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USA und China: Staaten liefern sich nie dagewesenes Wettrüsten im Pazifik


Rekord-Wettrüsten der USA und China im Pazifik
Die Gefahr eines Ernstfalls nimmt zu

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns

Aktualisiert am 23.07.2023Lesedauer: 6 Min.
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Wettrüsten der USA und China im Pazifik: Die Sorge vor dem Ernstfall wächst.Vergrößern des Bildes
Wettrüsten der USA und China im Pazifik: Die Sorge vor dem Ernstfall wächst. (Quelle: Bastian Brauns)

Lange waren die USA die unangefochtene militärische Supermacht. Auf dem Meer aber hat die chinesische Marine die Amerikaner schon überholt. Ein nie dagewesenes Wettrüsten hat begonnen.

Bastian Brauns berichtet von der USS Carl M. Levin, Baltimore

Transparenz hat auch in den USA ihre Grenzen, gerade wenn das Militär involviert ist. "Seien Sie sich ganz sicher, wir zeigen Ihnen jetzt nicht alle unsere Spielzeuge", sagt darum Julie Ann Ripley. Mit Spielzeugen meint sie Waffen. Die Kommunikationsdirektorin für die Marinestreitkräfte der Pazifikflotte der Vereinigten Staaten steht am Kai vor einem brandneuen Zerstörer und zeigt auf dessen "extrem präzise Flugabwehrkanone". Aber eben nicht alle Systeme des Schiffes werden den Journalisten vorgeführt, die es an diesem Tag besichtigen. Sogar einem Fernsehteam aus China ist es gestattet, an Bord zu gehen.

Hier am Atlantik, im Hafen von Baltimore, eine gute Stunde nördlich von der Hauptstadt Washington entfernt, ist es in diesem Sommer so weit. Die "USS Carl M. Levin" bricht nach mehr als sechs Jahren Planungs- und Bauzeit zu ihrer ersten Mission auf. Ihr Ziel ist der Pazifik, genauer Pearl Harbour, Hawaii, einst Schauplatz des traumatischen Überalls der Japaner im Jahr 1941, der zum Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg führte.

Ein nie dagewesenes Wettrüsten zur See

Der neue amerikanische Zerstörer gehört zur Arleigh-Burke-Klasse, ist mehr als 150 Meter lang und rund 20 Meter breit. Die Kosten für das Schiff liegen bei rund drei Milliarden Dollar. Vom Stapel lief es in Maine, gebaut wurde es in der Werft von Bath Iron Works, einer Tochterfirma des Rüstungskonzerns General Dynamics. Der Zerstörer wurde nach einem ehemaligen demokratischen Senator aus Michigan benannt, der sich besonders stark für die Marine eingesetzt hatte. Die Schiffstaufe in Baltimore erlebt Carl M. Levin aber nicht mehr mit; er starb 2021.

Es ist eben ein langwieriges Projekt, das die USA mit ihren Seestreitkräften verfolgen. Schon 2015 wurde das Ziel für eine Flotte von mindestens 355 Schiffen ausgegeben. Neuere Pläne fordern sogar eine Flottenstärke von mehr als 400 Schiffen. Damit liefern sich die Amerikaner auf den Meeren der Welt ein nie dagewesenes Wettrüsten. Denn neben vielen anderen Nationen ist der Hauptgegner dieser beispiellosen Unternehmung klar: Auf keinem anderen Feld fordert China die USA derart heraus wie zur See.

"Mitten im maritimen Zeitalter"

Die Sorgen vor einem folgenschweren Wettrüsten, wie einst vor dem Ersten Weltkrieg zwischen dem Deutschen Kaiserreich, dem Vereinigten Königreich und Russland, sind daher groß. Selbst der Waffenwettlauf im Kalten Krieg mit der ehemaligen Sowjetunion konzentrierte sich mehr auf die Luft- und Landstreitkräfte. Im Pazifik wird es Anfang des 21. Jahrhunderts eng, denn neben China und den USA sind auch andere Mächte, wie etwa Indien, längst eingetreten in die riskanten Rivalitäten zur See.

Laut Angaben des International Peace Research Institute in Stockholm verdoppelten sich die Militärausgaben weltweit in den vergangen 20 Jahren von 1,12 Billionen Dollar auf 2,11 Billionen Dollar. Der Anteil für die Region Asien und Ozeanien ist dabei von 18 auf 28 Prozent gestiegen. Es wird unruhig im Stillen Ozean.

In diesem Sommer bringt dies der Vier-Sterne-Admiral Daryl Caudle bei einer Rede vor U-Boot-Industriearbeitern in Norfolk, im Bundesstaat Virginia, auf eine griffige Formel: "Wir befinden uns mitten im maritimen Zeitalter." Jahrzehntelang hätten die USA überall auf der Welt Handlungsfreiheit genossen "Aber wir leben heute in einer anderen Welt", so Caudle. Das Meer habe sich erneut zum Hauptschwerpunkt eines heftigen Wettbewerbs entwickelt. "Und noch nie stand so viel auf dem Spiel."

Und dann sagt der Admiral einen Satz, der für die lange unangefochtene Weltmacht im Grunde ein bitteres Eingeständnis ist: "Chinas Marine ist die größte der Welt." Irgendwann zwischen 2015 und 2020 nämlich sind die USA auf den Meeren zurückgefallen. Auch das Pentagon sagt das längst so klar.

Schon jetzt besitzt China rund 340 Überwasserkampfschiffe, U-Boote, hochseetaugliche Amphibienschiffe, Minenkriegsschiffe, Flugzeugträger und Flottenhilfsschiffe. In dieser Zahl sind weitere rund 85 Patrouillenboote und solche mit Anti-Schiffs-Marschflugkörpern noch gar nicht enthalten. Bis 2025 soll die Gesamtstreitmacht der chinesischen Marine laut Plan auf 400 Schiffe und bis 2030 sogar auf 440 Schiffe anwachsen.

Admiral Caudle sagt: "Die US-Marine besteht heute aus rund 295 Schiffen und wird in den kommenden Jahren auch bei dieser Zahl bleiben." Durch den strategischen Wettbewerb mit China wachse das Potenzial für strategische Konflikte stetig. "Wir können es uns nicht mehr leisten, weiterhin in Rückstand zu geraten."

Die schwächelnden Kapazitäten der US-Marine

Die USA hinken zahlenmäßig hinterher. In ihrem jährlich erscheinenden Report "Index of U.S. Military Strength" stuft die in Washington ansässige konservative Denkfabrik Heritage Foundation insbesondere die Kapazitäten der US-Marine als "sehr schwach" ein. Die Autoren gehen sogar von einem weiteren Schrumpfen der im Vergleich zu China deutlich älteren Flotte aus. "Das aktuelle und prognostizierte Finanzierungsniveau wird den Niedergang der Marine nicht aufhalten können, es sei denn, der Kongress unternimmt außergewöhnliche Anstrengungen, um die gesicherte Finanzierung für mehrere Jahre zu erhöhen", heißt es in der Studie.

Immerhin die Schlagkraft der amerikanischen Seestreitkräfte soll insgesamt noch immer besser als die der Chinesen sein. Das liegt auch an ihren derzeit elf Flugzeugträgern, drei weitere sollen bis 2032 fertiggestellt sein. Aber auch hier holt China auf. Nachdem vor Kurzem der dritte in den Dienst gestellt wurde, soll demnächst schon Pekings vierter Flugzeugträger vom Stapel laufen. Was die Amerikaner aber nach wie vor besser können: ihre Land-, See- und Luftstreitkräfte und die dazugehörigen Systeme zu vernetzen und zu koordinieren. Im Ernstfall, wie etwa bei einer möglichen Invasion Taiwans, kommt es zudem auf Kampferfahrung an. Und die besitzen die USA seit Jahrzehnten.

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"Wir sind zu allem bereit, überall auf der Welt"

Mit der "USS Carl M. Levin" bekommt nicht zufällig ein neuer Zerstörer den Heimathafen Pearl Harbour auf Hawaii zugewiesen. Weil die Amerikaner mit dem Schiffbau nicht hinterherkommen, sollen zumindest die leistungsfähigsten und neuesten Schiffe und Flugzeuge im Pazifik stationiert werden. Zur Abschreckung einerseits, aber auch für Übungen der alliierten Marinestreitkräfte, wie Japan, Taiwan, Südkorea, Australien oder Großbritannien.

Amerikanische Zerstörer der Arleigh-Burke-Klasse sind mit dem sogenannten "Aegis-Waffensystem" der Marine ausgestattet, erklärt Kelly Craft, der Kommandeur des Schiffs. Er und seine neue Crew seien zu allem bereit, überall auf der Welt. "Dort, wo unsere Nation uns braucht, gehen wir hin", sagt er. Craft spricht von "Kriegsführung an der Wasseroberfläche, gegen Unterseeboote und gegen Angriffe aus der Luft". Er will aber den defensiven Charakter betonen und nennt dann als Einsatzmöglichkeiten "Friedens- und Rettungsmissionen, sowie Präsenzaktivitäten".

Die Bewaffnung der "USS Carl M. Levin" aber "soll der Marine einen Kampfvorteil im 21. Jahrhundert verschaffen". So ist es in der Beschreibung, des "Aegis-Waffensystems" zu lesen. Ein Vorteil: Die Radare ganzer Gruppen von Schiffen und Flugzeugen können miteinander verbunden werden, um ein zusammengesetztes Bild des möglichen Kampfraums zu liefern. So kann ein komplexes Lagebild besser koordiniert werden. Wenn sie rein zahlenmäßig schon unterlegen sind, wollen die USA zumindest ihre Stärken noch besser nutzen.

Aus Zwischenfall kann Ernstfall werden

Vor seiner Taufe wirkt das graue Kriegsschiff fast farbenfroh. Die Reling der "USS Carl M. Levin" ist patriotisch behangen mit blau-weiß-roten Rüschen. Dazwischen ragen die Kanonenrohre hervor. Unter den Klappen an Deck am Bug ist Platz für die Raketen. Hinter der simpel wirkenden Mechanik befindet sich das vom Kommandanten Kelly angesprochene hoch entwickelte "Aegis"-Abwehrsystem des US-Rüstungskonzerns Lockheed Martin. Vernetzt über Sensoren und Datenbanken kann im Zweifel aus allen Rohren gefeuert werden: Flugabwehr, Bodenabwehr, U-Boot-Abwehr, Abwehr ballistischer Raketen, aber auch für Landangriffe.

Ein Krieg im Pazifik steht nicht unmittelbar bevor. Aber die Zwischenfälle mit der chinesischen Marine und Luftwaffe in der Region häufen sich. Das Pentagon veröffentlichte in diesem Sommer eine Warnung. "US-Streitkräfte, die auf internationalen Wasserstraßen oder im Luftraum operieren, erleben einen alarmierenden Anstieg der Zahl riskanter Luftzwischenfälle und Konfrontationen auf See durch chinesische Flugzeuge und Schiffe." Der US-Verteidigungsminister Lloyd J. Austin III sagte bei einer Reise nach Singapur, er sei besorgt, dass es dabei zu möglichen Fehleinschätzungen kommen könnte.

Ein von den USA veröffentlichtes Video zeigte im Juni etwa ein "unsicheres" chinesisches Manöver in der Taiwanstraße, also in internationalen Gewässern. Dabei kreuzte ein chinesisches Marineschiff scharf den Weg des amerikanischen Zerstörers "USS Chung-Hoon" und zwang das amerikanische Schiff abzubremsen, um eine Kollision zu vermeiden.

Die Sicht des Pentagon lautet erklärtermaßen: "Die Vereinigten Staaten werden weiterhin sicher und verantwortungsbewusst fliegen, fahren und operieren, wo immer das Völkerrecht es zulässt." Aus chinesischer Perspektive stellen solche Aktivitäten in geografischer Nähe im Zweifel "eine ernsthafte Gefahr für Chinas nationale Sicherheit dar", wie ein Sprecher der chinesischen Botschaft in Washington gerne betont.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Begehung der USS Carl M. Levin im Hafen von Baltimore
  • Interview mit Commander Kelly Craft
  • usff.navy.mil: Speech from Admiral Daryl Caudle (Englisch)
  • irp.fas.org: "Naval Construction Trends vis-à-vis U.S. Navy Shipbuilding Plans, 2020-2030" (Englisch)
  • sgp.fas.org: "China Naval Modernization: Implications for U.S. Navy Capabilities—Background and Issues for Congress" (Englisch)
  • sipri.org "SIPRI Military Expenditure Database" (Englisch)
  • defense.gov: Defense Leaders See Increase in Risky Chinese Intercepts (Englisch)
  • whitehouse.gov: Indo-Pacific Strategy of the United States (Englisch)
  • pbs.org: "U.S. military releases video of near collision between Chinese, U.S. warships in Taiwan Strait" Englisch)
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