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Özdemir sorgt für nächsten Ampel-Streit: Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel?


Trifft es nach Habeck Özdemir?
Jetzt droht der nächste Knall

  • Annika Leister
Von Annika Leister

Aktualisiert am 17.06.2023Lesedauer: 6 Min.
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Cem Özdemir: Der Landwirtschaftsminister bekommt Gegenwind. (Quelle: IMAGO)

Die Heizungskrise ist erst halbwegs überwunden, da kündigt sich das nächste Problem für die Ampel an. Erneut liegen FDP und Grüne über Kreuz.

Unauffällig und unaufgeregt – so erledigte Cem Özdemir bisher seinen Job als Landwirtschaftsminister. Das könnte sich nun ändern. Denn sein Haus bereitet gerade ein Gesetz vor, das die Kritik der FDP weckt. Und Özdemir könnte es plötzlich ähnlich gehen wie seinem Parteikollegen Robert Habeck.

Der hat gerade erst den Höhepunkt der Debatte um das Gebäudeenergiegesetz überstanden, das im Boulevard nur "Heiz-Hammer" oder "Heizungsverbot" heißt. Der Entwurf wurde früh durchgestochen, die Grünen waren auf die Veröffentlichung schlecht vorbereitet, Habecks Ministerium machte Fehler. Grüne und FDP standen sich rasch unversöhnlich gegenüber, die Liberalen schossen scharf gegen den Koalitionspartner und wandten sich auch gegen bereits gefasste Absprachen.

Eine Krise, die fast die Koalition gesprengt hätte. Und in deren Verlauf die Beliebtheitswerte von Wirtschaftsminister Habeck wie auch der Ampel auf Tiefpunkte sanken, die der FDP hingegen stabil blieben.

Gesetz gegen Kinder-Werbung für ungesunde Lebensmittel

Nun arbeitet Özdemirs Landwirtschaftsministerium an einem Gesetz, das Werbung für besonders ungesunde Lebensmittel verbieten soll, die an Kinder gerichtet ist. Offiziell trägt es den wenig geschmeidigen Namen "Gesetz zum Schutz von Kindern vor Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt" oder "Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz". In den Medien trägt es den treffenderen Namen: Werbeverbot.

Es soll helfen, ein wachsendes Problem in den Griff zu bekommen: Immer mehr Kinder in Deutschland sind zu dick. Krankenkassen und Experten warnen seit Jahren vor steigenden Diagnosen von starkem Übergewicht (Adipositas) und frühen Folgeerkrankungen. Die Corona-Pandemie mit ihren Lockdowns habe das Problem verschärft.

Die rot-grün-gelbe Koalition will das Problem angehen, sie arbeitet an einer Ernährungsstrategie und hat schon in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt: "An Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt darf es in Zukunft bei Sendungen und Formaten für unter 14-Jährige nicht mehr geben."

Das Werbeverbot, wie Özdemir es derzeit plant, aber weckt nun nicht nur bei der Lebensmittelindustrie und Bauernverbänden massiven Unmut, sondern auch bei der FDP. Und zunehmend zeigt sich, wie verhärtet die Fronten, wie vergiftet der Diskurs zwischen den Koalitionspartnern ist.

Der Boulevard wettert

Ähnlich wie bei Habecks Heizungsgesetz gab es bereits eine Absprache in der Koalition; ähnlich wie bei Habecks Heizungsgesetz gelangten frühe Entwürfe des Gesetzes an die Presse. Und ähnlich wie bei Habecks Heizungsgesetz ist die Aufregung vor allem in den Boulevard-Medien groß: Von einem "knallharten Werbeverbot" schreibt die "Bild" und titelt: "Jetzt soll sogar Naturjoghurt ungesund sein!" Mancher Lobbyvertreter spricht gar nicht mehr von einem "Werbe-", sondern gleich von einem "Lebensmittel-Verbot". Die FDP nennt den zuletzt bekannt gewordenen Entwurf "hanebüchen" und "absurd".

Die Kritik der FDP entzündet sich aktuell an einem Referentenentwurf für das Gesetz, der mit Notizen aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium versehen ist. Er liegt t-online vor. Darin heißt es: "Es ist verboten, allgemein oder im Einzelfall für Lebensmittel Werbung zu betreiben, die sich nach Art, Inhalt oder Gestaltung an Kinder richtet." Allerdings wird gleich danach eingeschränkt: Werbung für "Lebensmittel ohne hohen Zucker-, Fett- oder Salzgehalt" soll hiervon ausgenommen sein.

Außenwerbung für ungesunde Lebensmittel in der Nähe von Schulen und auf Kinderseiten im Internet soll demnach untersagt werden. Auch in Radio und TV soll es solche Werbung "zwischen 6 und 23 Uhr" nicht mehr geben. Und der Entwurf listet für eine Palette von Lebensmitteln von Schokolade über Cerealien bis hin zu Käse und Joghurt Grenzwerte für Produkte auf, die unter dieses Gesetz fallen sollen.

"Absurd": FDP sieht pauschales Verbot

Die FDP stellt auf dieser Grundlage nun in Zweifel, dass sich das Gesetz nur gegen Werbung richtet, die an Kinder gerichtet ist und zwischen Kindersendungen läuft – und auch, dass es sich nur gegen ungesunde Lebensmittel richtet. Der Vorwurf: Die Grünen wollen Werbung für bestimmte Lebensmittel insgesamt verbieten, auf allen Plattformen.

"Es geht in diesem Entwurf nicht um ein Verbot für an Kinder gerichtete Werbung, sondern ein pauschales Werbeverbot für bestimmte Lebensmittel – im Fernsehen beispielsweise von 6 bis 23 Uhr", sagte Gero Hocker, landwirtschaftspolitischer Sprecher der FDP, t-online. "Das schießt weit über das Ziel hinaus und ist vom Koalitionsvertrag nicht gedeckt."

Die im Papier festgelegten Grenzwerte träfen außerdem über 70 Prozent aller Lebensmittel, behauptet Hocker. "Also nicht nur Ungesundes, sondern eben auch Quark, Joghurt und Käse. Das ist absurd."

Die Kritik geht aber rasch auch ins Grundsätzliche: Es gebe keine explizit ungesunden Lebensmittel, wichtig sei die "Gesamtkalorienbilanz", so Hocker. "Wenn man vorher einen Marathon gelaufen ist, dann kann man viel essen." Der Faktor Bewegung komme ihm bisher viel zu kurz, insbesondere nach den Jahren der Corona-Pandemie.

Künast: "FDP und 'Bild' blasen Hand in Hand zum Marsch"

Bei den Grünen hingegen wittert man die nächste medienwirksame Kampagne gegen sich als angebliche Verbotspartei. Auf Diskussionen über das Gesetz, das noch gar nicht fertig ist, will man sich am liebsten gar nicht einlassen – und teilt stattdessen gegen die FDP aus.

"Ich diskutiere nicht über Papiere, die vom Kabinett noch nicht verabschiedet wurden", wettert Renate Künast, Sprecherin für Ernährung und Landwirtschaft in der Grünen-Fraktion, im Gespräch mit t-online. "Wir können hier doch nicht Parlamentskindergarten spielen!" Es sei unklar, ob das nun öffentlich gewordene Papier der aktuelle Stand sei und ob der Entwurf so beschlossen werde.

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Künasts Kritik an der Kommunikation des Koalitionspartners ist scharf. Seit den Enthüllungen über den Axel-Springer-Chef Matthias Döpfner, der in internen Nachrichten im Bundestagswahlkampf bei der Chefredaktion der "Bild" darauf drang, die FDP "zu stärken", wisse doch jeder, wie es laufe, findet sie: "Schon bevor es ein Gesetz gibt, wird von FDP und "Bild" Hand in Hand zum Marsch geblasen."

Dabei blieben die Inhalte und in diesem Fall vor allem: die Kinder auf der Strecke. Es gehe schließlich um die Gesundheit "unserer Kinder", die immer häufiger adipös seien, immer früher zu Diabetikern würden, die teils an schweren Krankheiten litten. Die zentrale Frage sei doch: "Wie können wir das ändern? Dazu höre ich von der FDP wenig."

Käse-Werbung bleibt grundsätzlich erlaubt

Auch der Landwirtschaftsminister klingt genervt. "Es ist gut, dass das Thema jetzt breiter diskutiert wird und ich freue mich, dass nun auch die Kollegen von der FDP drüber reden wollen, wie ich der BILD entnehmen konnte", twitterte Özdemir in ironischem Ton.

Sein Ziel sei eine kluge Regulierung, um Kinder vor Werbung vor Lebensmitteln mit zu viel Fett, Salz und Zucker zu schützen und Eltern zu entlasten. "Alles andere sind Nebenschauplätze."

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Ein Sprecher aus Özdemirs Ministeriums betont im Gepräch mit t-online: Der Entwurf sei noch nicht fertig, die Kritik irreführend. "Es ist grundsätzlich weiter möglich, für Butter, Naturjoghurt, Käse zu werben – solange sich die Werbung nicht an Kinder richtet."

Die Stimmung aber ist schlecht, das Vertrauen gebrochen, der Ton rau. In der Opposition zeigt man sich belustigt, mancher zieht Vergleiche zu einer schon lange gescheiterten Beziehung, in der man es aber weiter miteinander aushalten muss und sich die Partner nun herzlich hassen. Alle freuten sich auf die Sommerpause, aber keiner brauche sie wohl so dringend wie die Ampel, heißt es da.

"Das werden wir nicht mitmachen"

Nun aber könnte der Ampel statt Sommerpause der nächste Kulturkampf bevorstehen. Und der fällt beim Thema Ernährung gerne besonders heftig aus. Unvergessen ist nicht nur bei den Grünen bis heute der Aufschrei im Bundestagswahlkampf 2013, nachdem diese für Kantinen einen Veggieday pro Woche vorgeschlagen hatten.

Ein Glück dürfte im Fall des Werbeverbots für das Gesetz, den Minister und die Koalition sein, dass es nicht um die Ernährung selbst, sondern lediglich um Werbung dafür geht. Es wird im Gegensatz zu Habecks "Heiz-Hammer" die Bürger auch nichts kosten, sondern trifft vor allem große Konzerne, die nur noch eingeschränkt werben dürften.

Und es entspricht eigentlich dem Willen der Bürger: Laut einer Umfrage im Auftrag der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) aus dem Januar sprechen sich 85 Prozent der Befragten dafür aus, Werbung für Lebensmittel mit viel Zucker, Fett oder Salz zu verbieten, die sich an Kinder richtet.

Ausgestanden ist die Diskussion für Özdemir deswegen aber noch lange nicht. Er hoffe auf die Vernunft und ein Einlenken der Grünen, sagt FDP-Politiker Hocker. Und kündigt an: "Den Koalitionspartner vor vollendete Tatsachen zu stellen – das werden wir nicht mitmachen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Referentenentwurf: Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Kindern vor Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt (Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz – KLWG)
  • Gespräche mit Gero Hocker, Renate Künast
  • Anfrage an das Landwirtschaftsministerium
  • bild.de: "Jetzt soll sogar Natur-Joghurt ungesund sein!"
  • sueddeutsche.de: "Ein Käse-Werbeverbot bis 23 Uhr?"
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