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Ukrainische Asylbewerber und Integration: Deutschland muss sich ändern


Integration in Deutschland
"Das birgt enormen sozialen Sprengstoff"


Aktualisiert am 26.04.2023Lesedauer: 5 Min.
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Ukrainische Geflüchtete am Frankfurter Hauptbahnhof (Archivbild). (Quelle: Boris Roessler/getty-images-bilder)

Mehr als eine Millionen Ukrainer, fast 300.000 Asylbewerber: Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Was braucht es nun für eine gelungene Integration?

Jens Marco Scherf trommelt seit Monaten. Der bayerische Landrat hat dem Kanzler geschrieben, er ist in Talkshows aufgetreten, er hat Interviews gegeben. Denn Scherf hat eine Botschaft: Er warnt wegen der steigenden Flüchtlingszahlen dringlich vor einer Krise in den Kommunen, vor sinkender Akzeptanz in der Bevölkerung – und zwangsläufig scheiternder Integration.

Zwei Zahlen sind für Scherf dabei zentral: 3.000 zu fünf. Rund 3.000 Flüchtlinge hat sein Landkreis Miltenberg in den vergangenen Jahren aufgenommen. Demgegenüber stehen nur fünf Vollzeitstellen, die Scherf besetzen kann, um die Menschen zu betreuen, zu Ämtern zu begleiten, beim Deutschlernen und Ankommen zu unterstützen.

"Das ist nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein", sagt Scherf t-online. Schließlich werde die gesamte Integrationsarbeit vor Ort geleistet, seit Langem aber schon werde man dabei weder den Neuankömmlingen noch den Alteingesessenen gerecht. "Bund und Länder sind in der Pflicht, die Kommunen besser zu unterstützen!", fordert er.

Bundesländer wollen mehr Geld vom Bund

Die Herausforderungen, die die aktuellen Fluchtbewegungen mitbringen, sind enorm. Seit der russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022 hat Deutschland mehr als eine Million Ukrainer aufgenommen – dazu kommen fast 300.000 Asylbewerber aus anderen Staaten. Das stellt das Land, und besonders die Kommunen, vor große Aufgaben. Denn es fehlt nicht nur an Unterkünften. Auch bei der Integrationsarbeit hakt und ruckelt es gewaltig.

Wie die Integration in Deutschland besser gelingen kann, ist ab diesem Mittwoch Thema bei der Integrationsministerkonferenz. Bereits vor dem zweitägigen Treffen haben die Länder eine zentrale Forderung formuliert: Sie wollen mehr Geld vom Bund. "Die bisherigen Zusagen zur Bundesbeteiligung an den flüchtlingsbezogenen Kosten reichen nicht aus", teilt das Baden-Württemberger Integrationsministerium t-online mit.

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Das Land hat seinen Kommunen im vergangenen Jahr bereits acht Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um das Integrationsmanagement zu stärken. Vom Bund erwartet die Landesregierung nun, dass er sich an den finanziellen Lasten beteiligt.

Innenministerium verweist auf steigende Ausgaben

Das Innenministerium verweist hingegen darauf, dass die Mittel des Bundes für den Bereich Integration bereits stark gestiegen sind – von 830 Millionen Euro 2022 auf mehr als 905 Millionen Euro im aktuellen Jahr. Und auch die Zahl der Lehrkräfte im Integrationskurssystem habe sich im vergangenen Jahr um fast 50 Prozent erhöht.

"Die Integration der großen Zahl von Menschen, die vor Putins brutalem Krieg aus der Ukraine geflohen sind, ist ein großer Kraftakt", teilte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) t-online mit. Doch sie sieht Erfolge: "Wir haben sehr schnell reagiert und den Zugang zu unseren Integrationsmaßnahmen für Geflüchtete aus der Ukraine sofort geöffnet. Seither haben wir die Kurse rasant ausgebaut." Mithilfe des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, der Träger und der Lehrkräfte seien die Kapazitäten bei Integrationskursen "binnen kurzer Zeit" verdreifacht worden.

Sie betont: "In den letzten zwölf Monaten haben mehr als 400.000 Menschen einen Integrationskurs begonnen – das sind mehr als in den drei Jahren 2019, 2020 und 2021 zusammen." Als einen weiteren Baustein sieht Faeser das noch nicht beschlossene Fachkräfte-Einwanderungsgesetz. Menschen, die hart arbeiteten und gut integriert seien, müssten auch gute Perspektiven haben und sich "voll und ganz zu unserer Gesellschaft zugehörig" fühlen können.

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Zugleich aber gelte: "Wer diese Perspektiven nicht hat und kein Bleiberecht bei uns hat, der muss in seine Heimat zurückkehren." Die Grundlage dafür, dass Integration gelinge, sei: "Legale Migrationswege zu schaffen, vor allem für Arbeits- und Fachkräfte, und zugleich irreguläre Migration zu begrenzen."

Union fordert Begrenzung irregulärer Migration

Auf Letzteres dringt auch der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm. Angesichts der aktuellen Lage schlägt er Alarm: "Das Personal ist überlastet, Ehrenamtler wenden sich frustriert ab, und es gibt zu wenige Kita- und Schulplätze", sagt er t-online. Throm übt deswegen scharfe Kritik an der Bundesregierung: "Ich habe nicht den Eindruck, dass die Ampelregierung die harte Realität ihres Integrations-Ausfalls erkannt hat."

Er verweist auf eine Forderung von Ländern und Kommunen, die die "Bild"-Zeitung vor einer Woche öffentlich machte. Demnach forderten diese Innenministerin Nancy Faeser auf, ein Maßnahmenpaket zur Begrenzung irregulärer Migration zu erlassen. Throm unterstützt dieses Anliegen: "Die Ampel muss endlich umsteuern und die unerlaubten Einreisen verringern."

Grüne wollen konkrete Vorschläge von Faeser

Auch Grünen-Migrationsexpertin Filiz Polat übt Kritik an der Bundesregierung. "Praxisferne Vorschriften sowie unzählige Kontrollvorschriften hindern Träger daran, Kurse flächendeckend anzubieten, obwohl finanzielle Mittel vorhanden sind. Das trifft insbesondere die Kurse mit Kinderbetreuung", sagt Polat t-online. Faeser habe bereits Verbesserungen zugesagt, die Grünen erwarteten, dass "konkrete Vorschläge hierzu zügig vorgelegt werden".

Sie fordert zudem wie die Vertreter der Bundesländer eine auskömmliche und vor allem langfristige Finanzierung des Bundes für Integrationsmaßnahmen. Und auch bei den Arbeitsmöglichkeiten sieht Polat noch Verbesserungsbedarf. Das Chancen-Aufenthaltsrecht der Ampel eröffne zwar den "potenziell 130.000 berechtigten Geduldeten endlich eine Perspektive". Doch sie fordert: "Arbeitsverbote müssen jetzt fallen und weitere Formen des Spurwechsels müssen, wie im Koalitionsvertrag verabredet, jetzt kommen." Dafür erhoffe sie sich die Unterstützung der Länder.

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"Die Zahl der Migranten wird weiter zunehmen"

Nicht nur aus der Politik, auch aus Verbänden werden im Vorfeld der Integrationsministerkonferenz den Ministern Arbeitsaufträge mit auf den Weg gegeben. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund etwa fordert die Länder auf, einen ganzheitlichen Ansatz in der Integration zu verfolgen – also an allen Enden zu verstärken. Denn: "Die Zahl der Menschen, die nach Deutschland kommen, wird auch in den nächsten Jahren weiter zunehmen", sagt Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg t-online. Es sei deswegen wichtig, dass es gelinge, die Menschen so schnell wie möglich zu integrieren.

Ein wichtiger Schlüssel seien die Sprachkompetenzen. "Deswegen müssen wir die Sprachkurse ausweiten und sie auch für die Angehörigen so früh wie möglich anbieten, und zwar in der Weise, dass sie auch parallel zu einer Ausbildung oder Arbeit absolviert werden können", so Landsberg. Mit Blick auf den Fachkräftemangel in Deutschland weist Landsberg darauf hin, dass die Anerkennung ausländischer Qualifizierungen unverzüglich und möglichst digital ermöglicht werden müsse.

Einen weiteren wichtigen Baustein sieht er in der Integration der Kinder: "In Schulen und Kindergärten muss es gesonderte Integrationsangebote geben, die zumeist besonders erfolgreich sind, da die Lern- und Aufnahmefähigkeit von Kindern deutlich größer ist als bei Erwachsenen."

Lehrerverband warnt: Viele Schulen sind überfordert

Tatsächlich entfällt auf Schulen und Kindergärten ein bedeutender Teil der Integrationsarbeit: Mehr als 200.000 Kinder allein aus der Ukraine sind in den vergangenen Monaten an deutschen Schulen untergekommen. Das stellt die Schulen vor große Herausforderungen, wie der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, t-online schildert. "Tatsache ist, dass nach jüngsten Befragungen fast die Hälfte der Schulen sich nicht in der Lage sieht, weitere Flüchtlingskinder aufzunehmen." Die Hälfte der Lehrkräfte sei zudem der Meinung, dass der Integrationsprozess an ihren Schulen schlecht laufe.

Meidinger weist darauf hin, dass der Leistungsrückstand zwischen Kindern der ersten Migrationsgeneration gegenüber deutschen Kindern wachse. "In manchen Bundesländern beträgt dieser laut letzter IQB-Grundschulstudie von 2021 bis zu zwei komplette Lernjahre bei Viertklässlern." Der Deutsche Lehrerverband fordert deswegen die Bundesländer auf, die vorschulischen Sprachförderungen zu verstärken. Diese müssten verpflichtend sein, wenn bei den Kindern Sprachdefizite festgestellt würden.

Zudem fordert der Verband von den Ländern, sich beim Bund dafür einzusetzen, "Schulen mit hohem Anteil sozial benachteiligter Schüler besonders" zu unterstützen. Das sogenannte Startchancenprogramm der Bundesregierung, mit dem 4.000 Schulen speziell gefördert werden sollen, dürfe "nicht zeitlich immer weiter ans Ende der Legislaturperiode geschoben" werden.

Meidinger warnt: "Wenn es uns in Deutschland nicht gelingt, Flüchtlingskindern sozialen Aufstieg durch Bildung zu ermöglichen, droht diesen nicht nur Perspektivlosigkeit, sondern das birgt auch enormen sozialen Sprengstoff."

Verwendete Quellen
  • Anfragen an Jens Marco Scherf, Filiz Polat, Alexander Throm, Deutschen Lehrerverband, Integrationsministerium in Baden-Württemberg, Deutscher Städte- und Gemeindebund
  • bild.de: Migrations-Aufstand gegen Faeser!
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