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Attentat auf Pelosi: Wie können sich die USA so radikalisiert haben?


USA nach dem Pelosi-Attentat
Wie kann ein Land nur so werden?

  • Bastian Brauns
MeinungVon Bastian Brauns, Washington

Aktualisiert am 01.11.2022Lesedauer: 4 Min.
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Mann von Nancy Pelosi angegriffen: Der Täter drang in das Haus der Politikerin ein. (Quelle: Reuters)

Gewalt ist in den USA inzwischen ein gesellschaftsfähiges politisches Mittel. Die Folgen sind unabsehbar.

Wie kann ein Mensch nur so werden? Diese Frage stellt sich nach der gewaltsamen Attacke auf den 82-jährigen Paul Pelosi, den Mann der US-Politikerin Nancy Pelosi. Nach einem politisch motivierten Anschlag im eigenen Haus, bei dem er nur knapp mit dem Leben davonkam, liegt er mit einem Schädelbruch noch immer auf der Intensivstation.

Die Frage, wie ein Mensch nur so werden kann, richtet sich natürlich an den Attentäter. Aber sie richtet sich auch an Donald Trump Junior, 44 Jahre alt, Sohn des Ex-Präsidenten Donald Trump und Betreiber eines Instagram-Kontos, dem mehr als sechs Millionen Nutzer folgen.

Trump Junior machte sich bei Instagram über die gewaltsame Attacke lustig, indem er das Foto eines fiktiven Halloween-Kostüms verbreitete, das aus einer Unterhose und einem Metallhammer besteht. Paul Pelosi hatte eine Unterhose getragen, als er nachts überfallen wurde. Mit einem Hammer hatte der Attentäter David DePape auf seinen Kopf eingeschlagen.

Doch damit war die Geschmacklosigkeit noch nicht vorbei. Trump Junior postete auch einen Comic, der Paul Pelosi beim Analverkehr mit dem Attentäter zeigt. In der einen Hand schwingt Pelosi darauf einen Hammer, in der anderen hält er ein Telefon, mit dem er die Polizei ruft und über einen angeblichen Überfall klagt. Die Aussage des Comics: Alles nur inszeniert, Paul Pelosi hatte nur Streit mit seinem Liebhaber.

Ja, wie kann ein Mensch nur so werden?

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Verrohung und Verharmlosung

Die Antwort lautet: Ein derartiger moralischer Niedergang ist in den USA inzwischen deshalb möglich, weil Geschmacklosigkeiten längst zum politischen Alltag gehören. Es ist seit Langem die Strategie von Trumps Sohn und vielen anderen Republikanern, Entgleisungen zu verbreiten, die hinterher im Zweifel nur Spaß gewesen sein sollen. In Wahrheit geht es um Empathieverlust, Entgrenzung und Gewaltverharmlosung.

Es scheint, als habe Donald Trump Junior mit seiner Aktion nun die nächste Radikalitätsstufe erreicht. Schließlich befeuert sie Personen wie den Pelosi-Attentäter. Es spricht einiges dafür, dass David DePape im Zweifel eine vereinsamte, verwahrloste Existenz ist. Über diese Menschen lässt sich, wenn sie – wie jetzt geschehen – tatsächlich losschlagen, bequem sagen: Das war die Tat eines gestörten Einzeltäters, damit haben wir nichts zu tun!

Es ist immer schwer, im Falle eines Anschlags eine direkte Verbindung zur politischen Hetze im Vorfeld zu ziehen, und das nutzt Trump Junior genauso aus wie sein Vater. Was dagegen offensichtlich ist: Die politische Gewaltbereitschaft in den USA nimmt zu.

Trotz der allgemeinen Polarisierung in den USA liegt die Hauptverantwortung für die Radikalisierung nicht bei den Demokraten, sondern den Republikanern. Sie machen nicht nur immer wieder Opfer verächtlich, sondern haben auch andere perfide Methoden entwickelt.

  • Fast immer geht es darum, Zweifel an der Funktionsfähigkeit der Institutionen zu säen. Letztlich wird ihre Glaubwürdigkeit dadurch untergraben. Mal ist es der angebliche Betrug bei Wahlen. Im Fall von Pelosi sind es die Ermittlungen der Polizei zu dem Vorfall, die man nicht abwarten will. Deshalb werden Gerüchte, Verschwörungstheorien und andere nicht belegte Mutmaßungen verbreitet. Wenn das Ergebnis der professionellen Ermittler später nicht zur eigenen politischen Agenda passt, sind zur Not korrumpierte Beamte schuld.
  • "Wir stellen nur Fragen" ist ein verräterischer Satz, hinter dem man sich gut verstecken kann. In aufgeklärten Gesellschaften sollte niemand blind glauben, was die Politik einem auftischt. Aber die Bürger werden eben auch nicht ständig belogen. Was die Trumpisten durch ihr permanentes "Wir stellen nur Fragen" aber bewirken, ist die Perversion des kritischen Staatsbürgers, der nichts und niemandem mehr glaubt, außer den Rattenfängern.
  • "Es gibt auch Gewalt von der politischen Linken" ist eine der häufigsten Reaktionen der Republikaner. Selbst bei ihren Vertretern, die die Attacke auf Paul Pelosi verurteilen, fehlt dieser Hinweis nicht. Zahlen belegen allerdings, dass ein Großteil der rasant steigenden politischen Gewalt aus dem rechten und nicht aus dem linken Spektrum stammt.
  • Zu schweigen und abzutauchen, nachdem man zuvor die gewaltbereite Stimmung befeuert hat, gehört zu den schlausten und zugleich fiesesten Methoden der Republikaner. Donald Trump hat sich zu dem Vorfall bislang nicht geäußert. Dabei ist gerade der Ex-Präsident für seine Ausfälle gegenüber Nancy Pelosi bekannt, bezeichnet sie verächtlich als "Nasty Nancy", also als böse Nancy. Trump hat durch seine Verbalattacken maßgeblich dazu beigetragen, sie zur politischen Zielscheibe Nummer eins zu machen.

Schwurbeln statt Staatsverantwortung

Das zeigen auch Aussagen des Attentäters. David DePape hält Nancy Pelosi nach eigenen Aussagen für die "Anführerin des Rudels" der angeblichen Lügner aus der Demokratischen Partei. Wäre sie zu Hause gewesen, hätte er sie zwingen wollen, "die Wahrheit" zu sagen. Wenn sie gelogen hätte, so DePape, hätte er sie als Geisel genommen. Mit dem Hammer wollte er laut Polizeiprotokoll ihre "Kniescheiben zertrümmern". Dann hätte sie "in den US-Kongress gefahren werden müssen", damit anderen Parlamentarier sehen, dass "Handlungen Konsequenzen" haben, so DePape laut Verhörprotokoll.

Der jüngste Fall zeigt in besonders brutaler Weise, dass Fakten im politischen Diskurs der USA inzwischen fast egal sind. Das Gift von Menschen wie Donald Trump und seinem Sohn wird sich weiter verbreiten. Auch in der Wirtschaft, wo man eher rationale Menschen vermuten könnte. Doch der Tesla- und Twitter-Chef Elon Musk twitterte zum Pelosi-Attentat: "Es gibt eine winzige Möglichkeit, dass hinter dieser Geschichte mehr steckt." Dazu verlinkte er einen Verschwörungsartikel mit der absurden Erzählung, die auch Donald Trump Junior als Comic verbreitete: Paul Pelosi, der in Wahrheit eine Affäre mit einem Mann hat und einen Streit mit seinem Liebhaber nun politisch instrumentalisiert.

Dafür gibt es nicht im Ansatz auch nur den geringsten Beleg. Es sind Schwurbeleien. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Geht die Entwicklung so weiter wie zuletzt, wird sich schon bald die Frage stellen: Wie konnte ein Land, das sich selbst für das großartigste der Welt hält, nur so werden?

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • instagram.com: Profil von Donald Trump Jr.
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