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Olaf Scholz wird uns länger regieren, als Ihnen lieb ist


Olaf Scholz hat gut lachen
Dieser Mann wird noch länger regieren, als Ihnen lieb ist

MeinungVon Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 19.07.2023Lesedauer: 5 Min.
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Olaf Scholz: Der Bundeskanzler hat sich den Fragen von Journalistinnen und Journalisten gestellt.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz: Der Kanzler ist zuversichtlich – zu Recht. (Quelle: Markus Schreiber/ap)

Das Bild, das die Ampel abgibt, ist mit katastrophal nur unzureichend beschrieben. Und dennoch: Olaf Scholz hat beste Chancen, auch die nächste Bundestagswahl zu gewinnen.

Als der Kanzler sich in der vergangenen Woche vor der Hauptstadtpresse in die Ferien verabschiedete, ergriff ihn eine auf den ersten – und ja: selbst auf den zweiten Blick – seltsame Fröhlichkeit. "Jingle Bells" weihnachtete das Smartphone eines Fotografen in die versammelte Andacht hinein, bis der es aus der Tasche genestelt und ruhig gestellt hatte.

Da war es um Olaf Scholz aber längst geschehen. Er bekam sich kaum mehr ein vor Lachen, machte diese Äuglein fast ohne Sehschlitz, die der frühere Journalist Markus Söder einmal "schlumpfig" genannt hatte. Eine Szene, die an die legendäre Liveaufnahme von "Are You Lonesome Tonight" erinnerte, bei der Elvis Presley vor Lachen nicht mehr singen konnte.

Aber was hat der Kanzler zu kichern? Seine Ampelkoalition ist so zerstritten wie seit Korrespondenten-Gedenken keine in der Geschichte der Bundesrepublik. Das Land steht vor leeren Kassen und riesigen Verteilungskämpfen. Die AfD klettert von Allzeithoch zu Allzeithoch. Und der als spröde geltende Kanzler bekommt einen Lachanfall, so ansteckend, dass der Saal mitlachen muss?

Der Kanzler tut so, als habe er mit all dem nichts zu tun

Der Heiterkeitsausbruch von Scholz spielt nicht in der Dimension des Lachers von Armin Laschet nach der verheerenden Flut in Nordrhein-Westfalen, der den CDU-Mann die Kanzlerschaft kostete. Politisch-perspektivisch bedeutet er vielleicht sogar das genaue Gegenteil: Dass Olaf Scholz guter Dinge ist, aus der Bundestagswahl im Herbst 2025 abermals als Regierungschef hervorzugehen.

Die Halbjahresbilanzen, die die Kolleginnen und Kollegen in den Hauptstadtredaktionen mit letzter Kraft vor der Sommerpause geschrieben haben, lesen sich nicht so. Bestenfalls als durchwachsen, oft auch als katastrophal wird die bisherige Leistung und der öffentliche Auftritt der von Scholz geleiteten Regierung eingestuft.

Bemerkenswert, wie sich da Scholz immer wieder geriert, als habe er mit den Vorgängen zwischen den Koalitionspartnern nichts zu tun. Und wie er die Wogen so lange kleinredet, bis man sich schon fast schämt, sie überhaupt gesehen zu haben. Gegen Scholz war selbst die stoische Angela Merkel eine Alarmistin. Ein möglicher Grund für die gute Laune des Olaf Scholz mag das Paradox sein, dass er nicht trotz, sondern gerade wegen der aktuell herrschenden politischen Verhältnisse zur Halbzeit seiner ersten Amtszeit gute Aussichten auf eine zweite hat.

Bemerkenswerterweise hat diese gute Aussicht ihren Ursprung in einer kühnen Behauptung des Kanzlers, die er mehr als Wogenglätter denn als politischer Augur bei der Sommerpressekonferenz hat fallen lassen: Dass sich die extrem guten Werte der AfD in den Umfragen bis zur Bundestagswahl wieder halbieren würden und die AfD damit ungefähr das Ergebnis erzielen werde, das sie auch bei der vergangenen Bundestagswahl erreicht hatte: knapp über zehn Prozent.

Mit Verlaub, Herr Bundeskanzler: Da dürften Sie irren! So wie derzeit die Mähdrescher die goldgelben Felder überall im Land abernten, wird auch die AfD in den kommenden Monaten ihr politisches Silo weiter füllen. Die Zeit neuer und drastischer Verteilungskämpfe nach den Sonderausgaben in dreistelliger Milliardenhöhe für die Corona-Krise und den Krieg in der Ukraine steht bevor.

Der Streit um das Ehegattensplitting und das Elterngeld sind erst das Wetterleuchten eines großen Gewitters. Solche Zeiten bescheren einer skrupellosen Oppositionspartei wie der AfD traumhafte Wachstumsmöglichkeiten, selbst von diesem hohen Niveau aus gesehen. Es ist wie bei der Aktie des Experten für Künstliche Intelligenz, Nvidia: Man denkt, das kann doch nicht mehr so weitergehen. Und schon legt sie weiter zu.

Dazu kommt, dass der "gärige Haufen", als den Parteiveteran Alexander Gauland die Partei einmal bezeichnete, gar nicht mehr solche Sumpfblasen der inneren Fäulnis wirft. Sollte der Prozess im Innern anhalten, hat es die Führung jedenfalls vermocht, davon nichts mehr nach außen dringen zu lassen. Im Unterschied zur Ampel, die in der Hinsicht wegen des Ausstoßes solcher Faulgase schon fast als Klimaproblem eingestuft werden muss.

Friedrich Merz hat so viel Kreide gefressen, dass es staubt

Damit zur Lage der Partei, die bislang in der Geschichte dieses Landes als einzige mit der SPD um den Kanzlerposten politisch gerungen hat, mit einer insgesamt positiven Bilanz zu ihren Gunsten. Die derzeit wahrhaft "gärige" Partei ist die Union. Wobei der Prozess der Gärung und damit Klärung nach der langen Merkel-Zeit noch nicht einmal richtig begonnen hat. "Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?", fragt sich die Kanzlerpartei CDU, und auch ihr nach einigen Irrungen schließlich gefundener Parteivorsitzender hat die Frage bis heute nicht beantwortet. Lieber wieder richtig konservativ, oder doch grün durchtränkt, wie es sich die Anhänger einer Merkel-CDU, nennen wir sie die Ruprecht-Polenz-Fraktion, wünschen?

Bei Friedrich Merz ist im Prinzip klar, wofür er steht. Aber bis auf kleine Duftmarken in die konservative Richtung hat er sich ziemlich verstellt und so viel Kreide gefressen, dass es beinahe weiß staubt, wenn er spricht. Dahinter steht einerseits die Sorge, von einem linksliberalen Kommentariat (das bis in bürgerliche Zeitungen hineinragt) dafür in die Mangel genommen zu werden. Aber auch die innerparteilichen Fliehkräfte wollte Merz bisher so unter Kontrolle halten und nicht entfesseln.

Mit dem Austausch seines Generalsekretärs hat sich Merz von diesem Sowohl-als-auch-Ansatz personell ein Stück weit verabschiedet – und emanzipiert von den guten Ratschlägen jener Beobachter, die seiner Partei ohnehin nicht gewogen sind. Carsten Linnemann war einer der ganz wenigen, die sich in der Merkel-Ära Widerspruch erlaubt hatten, der im strengen Kontrollregime innerparteilich todbringend oder jedenfalls lebensgefährlich war. Jedem wurde binnen Minuten hinterhertelefoniert, der oder die sich – und sei es nur minimal abweichend – öffentlich geäußert hatte. So hat sich das vermutlich irrige Bild etabliert, dass die Polenz-Fraktion die Mehrheit hätte in der Union.

Allein die schlussendliche Wahl von Merz zum Parteichef ist der Beleg des Gegenteils. Aber es ist wie beim Ramsch im Skat: Den Durchmarsch kann er sich trotzdem erst trauen, wenn nicht mehr die Gefahr besteht, dass jemand rechtzeitig die Absicht erkennt und mit einem überlassenen Stich alles kaputt macht. Dann wäre für Merz persönlich alles vorbei. Daher seine extreme Vorsicht.

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Die AfD stellt mit gewissem Recht eine Kanzlerkandidatin

Also sucht sich die Union weiter. Und geht suchend in die Landtagswahlen im Westen der Republik in diesem Herbst: Bayern und Hessen. Und geht dann in die Landtagswahlen im Osten (Sachsen, Thüringen und Brandenburg) im September kommenden Jahres, bei denen es die Partei regelrecht zerreißen kann. Große Flughöhe wird sie jedenfalls so nicht erreichen. Auf etwa dieser zeitlichen Höhe hat der neue CDU-Generalsekretär in seinem ersten großen Interview die Ausrufung des Kanzlerkandidaten angekündigt. Bis dahin hat die sortierte AfD bereits Alice Weidel als ihre Kanzlerkandidatin etabliert.

Mit gewissem Recht: Eine Partei, die um die 20 Prozent liegt, stellt einen Kanzlerkandidaten oder eine Kandidatin auf. Die Grünen haben das bei der Wahl 2021 bei ihrem Höhenflug auch folgerichtig getan.

Und das ist dann die Lage zur Bundestagswahl 2025: Eine AfD-Kandidatin, die Stimmen zieht, eine CDU, die sich immer noch nicht gefunden hat: eine gute Ausgangslage für einen Kanzler, mit dem Bonus des Amtsinhabers in die Wahl zu gehen. Und weil keine etablierte Partei mit der AfD koalieren wird, reicht der SPD hinterher schon ein hauchzarter Vorsprung vor der Union. Olaf Scholz bleibt Bundeskanzler und regiert mit der Union in einer Großen Koalition.

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