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Bodo Ramelow über Wagenknecht-Pläne: "Sollte allen suspekt sein"


Bodo Ramelow
"Das konnte Frau Wagenknecht nicht aushalten"

  • Annika Leister
InterviewVon Annika Leister

Aktualisiert am 10.10.2023Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Linken-Politiker Ramelow, Wagenknecht: Bekommt er von seiner Genossin Konkurrenz in Thüringen? (Quelle: Imago)

Die AfD heimst Spitzenwerte ein, Sahra Wagenknecht will eine eigene Partei gründen. Was bedeutet das für das ostdeutsche Superwahljahr 2024? Ein Gespräch mit Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow.

Die Landtagswahlen in Bayern und Hessen sind eine Zäsur: Nie schnitt die AfD im Westen besser ab, nie war eine in Teilen rechtsextreme Partei dort so stark. Die Erfolge werfen einen Schatten auf das ostdeutsche Superwahljahr 2024, wenn mit Brandenburg, Sachsen und Thüringen Länder ihre Bürger an die Urne rufen, in denen die AfD in Umfragen schon jetzt stärkste Kraft ist.

Düstere Vorzeichen für Bodo Ramelow (Linke), der als Ministerpräsident Thüringen regiert. Hier tritt die AfD unter Leitung von Björn Höcke nicht nur besonders extrem auf, sondern ist auch besonders erfolgreich. Mehr als 30 Prozent Zustimmung heimst sie aktuell in Umfragen ein. Zunehmend stellt sich die Frage: Ist eine Regierung ohne die AfD überhaupt noch möglich?

Gespannt blicken deswegen derzeit viele auf eine mögliche Parteineugründung durch Sahra Wagenknecht. Die prominenteste Linke, die oft populistisch formuliert und vor allem im Osten gefeiert wird – sie könnte die AfD kleinmachen, so die Hoffnung. Bodo Ramelow teilt diese Hoffnung nicht.

t-online: Herr Ramelow, Sie haben immer betont, dass die hohe Zustimmung zur AfD kein Ost-Problem sei. Lange wollte Ihnen niemand so recht glauben. Fühlen Sie sich nach den Landtagswahlen in Hessen und Bayern bestätigt?

Bodo Ramelow: Bitter bestätigt. Die hohe Zustimmung ist in Ost wie West besorgniserregend.

Die AfD ist in Bayern nun drittstärkste Kraft, in Hessen sogar zweitstärkste. Wie groß ist das Problem für Deutschland?

Wir haben in ganz Deutschland jetzt eine Partei, wie es sie seit 1945 nicht mehr gab, und die ist faschistisch.

"In Teilen rechtsextrem" oder "extrem rechts" ist die favorisierte Sprachregelung, um die AfD zu beschreiben. Warum sagen Sie: Die AfD ist eine faschistische Partei?

Als Sammlungsbewegung funktioniert sie wie ein Staubsauger, nimmt jeden Frust in der Bevölkerung auf und schürt daraus immer mehr Ressentiments. Sie befeuert Antisemitismus, Hass auf gesellschaftliche Minderheiten und zeigt eine klare Affinität zu diktatorischen Systemen. Sie benutzt NS-Formeln in ihrer Sprache. Und wenn sie von "Altparteien" und "Systemparteien" redet, meint sie immer alle anderen, das heißt aber nichts anderes als: Es soll keine Parteien neben uns geben. Eine solche Kraft will auf lange Sicht den Parlamentarismus und unsere Demokratie zerstören.

Verzweifelt wird jetzt nach Lösungen, nach Rezepten gegen den Rechtsruck gesucht. Haben Sie eins gefunden?

Es gibt nicht das eine Rezept gegen den Rechtsruck. Zunächst einmal muss man sich der Realität stellen, dass diese Entwicklung nun auch in Deutschland angekommen ist. Und man muss zeigen, was die AfD in Wirklichkeit ist: nämlich eine antidemokratische Kraft.

Das ist in den letzten Jahren versucht worden. Trotzdem sagen 85 Prozent der AfD-Wähler in Hessen und Bayern: Es ist uns egal, ob die AfD rechtsextrem ist. Warum sind die Deutschen da so taub?

Weil wir uns lange auf einem gesellschaftlichen Grundkonsens ausgeruht haben. Wir waren uns sicher, dass es in Deutschland kein Rütteln am Holocaust und an der NS-Vergangenheit gibt, dass keine NS-Verharmlosung stattfinden darf. Das aber macht die AfD permanent.

Ein Beispiel?

Thüringens AfD-Chef Björn Höcke lenkt die Partei mit einem Netzwerk von Rechtsextremen und nimmt im Zusammenspiel mit Götz Kubitscheks "Institut für Staatspolitik" in Schnellroda massiven Einfluss auf die Ausrichtung der AfD. Aber Höcke sitzt nicht im Bundesvorstand der AfD, er sitzt nicht im Bundestag, und er hat auf der Bundesebene keine Funktion. So fällt sein Forcieren einer "180-Grad-Wende" in der Erinnerungskultur nicht bundesweit auf. Dasselbe gilt für die Rechtsextremisten aus Schnellroda. Die geistigen Brandstifter agieren dezent, aber effektiv unter der Wahrnehmungsschwelle.

Aber noch mal: Der Rechtsextremismus ist den AfD-Wählern entweder nicht bewusst genug oder egal.

Ja, aber es ist so – wer die AfD wählt, wählt Rechtsextreme. Und daher blicke ich stärker auf die, die es noch nicht getan haben, aber den Sog auch verspüren. Die frage ich, ob der lange gehaltene demokratische Konsens jetzt nicht mehr gilt. Wir müssen doch weiter die Grenze ziehen, wenn es um die NS-Barbarei geht, um Auschwitz, um die Massenvernichtung der Nazis. Was bedeutet es, wenn wir "Nie wieder" sagen? Die Antworten auf diese großen Fragen müssen wir jetzt wieder stärker in den Mittelpunkt stellen.

Migration ist das Thema, das die Menschen bei diesen Wahlen am stärksten zur AfD getrieben hat. Warum?

Weil Deutschland da keine gute Performance aufzuweisen hat. Wir haben hohe Ankunftszahlen und massive Verteilungsprobleme. Die Gemeinden fühlen sich überfordert, die Gesundheitskosten der aus der Ukraine kommenden Menschen bleiben bei ihnen hängen. Das ist kein schöner Zustand.

Welche Lösung sehen Sie?

Es gibt nicht die eine Lösung. Aber wir müssen in ganz Deutschland die Verfahren tatkräftig verändern und vor allem beschleunigen. Ein zentrales Beispiel, das sofort geändert werden muss und kann, ist, dass jeder, der zu uns kommt, arbeiten gehen können soll. Wir zwingen Menschen bundesweit durch unsere Regelungen ja in die Arbeits- und Tatenlosigkeit. Wer zu uns kommt, Schutz sucht und bekommt, muss auch das Recht haben, sich von seiner Hände Arbeit selbst den Lebensunterhalt verdienen zu können.

Die Verfahren aber sind langwierig. Wie wollen Sie das ändern?

Ich werde bei der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz weiter darauf drängen, dass Bund und Länder gemeinsam Änderungen vornehmen. Innerhalb von drei Monaten müssen Asylverfahren geklärt sein, ab dann muss man arbeiten und sich selbst versorgen können. Wir brauchen auch eine wirklich europäische Migrationspolitik. Wenigstens die Verteilung von Schutzsuchenden und die sozialen Standards dafür sollten überall in Europa gleich sein. Die dann nach Deutschland Kommenden sollten wir so behandeln, wie es mir ein sächsischer Handwerkermeister mal gesagt hat: Uns ist egal, woher du kommst, aber nicht, wohin du willst. Das ist die richtige Einstellung.

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Sachsen, Thüringen, Brandenburg wählen nächstes Jahr. Es ist das Jahr, auf das sich die AfD seit Langem besonders freut. Haben Sie Angst?

Angst hätte ich, wenn ich keine Chance mehr für Demokraten sehen würde. Das sehe ich aber nicht.

Sie regieren schon jetzt mit einer Minderheitsregierung. Im nächsten Jahr wird eine Regierungsbildung ohne die AfD vorhersehbar noch schwieriger. Wird Thüringen ohne die AfD unregierbar?

Nein. Für viele in ganz Deutschland galt Thüringen schon nach der letzten Wahl als unregierbar. Aber es ist mir als Ministerpräsident gelungen, bei vielen wichtigen Fragen die notwendigen Mehrheiten über Parteigrenzen hinweg zu organisieren. Das macht doch Hoffnung.

Die AfD schneidet jetzt in Umfragen aber sehr viel besser ab als bei der letzten Wahl.

Die Regierungsbildung wird auf jeden Fall nicht einfach werden, ohne Frage.

Welche Rolle spielt die CDU in Ihren Plänen?

Ich würde mir wünschen, dass wir mit der CDU wieder einen Stabilitätsrahmen hinbekommen. Das heißt: Wir regieren nicht zusammen, aber unterstützen uns.

Am stabilsten wäre nach derzeitiger Lage allerdings ein Bündnis aus Linken und CDU.

Über konkrete Koalitionsmöglichkeiten spekuliere ich jetzt nicht. Wir müssen erst mal in den Wahlkampf gehen und am Wahlabend ein Ergebnis haben.

Die CDU schließt die Linke als Koalitionspartner aber bisher kategorisch aus. Würde es nicht den Wählern eine neue Option eröffnen?

Erst mal würde es mich freuen, wenn die CDU in Thüringen als konservative Kraft wieder zu alter Stärke zurückkehren und der AfD dabei Stimmen abnehmen würde.

Zuletzt hatte die Thüringer AfD mit der CDU gestimmt und so eine Steuersenkung in Thüringen durchgesetzt.

Das war politisch äußerst unklug von der CDU. Wir hätten stattdessen das CDU-Anliegen der gezielten Familienförderung mitgetragen. Das war mein Angebot.

Aber nicht die breite Steuersenkung.

Wir hätten ein Förderprogramm für Familien, die mit ihren Kindern erstmalig Eigentum bilden wollen, zum 1.1.2024 in Kraft setzen können. So konnte die AfD eine allgemeine Steuersenkung und damit ein Steuergeschenk für die Immobilienwirtschaft als ihren Erfolg verbuchen und auch noch jubeln: Die Brandmauer ist gefallen.

Befürchten Sie solche Fälle in den nächsten Monaten noch häufiger?

Der nächste Antrag, der nur mit der AfD geht, liegt schon auf unserem Tisch, da will die CDU per Gesetz das Gendern verbieten. Dabei gibt es dafür keinerlei Notwendigkeit. Es gibt keine Pflicht zum Gendern in Thüringen, die Sprache ist frei, jeder darf sprechen und schreiben, wie immer er möchte.

Erwarten Sie nach dem massiven Aufschrei beim letzten Mal, dass die CDU den Antrag noch zurückzieht?

Es wäre schön, wenn die CDU noch mal nachdenkt und zeigt, dass sich zum Beispiel die Hochschulen weiter auf sie verlassen können. Denn dort gilt Wissenschaftsfreiheit und die entscheiden selber, wie im Wissenschaftsbetrieb gesprochen oder geschrieben wird.

Ihre eigene Partei ist ausgezehrt, sie ist im Westen in beide Landtage nicht reingekommen. Sind die Tage der Linkspartei im Westen gezählt?

Das Ergebnis in Hessen ist bitter. Die Linke-Fraktion dort hat 15 Jahre lang hervorragende Arbeit geleistet. Sie hat einst eine historische Weichenstellung bei den Studiengebühren erreicht, sie hat rund um die Aufklärung zum NSU-Komplex unfassbar viel geleistet. Dass diese Kraft nun ausfällt, bedauere ich sehr.

Sahra Wagenknecht will eine neue Partei gründen. Welche Effekte hätte das auf die Linke, welche auf die AfD?

Im Moment deutet nach wie vor nichts darauf hin, dass es bis zu den Europawahlen mit einer Partei etwas wird. Und das letzte gescheiterte Projekt Wagenknechts war bekanntlich ein Bündnis.

Einen Verein mit dem Namen "BSW" gibt es schon, gegründet von Linken, das Kürzel soll für "Bündnis Sahra Wagenknecht" stehen.

Für die Linke sind all diese Aktivitäten ein großes Problem, selbst hier in Thüringen, wo wir einen gut arbeitenden Landesverband haben.

Mehrere Politiker – darunter Bundestagsabgeordnete und ehemalige Regierungsmitglieder – fordern seit Montag den Ausschluss von Sahra Wagenknecht aus der Linken. Kommt das nicht viel zu spät?

Ich halte nicht viel von Parteiausschlüssen. In diesem Fall aber kann ich den Schritt der Unterzeichnenden verstehen.

Warum?

Eine Partei soll lebendig und breit aufgestellt sein. In der Linken hatte auch die Position von Frau Wagenknecht immer einen Platz. Als die Partei nicht mehrheitlich ihrer Meinung folgte, konnte sie das nicht aushalten. Dann hat sie angefangen, nicht um ihre Positionen zu kämpfen, sondern außerhalb der Partei eine neue Wirkungsbasis zu suchen. So verstehe ich jedenfalls innerparteiliche Vielfalt nicht, und es ist kein Beitrag zum innerparteilichen Pluralismus, sondern wirkt letztlich gegen die Partei.

Wäre eine linkspopulistische Partei unter Führung von Wagenknecht nicht auch eine Hoffnung angesichts des Rechtsrucks, das kleinere Übel?

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Bodo Ramelow
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