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Ampel-Krach: Warum wir jetzt die Große Koalition brauchen


Dauerstreit der Ampelregierung
Große Koalition jetzt!

MeinungVon Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 23.08.2023Lesedauer: 4 Min.
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Olaf Scholz, Annalena Baerbock and Christian Lindner: Ein Koalitionsstreit zieht sich durch die letzten Tage.Vergrößern des Bildes
Christian Lindner, Annalena Baerbock and Olaf Scholz: Ein Koalitionsstreit zieht sich durch die letzten Tage. (Quelle: Frederic Kern)

Der Dauerstreit der Ampel zeigt: Die Dreier-Koalition ist gescheitert. Dabei brauchen wir gerade jetzt eine funktionierende Regierung. Es bleibt nur eine Lösung.

Den Reigen seiner Sommerinterviews setzte Olaf Scholz vor einer Woche in seiner unnachahmlichen Art fort, die jeden Zen-Buddhisten wie einen ADHS-Kandidaten aussehen lässt. Angesprochen auf den Dauerstreit in seiner Koalition erlaubte sich der Bundeskanzler im ZDF den Hinweis, dass das Menschliche stimme, und was den Ton seiner beiden Partner Grün und Gelb anlangt, so habe er den Eindruck "dass viele sich über den Sommer vorgenommen haben, das genau zu ändern.“

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Und Ampel ist, wenn’s trotzdem kracht. Zum ersten Mal saß man vergangene Woche nach der Sommerpause wieder im Oval des Kabinetts beieinander. Und schon beim ersten Versuch, es anders zu machen, gerieten Liberale und Grüne wie gehabt aneinander, schlimmer noch: lähmten und blockierten die ganze Veranstaltung.

Ein Kabinett als Stuhlkreis

Das vorgesehene Wirtschafts-Hilfspaket von Finanzminister Christian Lindner nahm Familienministerin Lisa Paus als Geisel für ihren Herzenswunsch einer Kindergrundsicherung. In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) des Folgetags beharrten Lindner im Politikteil und Paus im Wirtschaftsteil mit einem Sicherheitsabstand von 15 Seiten auf ihren jeweiligen Positionen. (Mehr zum Streit zwischen Paus und Lindner lesen Sie hier.)

Agonie einer Regierung in Selbstblockade: Wäre der Handlungsdruck nicht so hoch, könnte man da einfach Abzüge in der B-Note, bei den Haltungsnoten, geben. Aber die Lage ist wirklich ernst, Deutschland droht der wirtschaftliche Abstieg, mit dem der politische Aufstieg der AfD einhergeht. Ein Kabinett als Stuhlkreis in permanenter Suche nach einem Fundament der Gemeinsamkeit ist da ein gefährlicher Zustand.

Von Anbeginn hatten sich Grüne und Liberale (nach den hoffnungsstiftenden Koalitionsverhandlungen) ineinander verhakt. Immer, wenn ein kleiner Sprung über den eigenen Schatten eine doppelt gute Lösung in der Sache versprochen hätte, haben die beiden Koalitionäre es vermocht, das zu vermasseln.

Kolumnist Christoph Schwennicke
Kolumnist Christoph Schwennicke (Quelle: Antje Berghäuser)

Christoph Schwennicke

ist Geschäftsführer der Verwertungsgesellschaft Corint Media. Er arbeitet seit mehr als 25 Jahren als politischer Journalist, unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung" und den "Spiegel". Zuletzt war er Chefredakteur und Verleger des Politmagazins "Cicero". Ab 1. September wird er Mitglied der Chefredaktion von t-online und übernimmt die Leitung des Exklusivbereichs. Hierzu gehören das Hauptstadtbüro, die investigative Recherche, das Büro in Washington und Zeitgeschichte.

Was wäre das für ein Satz nach vorn gewesen, wenn die FDP einem Tempolimit von 120 oder 130 auf den Autobahnen zugestimmt hätte und die Grünen dafür einer substanziellen Laufzeitverlängerung für die verbliebenen deutschen Atomkraftwerke? Beides hätte dem Klima geholfen – und Letzteres wenigstens einen kleinen Beitrag dazu geleistet, dass Deutschland unter den Wirtschaftsnationen nicht endgültig Weltmeister beim Strompreis geworden wäre.

Inzwischen ist es schon so weit, dass den selbst herbeigeführten Fehlentwicklungen weitere Fehler hinterhergeworfen werden, in der Hoffnung, die Folgen des falschen Tuns einzudämmen. Die Idee eines Strompreisdeckels für die Industrie ist so ein Fall. Gewissermaßen ein Fehler zweiter Ordnung.

Kanzler mahnt, nicht öffentlich zu streiten

Es ist wie bei den Waldbränden dieses Sommers: Selbst wenn das Feuer gerade nicht lichterloh brennt – beim Löschen der Brände greifen die Koalitionäre immer wieder nach Eimern, deren Inhalt sich dann nicht als Wasser, sondern als Benzin erweist. Wie zu hören ist, geht das diese Woche so weiter: Um die Grünen milde zu stimmen und das dringend nötige Wachstumschancengesetz für die Wirtschaft auf den Weg zu bringen, soll der Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes, also die freie Geschlechtswahl, jetzt schnell umgesetzt werden. Es soll diesen Mittwoch im Kabinett beschlossen werden. Man muss nicht die Frauenzeitschrift "Emma" abonniert haben, um zu wissen, dass dieses Gesetz so ziemlich als letztes geeignet ist, Ruhe in den politischen Betrieb und die eigenen Reihen zu bekommen.

Am Wochenende ermahnte der Bundeskanzler dann beim Tag der offenen Tür der Bundesregierung seine Koalitionäre, doch bitte nur hinter verschlossenen Türen zu streiten und dort zu einem Kompromiss zu finden, aber nicht vorher öffentlich. Da darf Olaf Scholz allerdings daran erinnert werden, dass auch seine Parteispitze in den vergangenen Monaten mit unabgestimmten Alleingängen gegen die Position ihres Kanzlers aufgefallen war, und das nicht nur bei Nebensächlichkeiten.

Parteichef Lars Klingbeil forderte, das Ehegattensplitting zu beenden, was Scholz ebenso abräumen musste wie die Forderung der Co-Parteichefin Saskia Esken nach einer Viertagewoche. Allerdings war dort dann beide Male ganz schnell wieder Ruhe nach der Intervention aus dem Kanzleramt.

Zwei Jahre zuzuwarten, erscheint als unverantwortlich

Der Befund ist zur Halbzeit dieser Legislaturperiode klar: Mit dieser Ampel wird das nichts mehr. Es ist also nicht überstürzt, von der Diagnose zur Frage nach der Lösung überzugehen. Wenn die wirtschaftliche Lage des Landes nicht weiter Schaden nehmen soll, dann erscheint es als unverantwortlich, zwei Jahre zuzuwarten, bis eine Bundestagswahl eine neue Regierungskonstellation hervorbringt – nach Lage der Dinge wohl eine Große Koalition.

SPD und CDU beziehungsweise die Union sollten daher sondieren, ob sie nicht schon jetzt in ein Bündnis der Verantwortung gehen. Die inhaltlichen Übereinstimmungen von Friedrich Merz und Olaf Scholz sind mutmaßlich größer als jene in der Dreierkonstellation dieser Ampel.

Mag sein, dass das in vielen Ohren naiv klingt. Denn warum sollte sich die Union jetzt dazu bereit erklären, einem SPD-Kanzler aus der Patsche zu helfen? Warum nicht einfach abwarten, bis alles noch schlimmer geworden ist? Sonthofen-Strategie nennt man ein solches zuwartendes Oppositionsverhalten angesichts einer strauchelnden Regierung. Die Allgäu-Stadt Sonthofen an der Iller ist hierfür Namensgeber, seit Franz Josef Strauß dort bei einer CSU-Klausur 1974, zwei Jahre vor der regulären Bundestagswahl 1976, diese Strategie für die damals ebenso wie heute oppositionelle Union ausgerufen hatte.

Nicht die Union, sondern die AfD profitiert

Die Antwort lautet: Weil für solche Machtspielchen jetzt der falsche Zeitpunkt ist. Und weil im Unterschied zu Sonthofen in den Siebzigern nicht zwangsläufig die Union, sondern die AfD profitieren würde. Sollte dieses Bündnis der Verantwortung gelingen, könnte die Union außerdem mit Blick auf die kommende Wahl sagen: Seit wann ist es besser geworden? Wodurch ist es besser geworden? Das wäre ein Pfund, das sogar den Kanzlerbonus ausgleichen könnte.

Und es wäre ein passender Zeitpunkt, einen Satz mit Wahrhaftigkeit und Leben zu erfüllen, der sonst immer nur mit Inbrunst und Andacht vorgetragen wird: Erst das Land, dann die Partei.

Sonthofen ist übrigens seinerzeit gescheitert. Die Union wurde zwei Jahre später zwar stärkste Kraft. Die SPD stellte aber auch nach der Bundestagswahl den Bundeskanzler in einer sozialliberalen Koalition.

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