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Iren in Hessen: Wer sind die mysteriösen Pilger aus Irland?


Sie mischen Hessen auf
Wer sind die mysteriösen Pilger aus Irland?

Denis Mohr

Aktualisiert am 16.08.2016Lesedauer: 4 Min.
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Tagelang hielten irische Traveller das hessische Ginsheim-Gustavsburg auf Trab.Vergrößern des Bildes
Tagelang hielten irische Traveller das hessische Ginsheim-Gustavsburg auf Trab. (Quelle: RTL)

Fast eine Woche hielt eine Gruppe irischer "Traveller" die Hessen-Gemeinde Ginsheim-Gustavsburg auf Trab. Anwohner meldete zahlreiche Fälle von Ruhestörung, Diebstahl und Vandalismus. Als sie endlich wieder abzogen, hinterließen sie Berge von Müll. Wer sind die mysteriösen Nomaden?

Am vergangenen Mittwoch waren sie plötzlich einfach da. Mit 120 Wohnwagen-Gespannen fielen rund 600 Traveller in Ginsheim-Gustavsburg ein und kampierten ohne Genehmigung auf der zwischen Rhein und Main gelegenen Ochsenwiese und im Burgpark.

Laut eigener Aussage seien sie gekommen, um an einem Gottesdienst zu Mariä Himmelfahrt teilzunehmen. Mit dem alljährlich am 15. August begangenen Fest erinnern gläubige Katholiken an die Überlieferung kirchlicher Schriften zur Aufnahme von Jesu Mutter in den Himmel. Prozessionen, Wallfahrten und so genannte Kräutersegnungen gehören für viele zu den Feierlichkeiten.

Sonderlich fromm führten sich die unerwarteten Gäste allerdings nicht auf. Anwohner beschwerten sich über massive Lärmbelästigungen, Sachbeschädigung, illegale Müllentsorgung, Trunkenheit in der Öffentlichkeit, Zechprellerei und Wildurinieren. Ein 43-jähriger Ire wurde verhaftet, weil er in der Öffentlichkeit den Hitlergruß gezeigt hatte.

Die Polizei verstärkte ihre Präsenz, in der Nacht auf Samstag rückte ein Großaufgebot aus, um die Lage zu sichern. Sonntags sperrte die Gemeinde die Zufahrt zur Ochsenweise und setzte den Pilgern ein Ultimatum bis Mittwoch. Müllcontainer und Dixie-Toiletten wurden aufgestellt, um die Unordnung einzudämmen. Nach Gesprächen mit den Travellern erklärten die sich bereit, der Stadt eine Entschädigung im vierstelligen Bereich zu zahlen.

Sie selbst nennen sich Pavee

Am Montagmorgen war der Spuk endlich vorbei. Zwischen 8 und 9 Uhr brachen die Camper ihre Zelte ab, hinterließen jedoch ein regelrechtes Schlachtfeld. Müllsäcke, Fäkalien und Glasflaschen bedeckten das Areal. Noch tagelang wird die Stadt mit Aufräumarbeiten beschäftigt sein. Die Bürger wurden um Mithilfe gebeten. Doch wer sind die geheimnisvollen Fremden, die aus dem Nichts für solches Chaos sorgten?

Sie selbst nennen sich Pavee, gebräuchliche Bezeichnungen sind auch Itinerants, Tinker oder Traveller. Es handelt sich um fahrendes Volk mit Wurzeln in Irland. Ähnlich wie bei Sinti und Roma ist das Ziehen von Ort zu Ort Teil ihrer Kultur. Sie gelten als Nachfahren umherziehender Händler, unter denen sich früher Weber, Schumacher oder Erntearbeiter befanden.

Jedes Jahr Mitte August kommen die Pavee auf ihrer Reise von den Britischen Inseln durch Europa auch in der Region Rheinland/Hessen vorbei und lassen sich dort auf öffentlichen Plätzen nieder. 2015 hatten sie sich auf der Maaraue im Wiesbadener Stadtteil Mainz-Kostheim versammelt. Auch in Minden, Bonn und Mainz klagten Anwohner in den vergangenen Jahren über ihre ungebetene Anwesenheit. Laut jüngsten Erhebungen des irischen Umweltministeriums lebten 2015 mehr als 530 Traveller-Familien auf illegalen Stellplätzen.

Genetische Unterschiede zu anderen Iren

Die Pavee sind überwiegend in Clan-Strukturen mit engen Familienverhältnissen organisiert. Um ihre politischen Interessen zu wahren, entsenden sie Vertreter in das vom Europarat finanzierte "European Roma- and Traveller-Forum“. In Irland und Großbritannien setzten sich verschiedene Organisationen dafür ein, sie als gleichberechtigte ethnische Minderheit anerkennen zu lassen.

2011 analysierten Forscher am Royal College of Surgeons in Dublin und an der Universität von Edinburgh die DNS von 40 Travellern. Die Studie zeigte, dass es sich bei den Pavee tatsächlich um eine eigenständige irische Ethnie handelt. die sich vor etwa 1000 Jahren genetisch von der sesshaften irischen Bevölkerung getrennt haben muss. Die Forscher behaupteten, genetisch unterschieden sich Pavee so stark von anderen Iren wie Isländer von Norwegern.

Da die Pavee selbst keinerlei schriftliche Zeugnisse hinterlassen haben, kann über ihre Herkunft nur spekuliert werden. Nach einigen Darstellungen soll sie der Irland-Feldzug von Oliver Cromwell in den Jahren 1649 bis 1653 in die Hauslosigkeit getrieben haben. Andere behaupten, die große Hungersnot, die zwischen 1845 und 1852 in Irland grassierte, markiere den Anfangspunkt ihrer nomadischen Existenz. Beide Darstellungen werden jedoch als nicht sehr glaubwürdig eingeschätzt.

An anderer Stelle heißt es, die Spuren der Pavee ließen sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen, wo ihre Existenz als Wanderhandwerker dokumentiert sei. Der ebenfalls gebräuchliche Ausdruck Tinker könnte um diese Zeit entstanden sein.

"Tin" ist der englische Ausdruck für Zinn und verweist möglicherweise auf eine Profession als fahrende Blechschmiede, Kupferschmiede und Kesselflicker. Angeblich soll sich bereits William Shakespeare literarisch mit den Pavee auseinander gesetzt haben. In seinem Stück "Der Widerspenstigen Zähmung" (1594) lässt er den dauerbetrunkenen Kesselflicker Schlau (engl. Tinker Sly) auftreten, dessen als unziemlich empfundenes Verhalten den Pavee nachempfunden sein soll.

Weitergezogen nach Niederjosbach

Als unziemlich nahmen auch die Anwohner in Ginsheim-Gustavsburg die Besucher wahr. Wohin sich die Karawane aufgemacht, ist nicht ganz klar. Etwa 30 Wohnwagen-Gespanne der Traveller sind mittlerweile laut bestätigten Berichten auf einem Campingplatz im Eppsteiner Ortsteil Niederjosbach (Main-Taunus) angekommen. Im benachbarten Kelkheim soll es bereits wieder zu Sachbeschädigungen und Zechprellerei gekommen sein. In der Nacht auf Dienstag soll es auf dem Campingplatz einen größeren Polizeieinsatz gegeben haben.

Andere Gespanne wurden laut der Wiesbadener Polizei auf der Autobahn gesichtet, wo sie in nördlicher Richtung fuhren - "vermutlich in Richtung Heimat". Wo auch immer das sein mag.

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