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Markus Lanz: Herr Gauck, ist die Demokratie in Gefahr?


Gauck spricht Klartext bei Lanz
"Europa kann die Probleme der Welt nicht alleine lösen"


Aktualisiert am 19.07.2023Lesedauer: 3 Min.
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Joachim Gauck (Archivbild): Der ehemalige Bundespräsident war als einziger Gast vor der Sommerpause bei Markus Lanz zu Gast. (Quelle: IMAGO)

Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck erklärt, warum es auch hierzulande autoritäre Tendenzen gibt – und er dennoch zuversichtlich ist.

ZDF-Moderator Markus Lanz beschränkte sich am Dienstagabend auf einen einzigen Gast und überließ kurz vor der Sommerpause, wie schon zweimal zuvor, die Talkshowbühne ganz Altbundespräsident Joachim Gauck. Dass es thematisch dennoch eine ausgesprochen vielschichtige Sendung wurde, war dessen Beobachtungsgabe zu verdanken. Denn der 83-Jährige, der als großer Kenner seiner Landsleute und ihrer Gefühlslagen gilt, nutzte seinen Auftritt für eine umfassende Analyse der deutschen Befindlichkeiten des Jahres 2023.

Dass die Deutschen für Gauck trotzdem noch Überraschungen bereithalten, wurde gleich zu Beginn deutlich. Er habe lernen müssen, dass es hierzulande wie in jedem anderen Land eine bestimmte Bevölkerungsgruppe gebe, die mehr nach Führung als nach Mitbestimmung suche, erklärte der ehemalige Bundespräsident. Diese Menschen bevorzugten eher ein autoritäres Lebensprinzip und sähen Freiheit problematisch, während Sicherheit ihr Hauptthema sei. "Deshalb müssen wir uns auf eine längere Auseinandersetzung – gerade mit Rechtspopulisten – einstellen", schloss Gauck.

Ehemaliger Bundespräsident zu Ost-West-Unterschieden

Gauck ging in diesem Zusammenhang besonders auf Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland ein und zeigte sich überzeugt, dass es im seit über dreißig Jahren wiedervereinten Deutschland immer noch zwei verschiedene politische Kulturen gebe.

Natürlich existierten Anhänger nationalpopulistischer Gesinnung auch im Westen, aber im Osten lasse sich eine "sehr starke Rückbindung an autoritäres Geführtwerden" feststellen. Diese Unterschiede seien keine Konstrukte, sondern statistisch so gründlich belegt, dass es töricht sei, an ihnen zu zweifeln, fügte der gebürtige Rostocker hinzu.

Er betonte allerdings auch, dass solche Differenzen nicht etwa die Folge von kollektiven Charaktermängeln der "Ossis", sondern von 44 Jahren zusätzlicher Diktatur in der DDR seien. "Lange politische Ohnmacht bleibt nicht ohne Folgen", lautete Gaucks Fazit.

Während ein Großteil der Ostdeutschen sich schnell angepasst und durchgekämpft habe, habe "eine signifikant große Minderheit diesen Abschiedsprozess von dem Alten nicht abgeschlossen". "Der Widerspruch zwischen Ossi und Ossi ist oftmals größer als der zwischen Ossi und Wessi", resümierte der ehemalige DDR-Bürgerrechtler an späterer Stelle und führte das gespaltene Verhältnis der Ostdeutschen zu Russland als Beispiel an.

Deutschland laut Gauck doppelt gegen Diktatur geimpft

Die deutschland- und weltweite politische Großwetterlage beschrieb Gauck ebenfalls in gewohnt klaren Worten: Das Maß der Verunsicherung sei ungeheuer groß, nach Meinung einiger sogar so groß wie noch nie in der Weltgeschichte zuvor. "Und in solchen Phasen von Krise, da haben oft die traditionellen Parteien nicht die tröstenden Antworten", konstatierte der Ex-Pastor.

Trotz der gegenwärtigen Erfolge nationalpopulistischer Parteien blickte Gauck für Deutschland eher zuversichtlich in die Zukunft. "Diese Typen kommen bei uns nie an die Macht", sagte er voller Überzeugung. Deutschland sei in dieser Hinsicht doppelt geimpft. "Wir hatten eine braune Diktatur und eine rote, und eine weitere wollen wir nicht", so Gauck wörtlich. Gleichzeitig spüre er die gegenwärtigen demokratiegefährdenden Erschütterungen, wie sie sich exemplarisch in den USA zeigten.

Den Unionsparteien riet der Altbundespräsident, jenen Wählern, die einen zu schnellen und zu grundlegenden Wandel der Gesellschaft beklagten, ein glaubwürdiges Angebot zu machen. Hier sei, nicht nur in Deutschland, bei den konservativen Parteien eine "Repräsentanzlücke" entstanden, die dafür sorge, dass potenzielle Wähler weiter nach rechts wanderten.

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Ex-Bundespräsident rät zu "humaner Zurückweisung"

Als eine der drängenden Fragen der Zeit, auf die traditionelle konservative Politiker keine vollständig überzeugenden Antworten fänden, nannte Gauck die Migration. "Eins ist klar: "Dieses Europa kann nicht die Probleme einer unerlösten und unbefriedeten Welt alleine lösen", erklärte der evangelische Theologe.

Man müsse daher Folgendes tun: einerseits zu seinen Werten stehen und Asylberechtigte aufnehmen und andererseits zu dem finden, was Gauck "ein humanes Zurückweisen" nannte. "Das soll ja nicht brutal sein, aber es soll doch zeigen: 'Leute, wir sind nicht imstande, alle aufzunehmen'", führte er weiter aus, ohne allerdings konkret zu werden.

Einen Begründung dafür, warum das ausgerechnet in Deutschland so wenig gelinge, hatte Gauck ebenfalls parat. Tief im Gemüt der Deutschen stehe immer noch der Wunsch, nach dem extremem Bösen der Vergangenheit nun die Guten sein zu wollen. Der ehemalige Bundespräsident nannte diesen Ansatz "wunderbar", forderte aber gleichzeitig, einen weiteren Lernschritt zu machen.

Eine erwachsene Nation, die aus der Beschämung heraus ein stabiles Rechtsstaatssystem aufgebaut und viel an Mitmenschlichkeit in Gesetze gefasst habe, müsse auch erkennen, dass sie ihre eigenen Bürger nicht überfordern dürfe. Stattdessen sei man in Deutschland gehemmt, "erforderliche Entscheidungen, die mit einer gewissen Härte und Entschlossenheit verbunden sind, zu treffen".

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