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Markus Söder fordert Obergrenze für Migration – umsetzbar in Deutschland?


Streit um Kurs
Ist das die Lösung für die deutsche Asylpolitik?


Aktualisiert am 19.09.2023Lesedauer: 7 Min.
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Migranten auf Lampedusa: Auf der kleinen italienischen Insel kamen vergangene Woche mehrere Tausend Menschen mit Booten aus Tunesien an. (Quelle: Yara Nardi/reuters)

Obergrenze, mehr Abschiebungen, sicherere Herkunftsstaaten: In der deutschen Politik wird derzeit debattiert, wie die Zahl der Asylbewerber gesenkt werden kann. Ein Überblick.

Die Bilder aus Lampedusa wirken auch in Deutschland: Mehrere Tausend Bootsmigranten kamen innerhalb einer Woche auf der kleinen Mittelmeerinsel an – zwischenzeitlich waren dort mehr Migranten als Einwohner. Mehr dazu lesen Sie hier.

Auch in Deutschland werden die Klagen aus den Kommunen wieder lauter. Sie seien überfordert mit der schieren Menge an Asylbewerbern, heißt es. Nicht nur an Unterkünften mangele es, auch an weiterführenden Integrationsangeboten. Das ist kaum verwunderlich, denn die Zahl der Flüchtlinge ist im vergangenen Jahr deutlich gestiegen. Neben rund einer Million Ukrainern kamen mehr als 200.000 Asylbewerber aus anderen Staaten. In diesem Jahr sind bis Juli bereits 175.000 Asylerstanträge gestellt worden.

In dieser Diskussion melden sich nun immer mehr Politiker zu Wort, die das Problem lösen wollen. Welche Vorschläge kursieren derzeit? Und sind die überhaupt umsetzbar? Ein Überblick.

Obergrenze für Integration

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fordert eine Deckelung von Migranten in Deutschland auf maximal 200.000 pro Jahr. "Wir kommen doch jetzt schon mit der Unterbringung und dem Bau von Schulen, Kitas und Wohnungen nicht mehr hinterher. Deshalb braucht es in Anlehnung an die Obergrenze eine neue feste Richtgröße: die Integrationsgrenze", sagte er in einem Interview mit der "Bild am Sonntag".

Ist das umsetzbar?

Der Vorstoß ähnelt stark der Obergrenze, die die CSU unter der Federführung des damaligen Innenministers Horst Seehofer 2017 in der vorherigen Bundesregierung durchsetzen wollte. Die Große Koalition einigte sich damals nach langem Streit auf einen Kompromiss: Es wurde keine starre Obergrenze festgeschrieben, wohl aber die Formulierung, dass man erreichen wolle, dass die Zahl der Aufnahmen "200.000 Menschen im Jahr nicht übersteigt".

Es war also keine starre Obergrenze, sondern vielmehr eine Absichtserklärung. Eine fest definierte Grenze hielten Juristen bereits damals für kaum umsetzbar. Auch Söder bezieht sich in seinem "Bild"-Interview nun auf die Regelung, die die alte Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel getroffen hatte und beschreibt diese als großen Erfolg, zu dem die Ampel zurückkehren müsse.

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Die dort festgeschriebenen Maßnahmen allerdings hatte die Große Koalition damals bestenfalls teilweise umgesetzt. Beispielsweise sollten Tunesien, Marokko und Algerien zu sicheren Herkunftsländern ernannt werden – das Vorhaben scheiterte damals am Bundesrat. Auch der Zustand des Dublin-Systems, das eigentlich gestärkt werden sollte, hat sich massiv verschlechtert.

Es besagt eigentlich, dass ein Asylbewerber im ersten EU-Land Asyl beantragen muss, in dem er angekommen ist. Beispiel: Ein Eritreer reist in Italien ein, wird dort registriert, stellt dann aber einen Antrag in Deutschland. In der Theorie müsste er nach Italien zurückgebracht werden. In der Praxis verwehrt Italien solche Rückstellungen bereits lange, blockiert sie mittlerweile komplett. Auch Rückstellungen nach Griechenland sind nach Gerichtsurteilen kaum mehr möglich, da die Menschenrechtslage für Asylbewerber dort zu prekär ist.

Das fordert Söder konkret

Um das Ziel von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr zu erreichen, fordert Söder nun deutlich mehr Grenzpolizei nach bayerischem Vorbild, mehr Abschiebungen sowie die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten etwa auf Staaten wie Tunesien, Marokko und Indien. Tatsächlich hat die Bundesregierung die Zahl der Abschiebungen bereits deutlich steigern können. Über eine Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten streitet die Ampelregierung derzeit (zu beiden Punkten lesen Sie weiter unten mehr).

Innenministerin Nancy Faeser hat zudem bereits angekündigt, die Grenze zu Polen deutlich stärker kontrollieren zu lassen – stationäre Kontrollen aber lehnt sie ab. Derzeit gibt es deutschlandweit nur in Bayern stationäre Kontrollen an der Grenze zu Österreich.

Individuelles Recht auf Asyl abschaffen

Diesen Vorschlag brachte der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, im Juli ins Gespräch – und bekam Unterstützung von SPD-Urgestein Sigmar Gabriel. Nach Freis Vorschlag wäre es dann nicht mehr möglich, auf europäischem Boden Asyl zu beantragen – stattdessen könnte Europa Geflüchtete über Kontingente aufnehmen.

Gabriel hatte sich im August ebenfalls dafür ausgesprochen: "Der Versuch, mit einem Individualrecht auf Asyl und der Genfer Flüchtlingskonvention auf das moderne Phänomen von Massenflucht zu reagieren, wird uns nicht zum Erfolg führen", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Worum geht es genau?

Ein individuelles Recht auf Asyl bedeutet, dass jeder Asylbewerber das Recht hat, dass sein Antrag einzeln auf die Frage hin geprüft wird, ob die Person politisch verfolgt wird. Das ist zum einen im Artikel 16a im Grundgesetz festgeschrieben. Ausgenommen sind Personen, die aus sicheren Drittstaaten kommen. Der Artikel kommt allerdings kaum zur Anwendung: Im vergangenen Jahr erhielten lediglich 0,8 Prozent der Asylbewerber Schutz nach dem Grundgesetz.

Weit mehr zur Anwendung kommt das Europa- und Völkerrecht. Zentral dabei ist die Genfer Flüchtlingskonvention, die ebenfalls einen individuellen Anspruch vorsieht. Das ist festgeschrieben im Grundsatz der Nichtzurückweisung: Wessen Leben und Freiheit im Heimatland bedroht ist, darf dorthin nicht abgeschoben werden. Und um festzustellen, dass das der Fall ist, bedarf es einer individuellen Prüfung.

Was sagen Experten?

Der Vorstoß ist scharf kritisiert worden – eine Vielzahl von Migrationswissenschaftlern halten ihn für kaum bis gar nicht umsetzbar. Der "Rat für Migration", dem 220 Forscher angehören, weist etwa darauf hin, dass Deutschland dann nicht nur den Artikel 16a abschaffen, sondern gemeinsam mit allen EU-Staaten aus den Genfer Konventionen austreten müsste.

Denn im EU-Vertrag ist festgeschrieben, dass die Asyl- und Flüchtlingspolitik mit diesem Abkommen im Einklang stehen muss. Eine Abschaffung scheint derzeit unwahrscheinlich. Und die Wissenschaftler sehen ein weiteres Problem, selbst wenn das Individualrecht abgeschafft werden würde.

So würde es etwa nicht automatisch dazu führen, dass keine Flüchtlinge mehr in Europa ankommen. Diesen Personen aber würde dann der Zugang zu Sozialleistungen verweigert werden, was nach Einschätzung der Wissenschaftler der im Grundgesetz garantierten Menschenwürde widerspreche.

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Mehr Abschiebungen durchführen

Das Innenministerium arbeitet derzeit gemeinsam mit den Bundesländern daran, die Abschieberegeln zu verschärfen. Dabei stehen laut dem Diskussionspapier "Verbesserung der Rückführung" verschiedene Änderungen im Raum:

So sollen etwa Menschen, die in naher Zukunft abgeschoben werden sollen, bis zu vier Wochen statt wie derzeit bis zu zehn Tage in Gewahrsam genommen werden können. Das soll nach richterlicher Anordnung vor allem dann durchgesetzt werden, wenn zu befürchten ist, dass die betroffenen Personen ihre Abschiebung verhindern wollen.

Die Polizei soll mehr Befugnisse erhalten, um Ausreisepflichtige für eine Abschiebung aufzuspüren. Zudem werden strengere Regeln für Geduldete in den Raum gestellt. Bislang gilt: Wer mit einer Duldung bereits länger als ein Jahr in Deutschland lebt, muss einen Monat vorher über eine Abschiebung informiert werden.

Diese Frist soll demnach abgeschafft werden, sodass auch diese Menschen überraschend ausgewiesen werden können. Wird nachgewiesen, dass ein Ausländer einer kriminellen Organisation angehört, soll die Person auch ohne strafrechtliche Verurteilung ihren Aufenthaltstitel verlieren können.

Ist das umsetzbar?

An Abschiebungen beißen sich die Bundesregierungen seit Jahren die Zähne aus. Es gibt viele Hindernisse. Derzeit scheitern laut Ministeriumsangaben etwa zwei von drei Abschiebungen, etwa weil die Person nicht auffindbar ist, weil kurzfristig Rechtsmittel eingelegt werden oder weil sich Piloten bei einem Linienflug weigern, die Ausreisepflichtigen zu befördern. Weitet die Bundesregierung nun also die überraschenden Ausweisungen sowie die Befugnisse der Bundespolizei aus, könnte das dazu führen, dass mehr Menschen abgeschoben werden.

Tatsächlich hat die aktuelle Bundesregierung die Zahl der Abschiebungen im ersten Halbjahr 2023 bereits deutlich gesteigert – um 27 Prozent auf mehr als 7.000. Zudem steigt die Zahl derer, die Deutschland freiwillig verlassen – und dafür finanzielle Unterstützung bekommen. Wie das Ministerium mitteilte, ist die Zahl der Ausreisepflichtigen erstmals seit Jahren gesunken.

Das hat allerdings nicht nur mit Abschiebungen und freiwilligen Ausreisen zu tun. Die Ampel hat mit dem Chancenaufenthaltsrecht auch vielen Langzeit-Geduldeten eine neue Tür geöffnet. Sie können unter bestimmten Voraussetzungen – sie dürfen etwa nicht wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt worden sein – eineinhalb Jahre eine Art Aufenthaltserlaubnis auf Probe erlangen. Dies kann dazu führen, dass die Person später dauerhaft in Deutschland bleiben kann. Auch das senkt die Zahlen der Ausreisepflichtigen.

Knapp 280.000 Ausländer gelten als ausreisepflichtig. Allerdings kann nur ein kleiner Teil nach derzeitigem Recht überhaupt abgeschoben werden. Vier von fünf haben etwa eine Duldung. Die wird in der Regel dann ausgestellt, wenn ein Asylantrag abgelehnt wird, allerdings Gründe gegen eine Abschiebung vorliegen – gesundheitliche, familiäre oder berufliche. Wenn diese Gründe nicht mehr bestehen, eine Krankheit etwa geheilt ist, wäre eine Abschiebung möglich.

Auch wenn die Person etwa eine Ausbildung macht, ist sie für diese Zeit in der Regel vor Abschiebungen sicher. Ein Vergleich der Abschiebezahlen mit der Gesamtzahl der Ausreisepflichtigen führt deswegen in die Irre.

Mehr sichere Herkunftsländer

Wer aus einem sicheren Herkunftsland kommt und in Deutschland Asyl beantragt, muss damit rechnen, dass der Antrag mit hoher Wahrscheinlichkeit abgelehnt wird. Die Möglichkeit, dagegen zu klagen, ist eingeschränkt. Derzeit gelten alle EU-Staaten als sicher sowie Ghana, Senegal und die Staaten auf dem Balkan.

Das Bundeskabinett hat Ende August einen Gesetzesentwurf verabschiedet, nach dem Moldau und Georgien als sicher eingestuft werden sollen. Der Entwurf muss noch durch den Bundestag und den Bundesrat. Menschenrechtsorganisationen kritisieren das. Pro Asyl teilte etwa mit, es gebe in beiden Staaten "keine landesweite Sicherheit und keine Sicherheit für alle Gruppen".

Ist das umsetzbar?

Dass das Gesetz durchgeht, scheint sicher. Einen großen Unterschied würde das allerdings nicht machen. Georgier stellten in diesem Jahr knapp 6.700 Erstanträge, Moldauer noch mal weit weniger.

Geht es nach der FDP, sollen auch die Maghreb-Staaten Libyen, Algerien, Tunesien, Marokko, Mauretanien und Westsahara als sicher eingestuft werden. Die Liberalen werden dabei zwar von der Union unterstützt, in der SPD und bei den Grünen gibt es allerdings wegen der Menschenrechtslage in diesen Staaten große Vorbehalte. Die Grünen lehnen das Konzept vollumfänglich ab.

Auch darüber, ob ein größerer Pool an sicheren Herkunftsstaaten die Kommunen entlastet, gibt es unterschiedliche Meinungen. CDU-Chef Friedrich Merz zeigt sich davon überzeugt, die Grünen halten dagegen. Der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt warf Merz etwa vor, "von der Realität abzulenken".

Es sei "populistisch, so zu tun, als könne man Menschen zurückführen, wenn man wild sichere Herkunftsländer ausruft". Dafür müsse es zunächst ein Land geben, "das die Menschen auch zurücknimmt und ihnen Perspektiven bietet".

Verwendete Quellen
  • rat-fuer-migration.de: "Das individuelle Asylrecht ist die historische Konsequenz aus dem Scheitern von Kontingent-Lösungen"
  • rnd.de: "Warum Sigmar Gabriel eine Asylwende wie in Dänemark will"
  • spiegel.de: "Innenministerin Faeser wirft Ex-SPD-Chef Gabriel Populismus vor"
  • bmi.bund.de: "Gesetz über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung im Bundesgesetzblatt verkündet"
  • dserver.bundestag.de: "Drucksache 20/8046"
  • bild.de: "Pass weg für kriminelle Doppel-Staatsbürger"
  • verfassungsblog.de: "Obergrenze ist nicht gleich Obergrenze – und warum es derzeit trotzdem keine gibt"
  • bamf.de: "Aktuelle Zahlen August 2023"
  • faz.net: "Das individuelle Recht auf Asyl muss ersetzt werden"
  • bmi-bund.de: "Diskussionsentwürfe für ein Gesetz zur Verbesserung der Rückführung und zu Datenübermittlungsvorschriften im Ausländer- und Sozialrecht vorgelegt"
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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