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King Charles III.: Zum König der Herzen wird man so nicht


Tagesanbruch
Und nun?

MeinungVon Miriam Hollstein

Aktualisiert am 20.09.2022Lesedauer: 6 Min.
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. 19/09/2022. London, United Kingdom. King Charles III, Prince William and Prince Harry watch the coffin of Queen ElizaVergrößern des Bildes
Vom Schmerz gezeichnet: Bei der Trauerfeier für seine Mutter konnte König Charles III. die Tränen nicht zurückhalten. (Quelle: Stephen Lock/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

"Kairos" wird in der Philosophie ein Moment genannt, in dem sich die Zeit verdichtet. Im Gegensatz zu "Chronos": Damit ist die Zeit gemeint, die so vor sich hin verstreicht und mitunter ziemlich langweilig ist. "Kairos" ist immer ein herausragender Wendepunkt, nach dem alles anders wird.

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Die Beerdigung der Queen am Montag war so ein "Kairos". Ein Ereignis dieser Dimension hat es seit dem Begräbnis von Papst Johannes Paul II. im Jahr 2005 nicht mehr gegeben. Über 2.000 Gäste waren zur Trauerfeier in der Westminster Abbey angereist, darunter zahlreiche Staats- und Regierungschefs wie der japanische Kaiser Naruhito mit seiner Frau, US-Präsident Joe Biden, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern. Deutschland war gewissermaßen doppelt vertreten: mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

Unter den Augen der Weltöffentlichkeit wurde in London nicht nur die Monarchin zu Grabe getragen, sondern auch Abschied von einer Epoche genommen. Die Lebensspanne von Elizabeth II. umfasst einen Weltkrieg, den Kalten Krieg, dessen Ende und die Wiedervereinigung. Es war eine Epoche der linearen Katastrophen. Inzwischen leben wir in einer Zeit, in der die Krisen multipel und gleichzeitig auftreten und angesichts der Globalisierung die ganze Welt erschüttern.

Ein Epochenwechsel ist der Abschied von der Queen aber auch für Großbritannien. Nicht nur, weil sie seinen Eintritt in die Europäische Union genauso erlebte wie seinen Austritt. Sie war auch das Oberhaupt eines Reiches ehemaliger Kolonien, des Commonwealth, das schon während ihrer Amtszeit vom Zerfall bedroht war. Zusammengehalten wurde es vor allem durch die Glaubwürdigkeit und Integrität von Elizabeth II. Wie kein Staatsoberhaupt vor ihr verkörperte sie die Selbstaufgabe für das Wohl des Volkes.

Womit wir bei König Charles III. wären. Er muss in die überdimensionalen Fußstapfen seiner Mutter treten. Mehr noch: Er soll die Monarchie, deren Legitimität, die schon in der alten Epoche immer stärker bezweifelt wurde, in die Zukunft retten. Ob ihm das gelingt? Dafür spricht, dass sein Herzensthema, der Umweltschutz, für das er früher viel verspottet wurde, zum zentralen Ziel für das Überleben der Menschheit geworden ist.

Dagegen spricht, dass er im Vergleich zu seiner Mutter deutlich weniger zur positiven Projektionsfläche taugt. Im Netz kursieren Bilder und Berichte, wie herrisch er mit Bediensteten umgeht. Vom Box-Champion Mohammed Ali stammt das Zitat: "Ich traue niemandem, der nett zu mir, aber grob zu einem Kellner ist. Weil sie mich genauso behandeln würden, wäre ich in dieser Position." Sicher ist: Zum König der Herzen wird man nicht, wenn man das Personal in aller Öffentlichkeit schlecht behandelt.

Noch verheerender dürften für das Image von König Charles III. aber jene Auszüge aus einem TV-Interview mit Prinz Harry sein, in dem dieser schildert, wie empathielos der Vater mit ihm umgegangen sei, als er um das Leben seiner Frau Meghan fürchtete. Charles habe ihm und seinem Bruder William immer gesagt, dass er es auch nicht leicht gehabt habe, berichtet Harry und fügt dann ungläubig hinzu: "Das ergibt doch keinen Sinn. Nur weil du gelitten hast, heißt das doch nicht, dass deine Kinder auch leiden müssen."

Zugleich hat die Beerdigung am Montag noch einmal jene bizarre Mischung gezeigt, die die Faszination der britischen Monarchie ausmacht: Auf der einen Seite weist sie weit über ihr Land und ihre Zeit hinaus. Auf der anderen Seite ist sie heruntergebrochen auf den Alltag von einer Profanität, wie sie jeder aus dem eigenen Leben kennt. Es ist die Erkenntnis, dass es bei den Royals mitunter auch nicht anders zugeht als bei den Hempels zu Hause. Da wird ein Sohn verstoßen, weil er sich den gestrengen Regeln des Elternhauses entzieht. Er darf zur Beerdigung der Oma keine Uniform anziehen und wird auch vom Ehrendinner ausgeladen.

Und dann sind da noch die, die gar nicht zur Beisetzung kommen durften. Allen voran der russische Präsident Wladimir Putin und sein belarussischer Autokratenkumpel Alexander Lukaschenko. Die Machthaber von Syrien, Venezuela, Myanmar und Afghanistan waren ebenfalls nicht erwünscht. Vielleicht kann man darin auch eine Ermutigung sehen, Familienmitglieder, die mit ihrem toxischen Verhalten die Beziehungen vergiften, zur nächsten Feier schlicht nicht mehr einzuladen. Warum der saudische Kronprinz eingeladen war, aber am Ende doch nicht teilnahm, hat mein Kollege Fabian Reinbold aufgeschrieben.

Joe Biden musste die Erfahrung machen, dass das Auto nicht immer die bessere Alternative ist: Er stand mit seinem "Beast" und der insgesamt 30 Fahrzeuge umfassenden Kolonne in London im Stau. Die anderen Staats- und Regierungschefs werden ihn trotzdem beneidet haben, denn die meisten von ihnen wurden in VIP-Shuttlebusse verfrachtet. Zum Entsetzen der jeweiligen nationalen Sicherheitsdienste.

Jenseits der kuriosen Momente steckt im Begriff des "Kairos" auch der Gedanke, dass ein solcher Wendepunkt eine große Gelegenheit ist. Für Charles kommt aber hinzu, dass er mit 73 Jahren auf den Thron gekommen ist, älter als jeder Monarch vor ihm und fast dreimal so alt wie seine Mutter, die mit 25 zur Königin wurde. In diesem hohen Alter dürfte es ihm viel schwerer fallen als Elizabeth II., in das Amt "hineinzuwachsen", sich in und mit ihm zu wandeln.


Erster Auftritt des Kanzlers bei den UN

Seit fast einem Jahr ist Olaf Scholz jetzt Kanzler. Und immer noch gibt es erste Male für ihn. So wird er in New York in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch (Ortszeit) seine erste Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen halten. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die ebenfalls vor Ort ist, hat das schon hinter sich. Sie appellierte bereits im März auf einer Dringlichkeitssitzung der UN, sich Putin und seinem Angriff auf die Ukraine mit aller Entschlossenheit entgegenzusetzen. Auch Scholz werde bei seinem Auftritt Klartext reden und Putins Vorgehen als Völkerrechtsbruch brandmarken, heißt es aus Regierungskreisen. Vermutlich will er mit einem markigen Auftritt auch dem Vorwurf Wind aus den Segeln nehmen, Deutschland engagiere sich nicht genug für die Ukraine.

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Mein Kollege Johannes Bebermeier und unser USA-Korrespondent Bastian Brauns werden den Auftritt des Kanzlers live verfolgen. In ihrem Vorabbericht beschreiben sie, was für Scholz auf dem Spiel steht.

Termine des Tages

Ihr Schicksal erschütterte die Welt. Im Mai 2007 verschwand das britische Mädchen Maddie spurlos aus einer portugiesischen Ferienanlage. Bis heute ist der Fall nicht aufgeklärt. Am Vormittag verkündet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sein Urteil in der Frage, ob der portugiesische Chefermittler Gonçalo Amaral die Eltern von Maddie zu Unrecht in der Öffentlichkeit beschuldigt hat. Amaral hatte in einem Buch behauptet, die Eltern hätten ihre Tochter nach einem tödlichen Unfall selbst verschwinden lassen.


In Luxemburg entscheidet der Europäische Gerichtshof an diesem Vormittag über die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland. Der Generalanwalt hatte das deutsche Telekommunikationsgesetz trotz Überarbeitung als nicht EU-rechtskonform eingestuft. Eine solche Datenspeicherung sei jenseits einer Bedrohung der nationalen Sicherheit nur selektiv und nicht allgemein zulässig.


Am heutigen Dienstag ist Weltkindertag. Im Mittelpunkt sollen diesmal Flüchtlingskinder stehen, die in besonderem Maße seelischer und körperlicher Gewalt ausgesetzt sind. Das zeigt sich auch im Ukraine-Krieg. Hier gibt es neben der Vertreibung auch Berichte über Fälle von Kindern, die gezielt von Russland gekidnappt werden, um an Adoptiveltern vermittelt zu werden.


Was lesen?

Mehrere Abgeordnete der AfD sind zu einer Reise in die besetzte Ostukraine aufgebrochen. Was sie dort machen und wie der ukrainische Botschafter Andrej Melnyk reagierte, hat meine Kollegin Annika Leister aufgeschrieben.

Kurz vor Abflug zur Beerdigung der Queen hat US-Präsident Joe Biden die Pandemie für beendet erklärt. Warum er diesen Zeitpunkt gewählt hat, schildern meine Kollegen David Schafbuch und Lando Derouaux.


Mehr als jeder zweite Deutsche hat einer Umfrage zufolge die Sorge, dass es im kommenden Winter zu Stromausfällen kommen könnte. Der österreichische Bestsellerautor Marc Elsberg hat bereits 2012 einen atemberaubenden Thriller darüber geschrieben, was passieren könnte, würde ein massiver Blackout einen Kontinent lahmlegen. Warum er unsere Gesellschaft trotzdem für krisenresilient hält und wie man sich auf Stromausfälle optimal vorbereiten kann, hat er mir im Interview verraten.


Historisches Bild des Tages

Mit gewaltigem Pomp hatte sich der Diktator Jean-Bédel Bokassa einst zum Kaiser des Zentralafrikanischen Kaiserreichs krönen lassen, 1979 endete seine Herrschaft. Wie? Das lesen Sie hier.


Was mich amüsiert

Noch ein allerletztes Wort zur Queen. Oder vielmehr ein Bild.

Ich wünsche Ihnen in dieser Woche viele positive und erfüllte Momente.

Morgen schreibt an dieser Stelle wieder unser Chefredakteur Florian Harms für Sie.

Ihre

Miriam Hollstein
Chefreporterin im Hauptstadtbüro von t-online
Twitter: @HollsteinM

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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