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Berliner Bundestagswahl wird teilweise wiederholt: Urteil kommt viel zu spät


Urteil zur Bundestagswahl
Berlin kann es einfach nicht

  • Florian Schmidt
MeinungVon Florian Schmidt

19.12.2023Lesedauer: 4 Min.
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Doris König, Vizepräsidentin des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts: Die Bundestagswahl in Berlin war teilweise ungültig. (Quelle: Uwe Anspach/dpa)

Berlin muss den Bundestag teilweise neu wählen. Damit war zu rechnen. Umso mehr bleibt offen: Warum hat die Entscheidung so lange auf sich warten lassen?

Sie standen bis nach 18 Uhr Schlange, um zu wählen, kehrten teils unverrichteter Dinge um, weil Stimmzettel fehlten – und dürfen jetzt, fast zweieinhalb Jahre später, noch einmal ran: Das Bundesverfassungsgericht hat die Pannen-Bundestagswahl in Berlin für teilweise ungültig erklärt. Am 11. Februar 2024 sind deshalb Zehntausende Berliner in 455 Stimmbezirken noch einmal zur Wahl aufgerufen.

Damit liegt die Zahl der beanstandeten Wahlbezirke derjenigen sehr nahe, die der Beschluss der Ampel-Koalition für die Nachwahl vorsah: 327 der insgesamt 2.256. CDU und CSU hingegen hatten mit ihrer Beschwerde in Karlsruhe darauf abgezielt, dass in fast der Hälfte aller Stimmbezirke noch einmal neu gewählt wird. Verkürzt ließe sich also sagen: Nachdem die Union das Schuldenbremsen-Urteil herbeigeführt hatte, das die Ampel schwer belastet, gelingt ihr jetzt höchstens ein kleiner Erfolg, nicht jedoch ein Sieg auf ganzer Linie.

Doch diese Betrachtung allein greift zu kurz. Daneben drängen sich mindestens noch drei weitere Befunde in den Vordergrund.

Die Hauptstadt ist kläglich gescheitert

Erstens: Berlin kann's einfach nicht. Das ist in weiten Teilen der Republik hinlänglich bekannt, muss aber angesichts der Entscheidung aus Karlsruhe noch einmal betont werden.

Wahlen sind das Hochamt der Demokratie. Ihre korrekte Durchführung ist einerseits von absoluter Priorität und andererseits – wenn man mal ehrlich ist – eigentlich keine komplizierte Sache: Durchzählen, wie viele Wahlberechtigte in einem Stimmkreis leben, genügend Stimmzettel ausdrucken, Stifte bereitlegen, dafür sorgen, dass alle Wahllokale gut erreichbar sind. Und am Ende wird ausgezählt.

Die Hauptstadt ist im September 2021 gleich an mehreren dieser simplen Aufgaben kläglich gescheitert. Damit hat sie selbst die schlimmsten Vorurteile, die mancher im Süden des Landes gegenüber Berlin haben mag, übertroffen.

Die vergeigte Wahl ist und bleibt damit ein – nun höchstrichterlich beurteiltes – Armutszeugnis für Berlin. Und es ist noch immer ein Skandal, dass abseits der kurz darauf zurückgetretenen Landeswahlleiterin dafür niemand die politische Verantwortung übernommen hat: Berlins zuständiger Innensenator Andreas Geisel (SPD) ließ sich gar noch mit einem Posten im neuen Senat von Franziska Giffey (SPD) belohnen. Dit is Berlin!

Der Beschluss aus Karlsruhe hätte früher kommen müssen

Zweitens: Die Entscheidung in Karlsruhe hat lange auf sich warten lassen – die Nachwahl kommt viel zu spät. Inzwischen ist mehr als die Hälfte der Legislaturperiode vorbei, allmählich laufen sich die Parteien und Abgeordneten bereits für die nächste reguläre Bundestagswahl im September 2025 warm. Die Wiederholung einer Wahl, die im Februar dann zweieinhalb Jahre zurückliegt, wirkt da fast lächerlich.

Sicher, die Sorgfalt der Verfassungsrichter erfordert Zeit, letztlich mussten sie die Mängel in jedem Stimmbezirk einzeln prüfen. Und ja, die Union hatte erst Anfang dieses Jahres überhaupt ein Verfahren in Karlsruhe angestrengt, nachdem sich wiederum die Ampel-Koalition bis November 2022 Zeit gelassen hatte, um die Bundestagswahl in kleinerem Rahmen für wiederholungsbedürftig zu erklären.

 
 
 
 
 
 
 

Doch zum einen hätten die Verhandlungen früher starten müssen als im Juli. Und zum anderen hätte auch ein Beschluss schneller stehen können, so eindrücklich und offenkundig waren die Verfehlungen der Berliner Verwaltung und der damaligen rot-rot-grünen Landesregierung: Wahllokale, in denen Berliner noch weit nach der ersten Prognose abstimmen durften, Wähler, die heimgeschickt wurden, weil Stimmzettel fehlten – es ist nur schwer zu erklären, dass solch augenscheinliche Verstöße nicht hätten sofort als solche erkannt und beurteilt werden können.

Deutschland braucht Zuversicht und Mut

Drittens: Das Urteil dürfte das Vertrauen in die Demokratie abermals schwächen. Schon die wiederholte Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus hat zumindest in Berlin, wahrscheinlich aber auch über die Stadtgrenze hinaus, viele Menschen an den staatlichen Institutionen zweifeln lassen. Die nun gefällte Entscheidung der Verfassungsrichter dürfte diese Menschen in ihrer Auffassung bestätigen und kommt deshalb umso mehr zur Unzeit:

Haushaltschaos, Bauernproteste, das plötzliche Aus für die E-Auto-Förderung, jetzt noch die Nachwahl in Berlin. Wer nur oberflächlich die Schlagzeilen verfolgt – und so tun es viele –, kann kaum anders, als den Eindruck zu gewinnen: In diesem Land klappt gerade gar nichts. Stabilität, Sicherheit, Verlässlichkeit, das war einmal. Schon jetzt fühlen sich viele Menschen angesichts der jüngst getroffenen Haushaltsbeschlüsse ohnmächtig. Doch wenn sie nicht einmal darauf vertrauen können, dass der Tag, an dem wahrhaftig alle Macht vom Volke ausgeht, ordentlich funktioniert, gerät etwas ins Rutschen.

Klar, auch dafür kann das Verfassungsgericht nichts. Zuzuschreiben hat sich die aktuelle politische Lage zuallererst die Ampel-Koalition selbst, aber auch die bereits gescholtene Berliner Regierung. Den Schaden aber haben dennoch wir alle. Denn ein Land, das verunsichert ist, dessen Bürger das Vertrauen in die Politik, womöglich gar in die Demokratie verlieren, kann nur schwer frohen Mutes in die Zukunft blicken. Genau das aber – Zuversicht, Besonnenheit, Optimismus – braucht Deutschland gerade mehr denn je.

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