meiner Flucht dachte ich, dass alle Länder ähnlich wie Nordkorea sind. Die Menschen werden darauf gedrillt, loyal zu sein. Auch ich war ein loyaler Mensch. Als Kind lernte ich den Hass auf die USA und dass die Kims die Retter unserer Nation sind. Viele Nordkoreaner teilen diesen Glauben. Die Kims gelten manchmal als gottgleiche Helden. Auf der anderen Seite können viele Menschen es nicht glauben, wenn sie Bilder sehen, auf denen amerikanische und südkoreanische Soldaten zusammenarbeiten. Sie sehen dann Südkorea nur als Marionette der USA.

Sie waren Sprecherin für die nordkoreanische Propaganda-Abteilung. Wie sah ihre Arbeit aus?

Kim Jung Hyun: Ich habe in einem Propagandalastwagen gearbeitet. Das war ein großer LKW, der mit Lautsprechern ausgestattet war. Unsere Aufgabe war es, vor Ort Propaganda zu machen. Meine komplette Ausbildung absolvierte ich in Nordkorea. Ich habe lange an die Propaganda geglaubt, die ich verbreitet habe.

Kim Jong Un und US-Präsident Donald Trump provozieren sich zunehmend gegenseitig. Hat die nordkoreanische Bevölkerung Angst vor einem Krieg?

Kim Jung Hyun: Die nordkoreanische Bevölkerung ist für eine friedliche Lösung, weil man sich der Konsequenzen eines Krieges absolut bewusst ist. Die Propaganda, in der viele Soldaten mutig und fröhlich in einen Krieg mit den USA stürmen, entspricht nicht der Wahrheit.

Glauben Sie nicht, dass Kim eine Atomrakete abschießen würde?

Kim Jung Hyun: Kim Jong Un ist auch kein Idiot. Es geht um Druckmittel und nicht um einen tatsächlichen Atomkrieg. Aber er ist auch eine sehr junge Person. Er und Donald Trump sind sich sehr ähnlich. Sie haben das Temperament von Rugby-Spielern. Wenn sie sich bedroht oder angegriffen füllen, kann niemand wissen, was passiert.

In Südkorea betreiben Sie einen Radiosender, mit dem sie die nordkoreanische Bevölkerung erreichen wollen. Was versprechen sie sich von diesem Projekt?

Kim Jung Hyun: Die Menschen müssen die Wahrheit über Nordkorea erfahren. Das Radio ist dabei eine Waffe und es ist aktuell das sicherste Medium für die Menschen in dem Land. Bei den Radios, die in Nordkorea erhältlich sind, lässt sich nur ein einziger staatlich kontrollierter Sender einstellen. Aber viele Geräte werden über China in das Land geschmuggelt oder die Menschen bauen sich eigene Radios aus Müll. Diese verstecken sie dann beispielsweise in Kartoffellöchern, um nachts südkoreanisches Radio zu hören. Die Regierung hat die Gefahr erkannt und es gibt Hinrichtungen oder die Inhaftierung in Arbeitslagern, um Exempel zu statuieren. Doch die Menschen hören in Nächten heimlich Musik oder schauen westliche Filme. Während des Autofahrens hören die Menschen heimlich Radio. Seeleute hören südkoreanische Sender, mit der Ausrede, Informationen über das Wetter bekommen zu müssen. Der Konsum von Filmen und Radio hat auch in mir die Sehnsucht nach dem Kapitalismus gestärkt. Mit unserem "North Korea Reform Radio" möchten wir der nordkoreanischen Bevölkerung die Wahrheit über die Kim-Diktatur erzählen, so dass das Vertrauen in Freiheit und Wiedervereinigung am Ende triumphiert.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel erschien erstmals am 14.11.2017.

Verwendete Quellen
  • eigene Recherchen
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