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Krankenhaus-Reform: Lauterbachs wichtigstes Projekt droht zu scheitern


Lauterbachs Revolution droht zu scheitern
Ein Fehler, der kaum zu korrigieren ist

  • Annika Leister
Von Annika Leister

01.06.2023Lesedauer: 5 Min.
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Karl Lauterbach: Er arbeitet an mehreren großen Gesetzesvorhaben.Vergrößern des Bildes
Karl Lauterbach: Er arbeitet an mehreren großen Gesetzesvorhaben. (Quelle: IMAGO)

Karl Lauterbach will die Krankenhäuser in Deutschland besser machen. Doch Experten sehen für die Reform nur noch wenig Chancen. Das liegt vor allem am Gesundheitsminister selbst.

Eigentlich kann sich Karl Lauterbach richtig glücklich schätzen. Denn der Gesundheitsminister plant eine so umfassende Reform der Krankenhaus-Landschaft, dass er sie selbst als "Revolution" bezeichnet. Das Potenzial für Empörung in der Bevölkerung ist also riesig. Doch bisher ruht der See. Kein Boulevard-Blatt hat die Hatz eröffnet, kein Shitstorm flutet das Netz.

Die Stille hat ein wenig damit zu tun, dass gerade alle Augen auf Robert Habeck und die Heizungsmisere gerichtet sind. Habecks Pech ist Lauterbachs Glück. Noch stärker aber spielt mit hinein, dass die "Revolution" des Gesundheitsministers zwar noch ziemlich in den Anfängen steckt, aber trotzdem schon zum Reförmchen zu verkommen droht.

Das liegt nicht unwesentlich am Gesundheitsminister selbst. Kritiker nämlich werfen ihm schon jetzt, wo Bund und Länder noch über die Grundlagen diskutieren, wo nicht einmal Eckpunkte des Gesetzes vereinbart sind, einen fundamentalen Fehler vor. Einen, der kaum wieder zu korrigieren sein wird.

Lauterbach wollte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen

Dabei waren die Voraussetzungen denkbar günstig: Vom Präsidenten der Bundesärztekammer über Klinikleitungen und Patientenschützer bis zu Ministerpräsidenten stimmen alle überein, dass es dringend einer Krankenhaus-Reform bedarf. Im Grunde sind also alle auf Lauterbachs Seite – das ist für einen Minister, noch dazu bei einem so groß angelegten Vorhaben, ein seltener Glücksfall.

Grund für die Übereinstimmung ist nicht nur ein "Zu wenig" bei vielen Krankenhäusern. Ein Drittel schreibt nach Corona- und Energiekrise tiefrote Zahlen, nicht wenige bangen um ihre Existenz.

An anderer Stelle allerdings leidet Deutschlands Gesundheitssystem vor allem an einem "Zu viel": Die Bundesrepublik zahlt im europäischen Vergleich am meisten für ihr Gesundheitssystem, hat die meisten Krankenhäuser, die meisten Klinikbetten, die meisten und längsten stationären Aufenthalte – und landet in Statistiken zu vermeidbaren Todesfällen und der Qualität der Behandlung doch regelmäßig nur auf mittleren bis hinteren Plätzen.

"Wir haben im internationalen Vergleich sehr viele Betten und sehr viele Krankenhäuser. Das führt automatisch dazu, dass wir an vielen Stellen eine Gelegenheitsversorgung haben", sagt Wulf-Dietrich Leber t-online. Er ist Krankenhausexperte des Spitzenverbandes der gesetzlichen Kassen und in der Branche seit Jahrzehnten ein angesehener Experte für die komplexe Finanzierungslage.

Lauterbachs Reform soll zwei Probleme auf einmal lösen: Erstens die Finanzierung neu aufstellen und die Krankenhäuser von wirtschaftlichem Druck befreien. Und zweitens eine Umstrukturierung und so eine erhebliche Verbesserung der Qualität vorantreiben.

Kampfansage gegen Deutschlands "Zu viel"

Entscheidend ist dabei allerdings, wie die Reform genau angelegt ist – sonst wird sie nicht helfen. Eine Expertenkommission im Auftrag des Gesundheitsministeriums hat im Januar vergleichsweise radikale Einschnitte empfohlen, etwa Betten zu reduzieren, die Krankenhauslandschaft neu zu sortieren und Kliniken streng nach dem Umfang des Angebots einzuordnen – von der Basisversorgung bis zu Fachkliniken.

Nicht mehr jedes Krankenhaus soll also alles machen können, Fachwissen gebündelt werden, die Finanzierung in Zukunft danach ausgerichtet werden. Es ist eine Kampfansage gegen Deutschlands "Zu viel".

Von den Vorschlägen der Kommission war Experte Leber begeistert: "Die Kommission hat den Finger in die Wunde gelegt, indem sie die Struktur der Krankenhauslandschaft in den Fokus genommen hat." Er wertet die Vorschläge als "wirklich sinnvoll, um eine bessere Qualität und Wirtschaftlichkeit zu erreichen".

Politischer Sprengstoff

Politisch sind diese Vorschläge, mögen sie auch noch so sinnvoll sein, allerdings nicht leicht zu verkaufen: Für die Bürger soll die Behandlung zwar wesentlich besser werden, im Optimalfall sollen also Leben und Lebensjahre gerettet werden. Die Wege zum Krankenhaus aber werden bei bestimmten Krankheiten länger. Und einige Krankenhäuser könnten ganz schließen.

Das gilt als politischer Sprengstoff, denn wo immer die Wege im Notfall länger oder Krankenhäuser geschlossen werden sollen, formiert sich vor Ort heftiger Widerstand. Da mag eine Schließung noch so gut begründet sein und in Wahrheit eine Verbesserung darstellen, weil das weiter entfernt gelegene Krankenhaus ein höheres Niveau bietet.

Die Erfahrungen auch aus anderen Ländern zeigen: Gefühle sind im Gesundheitswesen meistens stärker als die Vernunft. Kein Wunder also, dass Lauterbach und sein Team in Papieren und Vorträgen das Wort "Schließung" vermeiden, als fehlten die Buchstaben auf den Tastaturen.

Experten wie Leber sehen die Konzentration von Qualität und die Schließung von Häusern allerdings als wichtigen Baustein der Reform. Zumindest, wenn sie die Situation verbessern soll. "Es geht dabei weniger um Krankenhausschließungen in dünn besiedelten ländlichen Gebieten", erklärt er. "Wir haben ein Problem mit vielen kleinen Häusern in Ballungsgebieten, zum Beispiel im Ruhrgebiet, die oft nur einen Rollatorgang weit auseinander liegen."

Lauterbach ist eingeknickt

Ob es so weit überhaupt kommen wird, bezweifelt nicht nur Leber – und damit auch, ob die Reform überhaupt wird liefern können, was sie verspricht. Die Länder, die näher an den wütenden Bürgern vor Ort sind als der Bund, haben von Anfang an gegen Lauterbachs Reform protestiert. Schon Anfang des Jahres lenkte der Minister ein und stellte ihnen Öffnungsklauseln und Ausnahmetatbestände in Aussicht. Wenn das so weitergeht, könnte bald gelten: Am Ende macht eh jeder, was er will.

Wie weit die Öffnungsklauseln gehen, ist noch fraglich. An diesem Donnerstag kommen Bund und Länder erneut zusammen, um darüber zu diskutieren. Und die Forderungen der Länder gehen noch weiter. Vor allem Bayern, wo im Oktober eine Landtagswahl ansteht, fordert: anderer Zeitplan, andere Finanzierung, keine Einteilung in Versorgungsstufen. Aber der Freistaat ist mit seiner Kritik nicht allein. Eigentlich will sich so gut wie niemand nach Lauterbachs Vorschlag richten.

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Leber sieht in Lauterbachs frühzeitigem Einlenken nun ein echtes Problem für den Minister: "Verhandlungstechnisch ist die Situation schwierig", sagt er t-online. "Der Bund scheint von Beginn an faktisch eine Vetofunktion der Länder akzeptiert zu haben. Dadurch sind bundesweite Regelungen kaum noch durchsetzbar – dabei bräuchte es sie unbedingt."

Leber formuliert höflich, zurückhaltend, was andere unter der Hand so formulieren: Lauterbach ist eingeknickt. Im oft harten und vorhersehbar langwierigen Verhandlungspoker mit den Ländern hat er ihnen ohne Not gleich zu Beginn alle guten Karten in die Hand gegeben.

Für Leber steht schon jetzt fest: "Wir sind inzwischen sehr weit weg von den innovativen Ideen, die die Kommission ursprünglich auf den Tisch gelegt hat."

"Wann die Reform umgesetzt werden kann, ist völlig unklar"

Bis zum Oktober, wenn in Bayern gewählt wird, sieht Leber keine Chance auf Besserung. "Im bayerischen Wahlkampf machen sich anti-bundesrepublikanische Äußerungen gut. Es wird deswegen eine zweite Reformdebatte nach dem 8. Oktober geben, wo man konkret über Strukturen und Finanzen reden wird."

Das würde Lauterbachs Zeitplan völlig durcheinanderwerfen. Er will noch bis zum Sommer neue Eckpunkte für die Krankenhausreform vorlegen, bis zum Ende des Jahres sollen Bundestag und Bundesrat darüber entscheiden. Schon im Januar 2024 könnte die Reform in die Praxis umgesetzt werden, hofft das Bundesgesundheitsministerium offiziell. Zumindest noch.

Leber rechnet damit nicht: "Wann die Diskussionen beendet und die Reform umgesetzt werden kann, ist derzeit völlig unklar."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Gespräch mit Wulf-Dietrich Leber
  • Pressemitteilung des bayerischen Gesundheitsministeriums: "Holetschek dringt auf Klärung offener Fragen bei Gespräch über Krankenhausreform am 1. Juni"
  • tagesspiegel.de: "Brandenburger Koalition sieht Krankenhausreform sehr kritisch"
  • deutschlandfunk.de: Interview mit Ärztepräsident Klaus Reinhardt
  • welt.de: "Die Deutschen sterben viel zu früh"
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