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Unterrichtsmangel: Der Stundenausfall an deutschen Schulen hat fatale Folgen


Tagesanbruch
Schreck am Morgen

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 02.09.2022Lesedauer: 6 Min.
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In Deutschland fallen immer mehr Schulstunden aus.Vergrößern des Bildes
In Deutschland fallen immer mehr Schulstunden aus. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

der Schreck kommt gleich bei der ersten Tasse Kaffee. Die Augenlider hängen noch müde, das Brot ploppt aus dem Toaster, die ersten Kakaoflecken sind schon weggewischt, und endlich ist die ganze Mannschaft am Frühstückstisch erschienen. Bitte die Butter. Gib mal Marmelade. Hast du dein Rechenheft eingepackt und an den Turnbeutel gedacht? … Okay … Wie, die Englisch-Hausaufgabe musst du noch machen, die wolltest du doch gestern Abend …?? Doch, hatten wir besprochen! … Nee, das muss "building" heißen, nicht "biulding", gib mal her … Und du, kannst du heute deine Schwester mit nach Hause nehmen und das Essen aufwärmen, ich hab Nudelsoße vorgeko … wie, Sport fällt schon wieder aus? … Und Französisch auch?? Und bei euch die Religionsstunde, schon wieder, wie kann denn das sein???

Ja, es ist tatsächlich ein Schrecken, der Millionen Müttern und Vätern morgens in die Glieder fährt. Nicht gelegentlich, nicht ab und an, sondern ständig. Ob es eine E-Mail, eine WhatsApp-Gruppennachricht oder eine Info auf der Klassen-Webseite ist, das Ergebnis ist immer dasselbe – erst der Schreck, dann das Rattern im Kopf: Wie organisiere ich das jetzt? Gibt es eine Vertretung? Wird der ausfallende Stoff irgendwie nachgeholt? Lernen die in der Schule noch genug oder müssen wir ihnen jetzt selbst mehr beibringen? Und dann, nach einem großen Schluck Kaffee: Wie kann das eigentlich sein?

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Ja, wie kann es eigentlich sein, dass eines der reichsten und bestentwickelten Länder der Welt es nicht vermag, allen Kindern eine gut organisierte, verlässliche Schulausbildung zu garantieren? Wie kann es sein, dass im Deutschland des Jahres 2022 so viele Schulstunden ausfallen, dass man von einer echten Krise sprechen muss, viele Jugendliche in ihrer Entwicklung behindert und Eltern in allmorgendliche Gewissensnöte gestürzt werden? Der Grund ist immer derselbe: Es fehlen Lehrerinnen und Lehrer. Nicht allein wegen Krankheiten oder sonstigen Unpässlichkeiten, sondern weil es einfach zu wenige von ihnen gibt.

In 11 der 16 Bundesländer hat die Schule nach den Sommerferien wieder begonnen, Rheinland-Pfalz, Hessen und das Saarland folgen kommende Woche, danach Baden-Württemberg und Bayern. Und überall gibt es dasselbe Problem: Lehrermangel. Insgesamt fehlen 40.000 Pädagogen, meldet der Deutsche Lehrerverband; dessen Vorsitzender Heinz-Peter Meidinger spricht von "dramatischen Zahlen". Stundenpläne ähneln Schweizer Käse, so löchrig sind sie. Schulstunden werden mancherorts auf 40 Minuten verkürzt, um überhaupt noch ein halbwegs konstantes Angebot aufrechtzuerhalten. Zusatzangebote wie Arbeitsgemeinschaften, Hausaufgabenunterstützung oder extra Sportstunden sind eh längst gestrichen.

Der Fachkräftemangel ist ein viel beschworenes Problem in Deutschland, doch abgesehen vom Gesundheitswesen hat er nirgendwo so fatale Folgen wie im Bildungssystem. Millionen von Kindern wird das Wichtigste erschwert, das sie für ihre Bildungsentwicklung brauchen: das gemeinsame Lernen im Kollektiv, das Erfahren der Welt und ihrer Vielfalt, die Begeisterung für das Wissen, das soziale Reifen im Klassenverbund.

Der Grund für die Misere liegt auf der Hand: Aufgrund von mehr Geburten, Zuwanderung und nun auch noch 150.000 ukrainischen Kindern gibt es zwar immer mehr Schüler. Gleichzeitig aber immer weniger Lehrer. 40 Prozent arbeiten mittlerweile in Teilzeit, weil der Job enorm zehrt. Noch viel mehr Stellen bleiben unbesetzt, weil die Arbeit nicht nur anstrengend, sondern vielerorts auch schlecht bezahlt ist. Das föderale Chaos erschwert Schulwechsel bei Umzügen, das Elend der mangelnden Digitalisierung kommt hinzu. Viele Lehrer besitzen noch nicht einmal einen zeitgemäßen Laptop, geschweige denn hilfreiche Software zur Unterrichtsvorbereitung und Stundenplanung.

Das ist doch alles nicht neu, denken Sie nun vielleicht, und da haben Sie natürlich recht. Doch das Problem nimmt dramatische Ausmaße an. Deshalb möchte ich Ihnen heute Morgen zwischen der ersten und der zweiten Tasse Kaffee einen Gedanken mitgeben: Es ist ja schön und gut, dass wir nun von morgens bis abends darüber reden, wie der Staat die Bürger von den hohen Gas- und Strompreisen entlasten kann. Wenn wir darüber aber die Bildungsmisere vergessen – und genau das droht gerade zu passieren –, machen wir einen schwerwiegenden Fehler. Die Gaskrise dürfte spätestens in zwei, drei Jahren ausgestanden sein. Die Folgen versäumter Bildung können eine ganze Generation ein Leben lang zurückwerfen. Wer soll denn künftig all die Innovationen der deutschen Wirtschaft austüfteln und produzieren, wenn es bald nicht mehr genügend Ingenieure, Physikerinnen und Maschinenbauer gibt? Wer soll unsere Gesellschaft inspirieren und unsere Kultur beleben, wenn es zu wenig Sozialwissenschaftler gibt? Wer soll die Kranken heilen und die Alten versorgen, wenn Ärzte und Fachpfleger fehlen?

Die Grundlagen einer guten Bildung werden in der Kindheit und der Jugend gelegt. Lehrerinnen und Lehrer mit Autorität, Einfühlungsvermögen und Fachwissen sind der wichtigste Faktor für eine erfolgreiche Schulbildung, hat eine Studie belegt. Aber es muss halt genügend von ihnen geben. Den Lehrerberuf attraktiver zu gestalten und besser zu bezahlen, hat jetzt auch Priorität.


Besorgte Kontrolleure

Man weiß ja schon nicht mehr, welche Begleitkatastrophen des Putinschen Angriffskriegs in der Ukraine man schlimmer finden soll: dass Russland täglich mehrere Millionen Kubikmeter Gas abfackelt, weil der fossile Brennstoff nicht nach Deutschland verkauft werden soll, aber im Moment auch nicht anderweitig abgeführt werden kann. Oder dass Europas größtes Atomkraftwerk Saporischschja fortwährendem Artilleriebeschuss ausgesetzt ist – von welcher Seite auch immer, aber jedenfalls unter Inkaufnahme des Risikos, dass Radioaktivität austritt.

Immerhin: Gestern ist nach langem diplomatischem Tauziehen ein Expertenteam der Internationalen Atombehörde IAEA an der russisch besetzten Anlage im Süden der Ukraine eingetroffen, heute soll die Inspektion stattfinden. Wie lange der wackere IAEA-Chef Rafael Grossi und seine Mitstreiter allerdings Zeit haben, um sich ein Bild vom Zustand der Reaktoren und von den Arbeitsbedingungen der ukrainischen Bedienungsmannschaft zu machen, erscheint angesichts der Kämpfe in der Region völlig ungewiss. Ganz zu schweigen davon, dass eigentlich eine entmilitarisierte Zone rund um das AKW und eine kontinuierliche Präsenz der IAEA wünschenswert wären.


Massentest in China

Rund 150 entdeckte Neuinfektionen – Lockdown für 21 Millionen Menschen: So geht Null-Covid-Politik auf chinesische Art, gegenwärtig praktiziert in der Metropole Chengdu im Südwesten der Volksrepublik. Seit gestern sind die Einwohner angehalten, auf unbestimmte Zeit daheim zu bleiben, pro Haushalt darf lediglich eine Person einmal am Tag das Gebäude verlassen, um im nächstgelegenen Geschäft Lebensmittel zu kaufen. Bis Sonntag wollen die Behörden die gesamte Stadt durchtesten.

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Die harschen Eingriffe ins öffentliche Leben haben zwar massive Folgen für die chinesische Wirtschaft. Ein Ende der Null-Covid-Strategie ist aber trotzdem nicht in Sicht. Wenige Wochen vor dem 20. Parteitag der Kommunistischen Partei, auf dem sich Diktator Xi Jinping eine dritte Amtszeit sichern will, hat Stabilität im Reich der Mitte höchste Priorität.


Stelldichein in der Lausitz

Ursprünglich sollte der Kohle-Ausstieg bis zum Jahr 2038 erfolgen, die Ampelkoalition strebt ihn nun schon für 2030 an. In den betroffenen Regionen wie der Lausitz sorgt das genauso für Unruhe wie die Frage, wie sich die aktuelle Energiekrise auf die Planungen auswirkt. Um die Herausforderungen des Strukturwandels zu besprechen, trifft sich Kanzler Olaf Scholz heute in Spreetal mit den Ministerpräsidenten von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg, Michael Kretschmer, Reiner Haseloff und Dietmar Woidke.


Von wegen Tattergreis

Joe Biden zeigt sich plötzlich kämpferisch: Der Präsident feuert Breitseiten gegen seinen Widersacher Donald Trump und macht klare Ansagen zum weiteren Kurs des zerrütteten Landes. Gestern Abend hat er in einer Rede zur besten amerikanischen Fernsehsendezeit die Kongresswahl im November als existenzielle Richtungsentscheidung für die USA beschworen und eindringlich vor den Extremisten in der Republikanischen Partei gewarnt. Unser Washington-Korrespondent Bastian Brauns beschreibt den Showdown zwischen Biden und Trump.


Falls Sie heute ein Flugzeug der Lufthansa-Gruppe zu besteigen gedachten, sollten sie lieber zu Hause bleiben. Wegen des Pilotenstreiks fallen so gut wie alle Verbindungen aus.


Was lesen?

Wann erklärt die Regierung endlich, wie sie die Bürger entlasten will? Der Ampelkoalition läuft die Zeit davon, kommentiert unser Reporter Tim Kummert.


Immer wieder wird Olaf Scholz für seine spröde Sprache gerügt, auch hier im Tagesanbruch. Dabei kann er viel besser reden, wie er gestern bei einem Bürgerdialog gezeigt hat.


Die polnische Regierung fordert von Deutschland 1,3 Billionen Euro Entschädigung für die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg. Was das bedeutet, lesen Sie hier.


Präsident Joe Biden hat ein historisches Klimaschutzgesetz durchgesetzt. Doch Amerika erstickt am Plastik, schreibt unsere Autorin Jule Damaske.


Was amüsiert mich?

Der Tankrabatt hat super funktioniert.

Ich wünsche Ihnen einen gelassenen Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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