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Russland: Olympia-Attentat in München von Fake-Accounts zur Angstmache genutzt


Massive Propagandakampagne
Russland nutzt Münchner Olympia-Anschlag zur Angstmache

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 23.11.2023Lesedauer: 5 Min.
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Olympia-Attentat und Judenhass-Graffiti: München steht im Mittelpunkt einer Welle russischer Desinformation.Vergrößern des Bildes
Olympia-Attentat und Judenhass-Graffiti: München steht im Mittelpunkt einer Welle russischer Desinformation. (Quelle: Screenshot, Getty Images, Montage: t-online )

Neue Dimension in Russlands Desinformationskampagne: Um Unsicherheit zu schüren, wird mit gefälschten Fotos aus München und dem Olympia-Attentat 1972 Stimmung gemacht.

"Keine Zeit für Spiele" steht am Ende eines Videos, auf Englisch und auf Türkisch. Es ist ein 50 Sekunden langer Streifen mit historischen Aufnahmen. Das Entzünden des olympischen Feuers 1972 in München, große sportliche Leistungen – und dann Bilder des Entsetzens: Vor rund 50 Jahren überfielen am 5. September acht palästinensische Terroristen das Wohnquartier des israelischen Olympiateams, töteten zwei Sportler sofort, die anderen neun Geiseln starben später. In der rechten oberen Ecke des Videos prangt das Logo der rechtsextremen türkischen "Grauen Wölfe".

Damit will ein russisches Desinformationsnetzwerk nun Stimmung machen. Das Video mit historischen Aufnahmen ist ebenso wenig echt wie ein Graffiti mit einem Sturmgewehr, das wie ein Staffelstab von München 1972 an Paris 2024 weitergegeben wird. Auch Fotos aus München mit empörenden Sprayereien, die Öfen mit Judenstern darin darstellen sollen, sind manipuliert.

Die Anschlagsängste wegen München 1972, der schockierende Judenhass in Deutschland – und dazu massenhaft Links zu Fake-Artikeln auf Websites, die bekannten Nachrichtenseiten täuschend ähnlich sehen: Diese Beiträge sind das nächste Kapitel in einer riesigen Kampagne Moskaus. Russland nutzt vermehrt den Gazakrieg und die Debatte um Antisemitismus und Judenhass, um mit Fake-Accounts die Stimmung anzuheizen und Konflikte zu vertiefen. Die Anti-Ukraine-Propaganda geht derweil unvermindert weiter.

Frankreich verurteilt russische Einmischung

Deutsche Behörden schweigen noch, ob Sprühereien Mitte Oktober in Dortmund und Berlin Teil dieser Kampagne sein könnten. Frankreichs Behörden sind weiter: Nachdem Ende Oktober in Paris ein Paar beim Sprühen von Davidsternen festgenommen worden war, stießen Ermittler schnell auf Verbindungen nach Russland. Das Paar hatte einen Auftrag von einem pro-russischen Geschäftsmann aus Moldau, und die Bilder wurden reihenweise in Fake-Accounts geteilt, die zum "Doppelgänger"-Netzwerk gerechnet werden.

Frankreichs Außenministerium hat in inzwischen offiziell "entschieden die Beteiligung des russischen Netzwerks (...) an der künstlichen Verstärkung und Erstverbreitung von Fotos" verurteilt. Das Land war zwischenzeitlich im Zentrum der größten Manipulationskampagne, die es in sozialen Netzwerken jemals gegeben haben dürfte. Sie begann wenige Wochen nach Russlands Einmarsch in der Ukraine. Sie firmiert bei den Behörden unter dem Arbeitstitel "Doppelgänger", weil dafür auch täuschend echt nachgebaute Seiten von bekannten Nachrichtenmarken erstellt werden. Diese sehen aus wie "Spiegel", "Telegraph" oder "Le Monde". Unter dem seriös wirkenden Logo stehen dann jedoch pro-russische, anti-ukrainische und antiwestliche Inhalte.

In Antworten auf Facebook werden diese Links geteilt, zusammen mit Karikaturen und Bildern mit vermeintlich satirischem pro-russischem Inhalt – und immer wieder auch mit Videos und Fotos wie denen der Davidsterne. t-online hat nun eine neue Welle aus der vergangenen Woche ausgewertet. Fast alles hat dabei einen Bezug zu München.

München 1 – angebliche Judenhass-Graffitis: So stieß t-online auf Hunderte Accounts, die mit deutschen und französischen Kommentaren Fotos von Häusern aus dem Stadtteil Hasenbergl geteilt haben. Die Bilder sind empörend: Auf eine Garage gesprüht ist ein Ofen, "Ofen" steht auch im Text darüber geschrieben, darin befindet sich ein Davidstern kurz vor der Verbrennung.

t-online hat die Orte ausfindig machen können. Der Münchner Polizei lagen keine Anzeigen vor, die nach solchen Schmierereien zu erwarten wären. Beim Abfahren der Adressen haben Streifen auch nichts entdecken können. Wer die Fotos gemacht hat – unklar. Ebenso, wer in die echten Bilder die falschen Graffitis montiert hat. Allerdings: Schon zwei Wochen vor den Postings auf X fanden sie sich gebündelt in einer russischen Telegram-Gruppe. Verbreitet wurden die Fotos binnen weniger Stunden in der vergangenen Woche. Die Polizei ermittelt weiter.

München 2 – Ukraine vs. Israel: Von einer Hauswand in München soll auch ein Foto stammen, das zweimal Joe Biden zeigt – einmal, wie er Israel hilft, einmal, wie er die Ukraine zurückweist. Der Ort ist unklar, weitere Berichte sind nicht bekannt. Israel und die Ukraine gegeneinander auszuspielen, ist ein beliebtes Motiv. "Doppelgänger"-Fake-Accounts posteten zudem ein Video, wonach es in Israel eine Welle von Betrügereien gebe, die von Ukrainern begangen würden. Die Sache dehnt sich aus: Seit Kurzem würden hebräische Nachrichtenseiten gefälscht, berichtet die israelische Tageszeitung "Haaretz".

Terror-Staffelstab von München nach Paris

München 3 – angebliches Drohvideo mit Olympia-Attentat: Zeitgleich mit den Graffiti-Tweets tauchten Antworten mit dem Link zum München'72-Video auf. Nach den schönen olympischen Momenten sind Bilder der Terroristen gegengeschnitten, darauf folgen Fotos der Särge mit Davidsternen und Porträtbilder der ermordeten Israelis. Verantwortlich war die palästinensische Terrororganisation "Schwarzer September".

Parallel dazu wurden Graffiti verbreitet, die ebenfalls offenbar nicht echt sind. Wie ein Staffelstab wird in der Darstellung ein Sturmgewehr von München 1972 an Paris 2024 übergeben. Dort finden kommendes Jahr die Olympischen Spiele statt. In Tweets zum Video und zum gesprayten Motiv heißt es, man müsse beten für die Sicherheit der Athleten und Zuschauer in Frankreich: "Ich hoffe, dass die Pariser Behörden diese Bedrohung ernst nehmen", heißt es in einem Eintrag.

Doch zumindest diese Bedrohung für die Olympischen Spiele ist fast mit Sicherheit eine Erfindung des Fake-Netzwerks. Nach Ansicht des Politologen und Historikers Ismail Küpeli, der zu türkischem Extremismus forscht, spricht alles dagegen, dass das Video von den "Grauen Wölfen" stammt. "Es gibt keinerlei Inhalte, keinen Content, wo man sagen würde: Das sind deren Themen, Symbole und Codes."

Eine vergleichbare Tat entspreche auch nicht dem Muster der "Grauen Wölfe": "Dass ein Kommando der 'Grauen Wölfe' nach Paris fährt, um dort eine solche Tat zu begehen, ist nahezu ausgeschlossen." Das Attentat in München habe für die türkischen Extremisten keinerlei Relevanz. Küpelis Fazit: "Das Logo der 'Grauen Wölfe' ist der einzige Hinweis, aber das kann von jedem da platziert worden sein."

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Zurzeit sind Accounts von Cain bis Candice dran

Geteilt wurde das Video von 558 Accounts, wie aus einer Auswertung von @Antibot4navalny hervorgeht, Kopf einer Gruppe anonymer Aktivisten, die Trolle überwachen. Jeweils gut ein Viertel der Tweets waren auf Deutsch oder Französisch verfasst, der Rest auf Englisch. Das Bot-Netzwerk schickt aber auch Tweets auf Ukrainisch oder Russisch ab. Zum Olympia-Video nicht – "da gibt es Themen, die für das Netzwerk wichtiger und relevanter sind", vermutet Antibot4navalny.

Die Ausmaße des Netzwerks werden daran ersichtlich, dass sie inzwischen auch alphabetisch sortiert den Sprachen zugeordnet, in denen sie schreiben, wie eine Auswertung von Antibot4navalny dokumentiert. Und es geht ständig weiter: Zum Hashtag "Hart aber fair" vom Montag verschickten Accounts aus der Reihe Cain, Callie, Calvin, Camilla, Campbell, Candice auf Deutsch pro-russische Links. Profilbilder sind mit künstlicher Intelligenz generiert, ständig werden neue angelegt.

Einige der Accounts, die vor der angeblichen Olympia-Drohung der vermeintlichen türkischen Extremisten warnen, zündeln zugleich auf türkischer Seite. So verbreiteten sie Bilder eines vorgeblichen Street-Art-Künstlers aus Israel: Er soll eine Menora an eine Mauer gemalt haben, den siebenarmigen jüdischen Leuchter, die eine türkische Flagge in Brand setzt. t-online hat die Stelle in Ostjerusalem lokalisieren können. Aus einem Talmud-Institut ein paar Gebäude weiter heißt es: Das Graffiti habe man nicht gesehen.

5.400 Mal gepostet und kaum jemanden erreicht

Das Bild wird aber zugleich von einem in Moskau lebenden türkischen Wissenschaftler verbreitet – bisher ohne viel Resonanz. Das ist ohnehin auffällig: Dem großen Aufwand steht wenig messbarer Erfolg gegenüber.

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Das zeigt sich deutlich und mit Zahlen belegbar an einem Video mit dem AfD-Politiker Nicolaus Fest. Das Statement, in dem er unter anderem von ukrainischen Flüchtlingen in Deutschland als "parasitären Kriegsgewinnlern" spricht, wurde von "Doppelgänger"-Fake-Accounts 5.400 Mal in Kommentare gepostet. Gesehen wurde es den Zahlen von X zufolge nur 25.000 Mal.

Nachdem die Kampagne aber seit dem Frühjahr 2022 läuft und immer neue Facetten bekommt, versprechen sich die Auftraggeber offenbar trotz der geringen Resonanz auf die einzelnen Tweets etwas. Ob der Nervosität des Netzes könnten ja mal Versuche viral gehen. Und angesichts der Masse der Postings gilt vielleicht auch das Prinzip: Steter Tropfen höhlt den Stein.

Verwendete Quellen
  • Anfrage an Ismail Küpeli und Anfrage an Nicolaus Fest
  • Austausch mit @Antibot4navalny und @slpng_giants_fr
  • haaretz.com: Russian Op Pushes Gaza Disinfo With Spoofed Fox News Site and 'Deep-fake' Israeli Soldier
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