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Robert Habeck gegen Volker Wissing: Jetzt knallt es!


Habeck gegen Wissing
Jetzt knallt es


Aktualisiert am 23.01.2023Lesedauer: 5 Min.
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Volker Wissing und Robert Habeck bei der Kabinettsklausur im vergangenen Sommer (Archivbild): Seit Monaten schwelt ein Streit zwischen den Ministern. (Quelle: Carsten Koall/getty-images-bilder)

Die Maßnahmen für den Klimaschutz stocken. Wirtschaftsminister Habeck und Verkehrsminister Wissing geben sich dafür gegenseitig die Schuld. Ihr Zwist wird zur Grundsatzfrage.

An einem Mittwoch Mitte Januar platzt es aus Volker Wissing heraus. Wissing sitzt in der Fernsehsendung "Maischberger" und wird auf das Sofortprogramm Klimaschutz angesprochen, das sein Kollege Robert Habeck bereits vorlegen wollte. Wissing kühl: "Das hat er jetzt nicht geschafft im vergangenen Jahr." Und dabei bleibt es nicht.

Auf die Frage, wie lange Habeck noch auf Ideen von ihm warten müsse, sagt Wissing: "Auf die kann er nicht warten, weil er sie schon hat." Zwei scharfe Sätze, zwei Spitzen gegen Habeck. Es ist der vorläufige Höhepunkt eines seit Monaten schwelenden Streits.

Die Bundesregierung hat sich beim Klimaschutz festgefahren. Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen um 65 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 sinken, so hatte es noch die Vorgängerregierung im Klimaschutzgesetz festgeschrieben. Doch weil die Ziele nach aktuellem Stand nicht erreicht werden, wollte die Ampelkoalition eigentlich bis zum Ende des Jahres 2022 ein Klimaschutzsofortprogramm vorgelegt haben.

Die Federführung dafür liegt beim Wirtschafts- und Klimaministerium von Robert Habeck. Die einzelnen Fachressorts müssen ihm ihre Einsparschritte dazu vorlegen. Nun ist fast der Januar 2023 vorbei. Das Sofortprogramm entwickelt sich zu einem Später-Programm.

Wie soll das Leben künftig aussehen?

Im Wirtschaftsministerium von Habeck heißt es: Man warte auf konkrete Vorschläge vom Verkehrsministerium. Im Verkehrsministerium wiederum findet man, dass Habeck die vorhandenen Vorschläge nicht ausreichend würdige – und einige Maßnahmen erst langfristig wirken würden.

Verschiedene Ideen stehen im Raum: Unter anderem ein Tempolimit auf deutschen Straßen (wofür Habeck offen wäre, das Wissing aber strikt ablehnt) oder auch die Verlängerung von Atomkraftwerk-Laufzeiten (was Wissing gern hätte, aber Habeck eher nicht). Hinter der Auseinandersetzung der beiden Minister beim Kampf um das Klima stehen deshalb große Fragen: Wie soll das Leben in Deutschland künftig aussehen? Welche Einschränkungen im Alltag der Bevölkerung müssen sein, welche nicht? Was für Maßnahmen helfen wirklich?

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Sicher ist: Wissing steht beim Erreichen der Klimaziele besonders stark unter Druck. Denn sein Ministerium verfehlt die Ziele am weitesten, wie der Expertenrat der Bundesregierung ihm im vergangenen Sommer attestierte. Seine Politik dafür sei "schon im Ansatz ohne hinreichenden Anspruch", hieß es da.

Selbst über das Problem besteht keine Einigkeit

Und was wäre der hinreichende Anspruch? Bereits darüber streiten Habeck und Wissing. Beide Ministerien bestellten eigene Gutachter – die zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen sind. Wissing kalkuliert mit einer Menge von 120 Millionen Tonnen CO2 bis 2030, die im Verkehrssektor eingespart werden müssen. Habeck mit 170 Millionen Tonnen.

Im Klimaministerium halten sie es schon für einen riesigen Erfolg, sich zumindest so weit angenähert zu haben, dass auch das Verkehrsministerium eine Lücke sieht. Trotzdem ist noch völlig unklar, wie die Einsparungen gelingen sollen.

Im Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 hat sich die Weltgemeinschaft festgelegt, die Erderhitzung auf 2 Grad Celsius, möglichst aber 1,5 Grad zu begrenzen. Schon dabei warnen Klimaforscher vor den katastrophalen Folgen. Bereits jetzt hat sich die Erde im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter um 1,2 Grad erhitzt – aktuell steuert die Erde auf eine Erhitzung von 2,7 Grad zu.

Die Grünen, aber auch im Besonderen Robert Habeck, werden zunehmend ungeduldig mit Wissing. Sie wissen, dass am Ende vor allem sie schlecht dastehen werden, wenn die Regierung ihre Klimaziele nicht erreicht. Auch wenn andere größere Schuld tragen. So war das, als Lützerath kürzlich abgebaggert wurde. Und so wird es wohl auch sein, wenn die Experten der Bundesregierung und der Klimaminister mitteilen müssen, dass sie ihre Ziele wieder nicht erreicht haben.

Die Grünen erhöhen deshalb öffentlich den Druck: Der Vorstand der Bundestagsfraktion legte kürzlich ein eigenes "Starterpaket" vor. "Volker Wissing muss raus aus dem Bummelzug beim Thema Klimaschutz", heißt es darin. "Wir werden ihm dabei helfen." Also: Nachhilfe in Sachen Klimaschutz. "Im gemeinsamen Kampf der Bundesregierung gegen die Klimakrise ist der Verkehrssektor aktuell das Schlusslicht", schreibt der Fraktionsvorstand.

Das Papier liest sich wie eine Anklageschrift. Hauptsache, das nächste Lützerath wird vermieden, so könnte man es sehen.

So wenig Ordnungsrecht wie möglich, heißt es bei der FDP

Intern dagegen wird über Wissing im Klimaministerium erstaunlich freundlich geredet. Die am weitesten verbreitete Theorie lautet: Wissing will eigentlich mehr tun, darf aber nicht. Wegen seiner Partei und deren Klientel. Und wegen seines Parteichefs Christian Lindner.

Wenn Robert Habeck in Hintergrundgesprächen, aus denen Journalisten nicht zitieren dürfen, über Wissing spricht, schwingt oft überraschend viel Verständnis für die schwierige Lage des Verkehrsministers mit. Verständnis dafür, dass die FDP in der Klimapolitik in einem objektiven Dilemma steckt, wenn sie ihre anderen Politikziele erreichen will.

Die FDP will so wenig Ordnungsrecht wie möglich, also fallen Verbote wie ein Tempolimit weg. Gleichzeitig wollen die Liberalen möglichst wenig Geld ausgeben, mit dem man etwa klimafreundlichen Verkehr subventionieren könnte. Denn die Schuldenbremse soll ja eingehalten werden. Und dann soll es auch keine Steuererhöhungen oder zusätzliche Abgaben geben – klimaschädliches Verhalten zu sanktionieren entfällt damit ebenfalls.

Bei den Grünen glaubt mancher: Viel bleibe dem Verkehrsminister damit gar nicht mehr übrig an Werkzeugen, um den riesigen Berg an CO2 irgendwie abzutragen. Wissing selbst sieht das freilich anders. Er glaubt, doch noch die Ziele einhalten zu können. Durch technologische Innovationen, beispielsweise mehr Ladesäulen für E-Autos. Hinzu kommt die angestrebte Sanierung der Bahn, die mehr Menschen zu Zugfahrern machen soll. Und auch das 49-Euro-Ticket würde seine Wirkung entfalten, glaubt man im Verkehrsministerium.

Der Druck durch das Klimaschutzgesetz ist jedoch überschaubar

Dort stellt man sich die Wende hin zu einem klimaneutralen Leben als überschaubare Verhaltensänderung der Deutschen im Alltag vor. Doch ohne Zwang soll es gehen, das ist die Hauptsache. Im Klimaministerium von Habeck glaubt dagegen mancher, dass es ohne dramatische Einschnitte nicht klappen wird. Selbst wenn sich niemand wirklich der Illusion hingibt, die FDP könne tatsächlich ein Tempolimit beschließen.

Vor allem aber sieht man im Wissing-Ministerium das Zusammenspiel zwischen dem Klimaschutzgesetz, also dem großen rechtlichen Rahmen, und dem Sofortprogramm, das zu zügigen Einsparungen führen soll, kritisch. Man würde gern an beidem noch mal arbeiten. Habeck dagegen glaubt eher, dass es nun auf die konkreten Einsparschritte ankommt, also auf das Sofortprogramm.

Bereits jetzt ist der Druck, den das Klimaschutzgesetz ausübt, überschaubar. Die Umweltrechtlerin Sabine Schlacke erklärt im t-online-Gespräch, warum Wissing vorerst in jedem Fall keine Konsequenzen fürchten muss: "Das Problem ist, dass das Gesetz keine Sanktionen vorsieht, wenn kein Sofortprogramm vorgeschlagen und erlassen wird. Deswegen ist das Klimaschutzgesetz in diesem Punkt nur eine symbolische Rechtsetzung."

Sabine Schlacke
Sabine Schlacke (Quelle: Frederic Kern/imago-images-bilder)

Sabine Schlacke lehrt als Professorin für Öffentliches Recht, Verwaltungs- und Umweltrecht an der Universität Greifswald. Seit 2008 ist sie Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WGBU), seit 2016 dessen Co-Vorsitzende. Zudem ist sie Vorsitzende des Lenkungskreises der Wissenschaftsplattform Klimaschutz der Bundesregierung.

Wissing ist dafür, die jährlichen sektorgebundenen Ziele abzuschaffen, die im Klimaschutzgesetz festgeschrieben sind. Die Argumentation dafür geht so: Viele Maßnahmen würden ohnehin erst langfristig wirken, deshalb blockiere das Gesetz wirklich nachhaltige Einsparschritte eher. Dass Wissing damit womöglich nicht ganz falsch liegt, erkennen sogar einige Grüne an. Sie fürchten aber, dass er eigentlich nur vermeiden will, sich jedes Jahr für seine unzureichenden Einsparschritte rechtfertigen zu müssen.

Bei den Grünen lautet die rote Linie in dem Streit deshalb: Jeder Sektor, also auch Wissings Verkehrssektor, müsse seinen eigenen Beitrag zu den Einsparungen leisten. Es ist eine recht defensive Position, die Raum für Kompromisse lässt. Etwa auch, die Ziele über mehrere Jahre zu strecken. Was auch daran liegt, dass Habecks Leuten etwas anderes viel wichtiger ist: die weiteren konkreten Einsparschritte, die Wissing liefern soll.

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